Die meisten Rückenschmerzen sind funktional, das heißt unspezifisch, und dann ist weder ein Röntgenbild noch ein MRT (Magnet-Resonanz-Tomographie) hilfreich. Es hilft auch nicht, Beckenschiefstände zu beseitigen, Bandscheiben-Operationen durchzuführen oder zu probieren, Haltungsabweichungen zu verändern.
Ich möchte aber noch einmal darauf hinweisen, dass es auch spezifische Rückenbeschwerden gibt. Manche Rückenschmerzen können Symptome für ernsthafte Erkrankungen sein. Es gibt zum Beispiel den seltenen Fall, bei dem ein Bandscheibenvorfall zu Lähmungen oder Missempfindungen führen kann und dann natürlich eine gründlichere Behandlung braucht. Bei der Mehrheit der Fälle – inzwischen geht man von 90 - 95 % aus – gibt es keine organische Ursache, die irgendeine Abweichung ist, sondern sie gelten als funktionale Ursachen. Im Rücken-Yoga hat sich in den letzten 30 Jahren so viel verändert, und vielleicht wird sich auch in den nächsten 10 - 20 Jahren viel verändern. Was jedoch weiter Bestand haben wird: Yoga ist hilfreich für einen gesunden, schmerzfreien Rücken. Die Begründungen dafür ändern sich, aber die empirische Tatsache ist nicht zu leugnen. Was ich jetzt sage, bezieht sich auf den aktuellen Stand der Forschung, so wie ich ihn kenne.
Es gibt verschiedene Hypothesen für die sogenannten funktionalen oder unspezifischen Rückenbeschwerden: Verspannungen der Muskeln; Verklebungen des Gewebes, zum Teil auch Verklebungen von Bindegewebe; Blockade von Zwischenwirbelgelenken, meistens über Verspannungen oder auch Verklebungen.
Dies führt dazu, dass Rückenmuskeln sich verspannen, gegenhalten, belastet werden und dann anfangen, Schmerzen zu verursachen. Wenn das länger als ein paar Tage andauert, dann kann das zu Daueranspannung führen. Wenn es länger als ein paar Wochen andauert, führt es zum sogenannten Schmerzgedächtnis, das heißt der Körper erzeugt selbst Schmerzen.
Schulmedizinisch gesehen gibt es vier Risikofaktoren – bzw. eigentlich drei, die dann zusammenwirken können in den vierten Bereich: Stress, allgemein psychische Probleme, mangelnde Bewegung, daraus entstehen dann Rückkopplungseffekte.
- Stress
Allgemein: Stress führt zur Aktivierung des Flucht-Kampf-Mechanismus, darüber habe ich bereits in einem anderen Vortrag schon gesprochen. Stress führt dann zur Anspannung der Muskeln. Wenn Muskeln regelmäßig angespannt werden, ohne Entwarnung zu bekommen, ohne dass man sich wirklich entspannt, baut sich die Verspannung immer weiter auf. Irgendwann ist der Muskel dann überfordert und beginnt, Schmerzen zu verursachen. Stress ist also ein Faktor für Rückenschmerzen. Die meisten Menschen mit Rückenschmerzen haben diese bekommen als sie besonders gestresst waren. Hier ist natürlich auch schon gleich klar, was man machen kann: Stress lindern. Wie das funktioniert, darüber werde ich gleich sprechen.
- Psychische Probleme
Man weiß, dass Menschen, die viele psychische Probleme haben, somatisieren. Das heißt, die psychischen Probleme gehen in den Körper hinein. Vom Yoga her würde man sagen: „Geistige und körperliche Haltungen gehen einher.“ Geistige Verspannung führt zu körperlicher Verspannung, und im Rückenbereich ist das am deutlichsten zu merken. So weiß man zum Beispiel, dass Menschen, die insgesamt eine positive Lebenseinstellung haben, weniger Rückenschmerzen haben als andere.
- Mangelnde Bewegung
Schwache Muskeln, zu wenig Flexibilität und schlechte Versorgung des Gewebes im Zwischenwirbelbereich durch mangelnde Bewegung erhöhen die Wahrscheinlichkeit für Rückenschmerzen.
- Rückkopplungseffekte
Man hat zum Beispiel Stress. Dieser verursacht Verspannungen, und Verspannungen lösen zum Beispiel Rückenschmerzen aus. Rückenschmerzen führen natürlich direkt zu mehr Stress, und sie provozieren wieder mehr Verspannungen. Rückenschmerzen bewirken auch ein Schonverhalten, und Schonung führt zu schwachen Rückenmuskeln. Schwache Rückenmuskeln lösen wiederum Rückenschmerzen und Verspannungen aus. Rückenschmerzen können auch psychische Probleme hervorrufen. Wen es ständig schmerzt, der wird sich sicherlich nicht wohlfühlen. Psychische Probleme führen zu mehr Stress und gesellschaftlicher Isolation. Man kann sich nicht mehr mit anderen freuen und zieht sich zurück. Jemand, der sich sozial isoliert fühlt, hat mehr Schmerzen. So entsteht ein Rückkopplungseffekt, bei dem das eine das andere verstärkt. Und irgendwann kommt dann noch hinzu, dass ein Schmerzgedächtnis entsteht, und die Rückenschmerzen an sich halten sich selbst aufrecht.
Yoga ist die optimale Strategie, um Rückenproblemen vorzubeugen oder vorhandene Rückenprobleme zu heilen. Natürlich gilt: obgleich Yoga die beste Methode ist – und die empirische Forschung gibt dem recht – muss Yoga manchmal mit anderen Strategien kombiniert werden. Da kann mal ein spezifisches Muskeltraining durch einen Sport- oder Physiotherapeuten hilfreich sein, oder eine spezialisierte Massage oder auch ein ABC-Pflaster. Eine Psychotherapie kann manchmal sinnvoll sein. Das Schöne im Yoga ist, dass es ein offenes System ist, kombinierbar mit vielem.
Ein paar Worte zum Hexenschuss und steifen Hals: Viele chronische Rückenprobleme beginnen mit einem Hexenschuss oder mit einem steifen Hals. Das schlimmste, was man bei einer plötzlich auftretenden krampfartigen Verspannung machen kann – nichts anderes ist ein Hexenschuss oder ein steifer Hals – ist, sich zu schonen. Ebenso schlimm ist, so weiterzumachen wie bisher. Das klügste, was man bei Hexenschuss oder steifem Hals machen kann, ist eine Kombination von drei Maßnahmen:
- Verspannung lösen
Das geht bei manchen mit ABC-Pflastern, mit einem heißen Bad, mit einer sanften Massage, und andere mögen einfach ein Schmerzmittel schlucken.
- Bewegung
Wenn man mit einem Hexenschuss drei Tage im Bett verbringt, vervierfacht sich das Risiko, dass die Rückenschmerzen chronisch werden. Jemand mit Hexenschuss oder steifem Hals sollte zum Beispiel spazieren gehen und die ganze Zeit mit kleinen Mikrobewegungen in Bewegung bleiben. Dies sollte aber nicht stärker schmerzen als Liegen oder Stehen.
- Anpassung der Yoga-Praxis
Man wird natürlich mit einem Hexenschuss nicht in die Vorwärtsbeuge hineingehen. Zumindest für ein paar Tage wird man den Sonnengruß und die Asana-Praxis erheblich anpassen müssen. Und beim steifen Hals sollte man natürlich auf den Kopfstand verzichten, und normalerweise auch auf Schulterstand und Fisch für 1-3 Tage.
Wenn man das beachtet, also Spannungen lindern, Stress des Alltags reduzieren, Bewegung, aber potentiell schädliche Bewegungen vermeiden, dann ist der Spuk typischerweise in wenigen Tagen vorbei und man kann normal weitermachen. Wer dagegen einen steifen Nacken oder auch einen Hexenschuss einfach ignoriert und mit seinem stressigen Alltag und vielleicht auch mit seiner bisherigen Yogapraxis exakt weitermacht, kann das ganze chronifizieren. Auch jemand, der sich gänzlich schont, kann die Sache chronifizieren. Wer aber das bei einem Hexenschuss oder steifem Nacken beachtet, was ich eben gesagt habe, der ist nach 1-4 Tagen wieder schmerzfrei.
Hier noch ein Hinweis: In diesem Beitrag gibt es einige medizinische Aussagen. Grundsätzlich gilt, dies sollten nur Anregungen sein. Sie können weder den Ratschlag noch die Behandlung oder Verschreibungen eines Arztes oder Heilpraktikers ersetzen. Sie sollen ergänzen, was aus yogischer und zum Teil empirischer Sicht in der Mehrheit der Fälle gut ist. Was im Einzelnen gut und richtig ist, muss ein Arzt oder Heilpraktiker herausfinden.
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Stark gekürzter Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.
Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.
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