Yoga hat sich in zahlreichen empirischen Studien als hilfreich bei Rückenproblemen erwiesen. Es gibt sogar einige Studien, die zeigen, dass Yoga die effektivste Strategie gegen Rückenprobleme überhaupt ist. Wann immer man Rücken-Yoga vergleicht mit der Wirkung von anderen, schulmedizinischen, auch sportlichen oder sportmedizinischen, physiktherapeutischen Interventionen, hat sich in den mir bekannten Studien Yoga als effektiver erwiesen.

Man könnte also hier schon abbrechen und könnte sagen: „Empirische Forschung zeigt, Yoga hilft, Rückenprobleme zu reduzieren, die Wahrscheinlichkeit für einen guten gesunden Rücken zu erhöhen und schmerzhafte Rücken zu vermindern.“ Aber ich will hier natürlich nicht aufhören. Du hast mich sagen hören „reduzieren, erhöhen, vermindern“. Yoga ist leider nicht das Allheilmittel: Nicht alle Menschen werden durch Yoga dauerhaft von Rückenbeschwerden befreit, aber es gibt einige, bei denen Yoga tatsächlich dauerhaft alle Rückenbeschwerden genommen hat.

Heute möchte ich ein paar Fakten nennen, zunächst aus der empirischen medizinischen Forschung und danach will ich auf Anatomie und Physiologie der Rückenprobleme eingehen. Zunächst einmal: Rückenprobleme sind sehr weit verbreitet. Rückenprobleme sind der dritthäufigste Grund, weshalb Arbeitnehmer in Deutschland krankgeschrieben werden. Grund Nr. 1 ist die Erkältung, Grund Nr. 2 sind heute psychische Erkrankungen, Grund Nr. 3 sind Rückenprobleme.

Noch vor zwanzig Jahren waren Rückenprobleme an zweiter Stelle der Gründe für eine Krankschreibung. Inzwischen sind die psychischen Erkrankungen im Vormarsch. Die Thematik der Rückenprobleme hat sich leicht verbessert durch den veränderten schulmedizinischen Ansatz zur Behebung von Rückenproblemen.

Gemäß Studien aus dem Jahr 2016 sind Rückenprobleme – nach psychischen Problemen – der zweithäufigste Grund für die Frühverrentung. Nach 2017 kann sich auch wieder etwas geändert haben.

Die prozentuale Wahrscheinlichkeit, dass jemand diese Woche Rückenprobleme hat, ist in etwa so hoch wie sein Alter. Von den Zwanzigjährigen haben aktuell etwa 20 % der Menschen Rückenprobleme, von den Fünfzigjährigen 50 % und von den Achtzigjährigen der größte Teil – also mehr als die Hälfte.

Fast jeder Mensch, hatte im letzten Jahr Rückenprobleme – vielleicht bis auf manche, die ausreichend Yoga üben. Rückenschmerzen sind sehr weit verbreitet und im Laufe des Alterns werden sie nicht weniger sondern mehr.

Warum haben die Menschen so häufig Rückenprobleme? Hier gibt es vieles, was man dazu sagen kann und ich werde es im nächsten Vortrag noch weiter ausbauen.

Eine Ursache dafür ist: Der Mensch steht nicht nur auf zwei Beinen, er geht und bewegt sich auch auf zwei Beinen, was etwas Hochkomplexes ist. Evolutionsbiologisch heißt es, dass der Rücken ursprünglich an den Vierfüßlerstand angepasst wurde. Katzen, Hunde, Füchse, Pferde, Kaninchen und auch Fische haben trotz der ähnlich aufgebauten Wirbelsäule keine Rückenprobleme wie der Mensch sie hat. Nur der Mensch hat statt der einfachen Rückenrundung die doppel-S-förmige Kurve in der Wirbelsäule, die dem Menschen ermöglicht, dass er stehen kann. Das Gleichgewicht ist sehr prekär und es kann schnell Verspannungen geben. Über Rückkopplungseffekte kann die Verspannung immer schmerzhafter werden und kann zu chronischen Rückenproblemen führen. Der zweibeinige Stand und der aufrechte Gang sind vermutlich mit dafür verantwortlich, warum der Mensch zu Rückenproblemen neigt.

Die meisten Rückenprobleme sind unspezifische oder funktionale Rückenbeschwerden. Im Röntgenbild oder im MRT (Magnet-Resonanz-Tomografie) lässt sich nichts finden, was diese Rückenprobleme erklären würde. Die wenigsten Rückenprobleme haben also eine spezifische oder damit auch konkret behandelbare Ursache.

Allerdings können Rückenprobleme auch ein Anzeichen für eine ernsthafte Erkrankung sein. Deshalb sollte man länger anhaltende Rückenschmerzen, die sich durch Yoga nicht auflösen lassen, durchaus medizinisch abklären lassen. Knochentumore und Erkrankungen der Bauchorgane, des Magens, der Leber, des Zwölffingerdarms sowie der Nieren können zum Beispiel als Schmerzen in den Rücken ausstrahlen. Auch bestimmte Krebserkrankungen im Bauchraum können sich als Rückenschmerzen bemerkbar machen. Es sollte medizinisch geklärt werden, ob eine solche Erkrankung die Ursache für die Rückenschmerzen ist.

Wie ist die Wirbelsäule aufgebaut?

Jede Wirbelsäule besteht aus einzelnen Wirbeln, die einen Wirbelkörper mit drei Wirbel- oder sogenannten Dornfortsätzen haben. Diese verbinden sich durch eine knöcherne Struktur, die als Wirbelbogen bezeichnet wird und ein Loch entstehen lässt für den Rückenmarkskanal. Der Wirbelkörper ist wichtig, denn darauf kann das gesamte Gewicht lasten. Mit seiner Masse kann er die Statik herstellen. Die Dornfortsätze sind wichtig, weil hier die Muskeln ansetzen. Von den Wirbeln gehen sehr viele Muskeln aus, dafür braucht es die Fortsätze, die voluminös genug sind, dass dort große und starke Muskeln ansetzen können.

Die Bandscheiben als ein wichtiger Bestandteil der einzelnen Wirbel sind ein interessantes Gewebe. Sie bestehen aus einem Faserring mit einem Gallertkern in der Mitte. Der Faserring besteht aus einem festen Material, einem Bindegewebe wie Bänder oder auch Sehnen. In der Mitte gibt es den Gallertkern, der für die Beweglichkeit sorgt. Dadurch kann die Wirbelsäule nach rechts und links geschoben werden. Die Wirbelkörper können auf der Bandscheibe vor und zurück und nach links und rechts verdreht werden. Der Faserring sorgt dafür, dass die Wirbel zusammenbleiben. Das Kissen gebildet aus dem Gallertkern sorgt für eine gewisse Stabilität – eigentlich eine geniale Konstruktion, die viele Jahrzehnte hält. Im Lauf des Lebens allerdings geht ein Teil des Gallertkerns verloren. Die Wirbelzwischenräume werden kürzer, ein Grund weshalb Menschen mit siebzig kleiner sind als sie mit dreißig waren. Ein weiterer Grund liegt darin, dass die Krümmung der Wirbelsäule etwas zunimmt, besonders die Krümmung der Brustwirbelsäule. So sind Menschen über siebzig ein paar Zentimeter kleiner als mit dreißig.

Die Bandscheibe kann auch vorfallen, das nennt sich Protrusion. Die Bandscheibe kann nach hinten oder zur Seite austreten. In der Nucleus-pulposus-Hernie läuft der Gallertkern zur Seite aus. Früher nahm man an, dass dies eine Ursache für Schmerzen sein könnte. Heute ist die Bandscheibenhypothese als Ursache von Rückenschmerzen überholt. Normalerweise gehen Orthopäden recht entspannt mit der Diagnose von Bandscheibenvorfällen oder Nucleus-pulposus-Hernie um und sagen, dass es keine große Rolle spiele. Ausnahme wären Bandscheibenvorfälle in der Halswirbelsäule, die als Ursache für Gefühlsstörungen oder gar Lähmungen in den Fingern eine Rolle spielen könnten. Missempfindungen in den Füßen, vielleicht sogar die Unfähigkeit, die Zehen zu bewegen, könnten auf Bandscheibenvorfälle in der Lendenwirbelsäule zurückgehen.

In den meisten Fällen heilt die Bandscheibe von selbst, meist in einem Zeitraum von ein bis zwei Jahren unabhängig davon, ob man Operationen macht oder nicht.

Eine Theorie für die Ursache von Rückenschmerzen ist, dass diese Gewebe verklebt sind oder dass sich die Zwischengelenke nicht mehr bewegen können. Weil die Zwischengelenke verspannt sind, können die anderen Muskeln nicht die Bewegungen ausüben, die sie eigentlich machen wollen und fangen an, sich zu verspannen.

Daher ist es wichtig, die Wirbelgelenke gesund zu erhalten,. indem man sie bewegt. Bewegung heißt nach vorne, nach hinten, nach links, nach rechts und gedreht nach links und nach rechts. Das gilt auch für die anderen Gelenke wie Knie-, Hüft-, Schulter-, Ellbogen- und Handgelenke. Ein Gelenk braucht Bewegung und zwar in alle Richtungen für die es geschaffen ist. So brauchen auch die Zwischenwirbelgelenke Bewegung nach vorne, nach hinten, nach links, nach rechts und auch gedreht. Dann bleiben sie gesund und der Körper regeneriert diesen Teil.

Der nächste Bestandteil der Wirbelsäule sind die Bänder. Das vordere Längsband geht vorne an der Wirbelsäule entlang. Die seitlichen Längsbänder verlaufen links und rechts der Wirbelsäule.

Zusätzlich gibt es Muskeln, die die Wirbel miteinander verbinden. Es gibt Muskeln, die von der Wirbelsäule ausgehen, einmal zu den Rippen, von Wirbel zu Wirbel, von den Wirbeln zum Schlüsselbein, von den Wirbeln zum Oberarmknochen, von den Wirbeln über das Gesäß zum Oberschenkelknochen, von den Wirbeln nach vorne auf die vorderen Beine – der Musculus psoas. Man kann sagen, von den Wirbeln aus gehen Muskeln überall hin. Von den Wirbeln geht auch Bindegewebe zu den einzelnen Organen im Bauch- und Brustraum; damit hängen all unsere Organe letztlich an der Wirbelsäule.

Der Rücken besteht aus der Wirbelsäule, den Muskeln, die von der Wirbelsäule abgehen, den Rippen im Brustbereich, von denen auch wieder Muskeln abgehen. Auch die Beckenschaufeln im Kreuzbereich gehören zum Rücken, von denen wiederum Muskeln zur Wirbelsäule hin und zu den Beinen abgehen.

Noch etwas zu den Abschnitten der Wirbelsäule:

Im Yoga gehen wir von unten nach oben. Die Kundalini (Energie bzw. schöpferische Kraft im Menschen) geht vom Muladhara Chakra (Wurzel-Chakra am unteren Ende der Wirbelsäule) zum Sahasrara Chakra (Kronen-Chakra am Scheitelpunkt am Kopf).

In der Medizin macht man es umgekehrt und geht von oben nach unten.

Die sieben Halswirbel heißen C1 bis C7 (C steht für cervikal). Der oberste Halswirbel C1 bildet das Atlas-Schädel-Gelenk, auf dem der Schädel ruht und dadurch der Kopf vor- und zurückgeht. Die weiteren Wirbel haben eine gewisse Flexibilität nach vorne, hinten, links, rechts und so kannst du den Kopf stark nach rechts und nach links drehen oder nach links oder rechts beugen, was über die anderen Wirbel der Halswirbelsäule geschieht.

Von den 12 Brustwirbeln gehen die Rippen aus. Von jedem Brustwirbel geht ein Rippenpaar ab. Sie heißen auch echte Rippen und sind über Knorpel direkt mit dem Brustbein verbunden. Die unechten Rippen, die nicht über Knorpel mit dem Brustbein verbunden sind, stehen über Bänder und Muskeln mit den anderen Rippen in Verbindung. Die Brustwirbelsäule ist am wenigsten flexibel, weil sie mit den Rippen verbunden ist. Aus der Brustwirbelsäule heraus geschieht die Rumpfdrehung.

Die Lendenwirbelsäule mit 5 Wirbeln ist besonders nach hinten und bis zu einem gewissen Grad nach vorne flexibel. Sie sind die größten der Wirbel, auf ihnen ruht das größte Körpergewicht. Und weil sie nicht die zusätzliche Statik durch Rippen haben, muss die ganze Statik in den Wirbeln selbst liegen. Die Lendenwirbel haben sehr große Wirbelkörper mit sehr langen und breiten Wirbelfortsätzen. Auch die angesetzten Muskeln sind besonders groß, da sie in den Beinen enden, die das meiste Gewicht tragen.

Unterhalb schließt sich das Kreuzbein an, das einige Wirbel hat, die miteinander verwachsen sind. Am Kreuzbein sind die Beckenschaufeln, dazwischen liegt das sogenannte Iliosakralgelenk, auch Hüftkreuzbeingelenk genannt. Es ist eine Gelenkfläche, auf der eine gewisse Flexibilität nach oben und unten sowie nach links und rechts möglich ist. Wenn die Flexibilität zu hoch ist, kann das zu Problemen im Kreuzbeinbereich führen. Sie darf aber auch nicht zu niedrig sein, weil das zu Verkrampfungen im Kreuzbeinbereich führen kann mit der Folge von Rückenschmerzen.

Zuletzt schließt sich das Steißbein an. Es hat wenig weitere statische Funktion. Man nimmt an, dass es sich beim Menschen um einen verkümmerten Schwanz handelt (wie ihn Hunde, Katzen, Pferde und Affen haben), der sich beim Menschen zurückgebildet hat.

 

 

Kurze Zusammenfassung zur Anatomie

Die Wirbelsäule hat drei Hauptfunktionen – Statik, Bewegung, Schutz des Rückenmarkskanals

Die Wirbelsäule besteht aus Wirbeln, Bandscheiben und Zwischenwirbelgelenken. Um die Wirbel sind Sehnen. In den Wirbeln verläuft der Rückenmarkskanal. Die Wirbel sind miteinander und mit anderen Knochen über Muskeln und Bänder verbunden. An den Wirbeln sind Bindegewebe, die die Organe an ihrem Platz halten.

An der Wirbelsäule sind auch die anderen Knochenstrukturen wie Beckenschaufel zu den Beinen, Rippen, Schlüsselbeine, Schulterblatt zu den Armen und oben der Kopf.

Für die Gesundheit der Wirbelsäule sind vor allem Muskeln wichtig. Sie müssen entspannt, stark und flexibel sein. Das ist die beste Versicherung gegen Rückenprobleme.

Hier noch ein Hinweis: In diesem wie beim nächsten Vortrag gibt es einige medizinische Aussagen. Grundsätzlich gilt, dies sollten nur Anregungen sein. Sie können weder den Ratschlag noch die Behandlung oder Verschreibungen eines Arztes oder Heilpraktikers ersetzen. Sie sollen ergänzen, was aus yogischer und zum Teil empirischer Sicht in der Mehrheit der Fälle gut ist. Was im Einzelnen gut und richtig ist, muss ein Arzt oder Heilpraktiker herausfinden.

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Stark gekürzter Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

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