„Wenn du jemandem beibringen willst, wie man ein guter Seemann wird, dann erzähle ihm nicht so viel über die verschiedenen Arten von Schiffen, über die Geschichte der Schifffahrt, auch nicht so viel über die verschiedenen Knoten und Segel, sondern schwärme ihm über das Meer vor. Dann wird er sich darum kümmern, ein guter Seemann zu werden.“

Und so will ich dir über die Zukunft und die zukünftigen Schritte deines Lebens vorschwärmen.

Shubheccha heißt Sehnsucht nach der Wahrheit. Iccha kann man hier übersetzen als Sehnsucht und Shubha als Wahrheit, das Gute, die tiefe Wirklichkeit.

Vicharana ist das rechte Streben, man könnte auch sagen, das bewusste Praktizieren. Spirituelle Aspiranten befinden sich typischerweise auf der Vicharana-Stufe. Sie fluktuieren manchmal in Richtung Shubheccha und Tanumanasa.

Tanumanasa ist Transparenz des Geistes, Erfahrung göttlicher Gegenwart, tiefe Meditation, das Gute wollen und umsetzen. Dann folgt Sattvapatti.

Sattvapatti bedeutet Erlangen von Reinheit. Sattva hast du schon oft genug gehört, Apatti heißt, etwas erreicht haben. Man könnte sagen, Sattvapatti ist wie die Steigerung von Tanumanasa. Auf der Stufe von Sattvapatti wird aber ein bestimmter Bewusstseinszustand erreicht, der als Savikalpa Samadhi bezeichnet wird.

Samadhi ist das Überbewusstsein. Sa heißt mit, Savikalpa bezeichnet einen Bewusstseinszustand, der aber noch mit einem Gedanken, mit einer individuellen Bewusstheit, verbunden ist. Charakteristisch ist das Auftauchen von Siddhis, von übernatürlichen Kräften. Was heißt das? Man kann sagen, Samadhi ist die Steigerungsform von Dhyana. In Samadhi hört Denken im Sinne von Worten, Bildern und individuellen Gefühlen auf. Samadhi ist ein überbewusster Zustand, in dem Sat Chit Ananda erfahrbar wird. Sat heißt Einheit mit allem Sein, Chit heißt reines Bewusstsein, Ananda heißt unendliche Freude. Es ist aber noch Savikalpa Samadhi, das heißt, es gibt noch jemanden, der das alles erfährt, es ist noch nicht die vollständige Einheit.

Über diesen Bewusstseinszustand zu sprechen ist schwierig, deshalb werde ich es gar nicht erst übermäßig probieren. Es ist ein überbewusster Zustand, in dem unser Gefühl von Zeit, Raum und Kausalität verschwindet. Worte und Bilder verschwinden, Unterschiede verschwinden, aber es ist noch nicht die vollständige Erfahrung der Einheit.

In diesem Zustand erwachen auch die Siddhis, und die Siddhis sind die außergewöhnlichen Fähigkeiten, die übernatürlichen Kräfte. Diese Kräfte sollte man nicht missbrauchen.

Es heißt, auf der Stufe von Sattvapatti ist die große Versuchung, dass ein Meister/eine Meisterin die Siddhis übermäßig gebraucht und deshalb einen Absturz erlebt. In diesem Stadium ist besonders wichtig, so ins Sattva zu kommen, dass man in das grenzenlose Vertrauen Gottes gelangt. Dann kann Gott durch einen Meister/eine Meisterin Wunder bewirken. Man wird in keiner Tradition Heilige finden, in der es nicht auch Wundergeschichten gibt. Schüler von Swami Sivananda haben in dem Buch „Miracles of Sivananda“ viele solcher Geschichten gesammelt. Es sind verschiedenste Wunder geschehen, aber Swami Sivananda ist nicht umhergelaufen und hat sich als großer Wundertäter ausgegeben. Wenn man ihn darauf angesprochen hat, hat er nur gesagt „The Grace of God is doing everything“ (Die Gnade Gottes macht alles).

Wenn du also auf die Ebene von Sattvapatti kommst und merkst, du kannst außergewöhnliche Dinge bewirken, dann versuche nicht, aus dem Ego heraus ins Karma Anderer einzugreifen. Bitte um Gottes Führung, bete für den anderen Menschen, dann wirst du geführt werden. Eventuell geschieht durch dich ein Wunder, eventuell aber auch nicht, wenn es im Karma des Anderen ist, auf eine andere Weise zu wachsen. Hier besteht durch die besonderen Fähigkeiten, die man entfaltet, die große Versuchung, zu sehr eingreifen zu wollen und Dinge aus eigenem Wunsch heraus zu tun, statt grenzenloses Vertrauen in das göttliche Wirken zu entwickeln und es durch einen hindurch wirken zu lassen. Selbst ein Mitgefühl kann dann in die Begrenzung führen.

Manchmal kommt das Gefühl auf, nicht zu wissen, was für den Anderen gut ist. Auf der Sattvapati-Ebene hast du sehr viel mehr Möglichkeiten, Dinge zu tun, Menschen zu helfen. Umso wichtiger ist es, dort demütig zu bleiben, Instrument zu sein. Wenn du der Versuchung, deine Siddhis zu stark gebrauchen und ins Schicksal Anderer eingreifen zu wollen, widerstehen kannst, dann fällst du in Asamsakti (Nichtberührtsein).

 

 

Zusammenfassend kann gesagt werden:

Kultiviere Mumukshutva – den Wunsch nach Befreiung.

Erkenne, nichts in dieser Welt macht dich dauerhaft glücklich – Vairagya.

Unterscheide zwischen dem, was wirklich wichtig ist, und dem was nicht wirklich ist – Viveka.

Kultiviere eine gewisse Grundgelassenheit gegenüber den Wechselfällen des Lebens – Shatsampat.

Gehe den spirituellen Weg im Bewusstsein der sieben Prinzipien der Spiritualität.

Sei dir bewusst, hinter allem ist eine göttliche Wirklichkeit – Brahman –, dass du momentan in einer beschränkten Weltsicht bist – Maya – und dass innerhalb der Maya kein Glück zu finden ist.

Duhkha – Leiden –  ist in dieser Welt existentiell.

Es gibt aber Moksha und es rentiert sich, danach zu streben. Um dorthin zu kommen, übe –  Abhyasa.

Lebe dein Leben bewusst und gehe davon aus, das Leben schenkt dir die richtigen Lektionen –  Karma.

Und vertraue der Gnade Gottes, du kannst nicht alles machen, die Gnade ist für Vieles verantwortlich – Kripa.

Übe die rechte spirituelle Praxis –  Abhyasa. Sie beinhaltet die vier S:

Sadhana im engeren Sinne: sei regelmäßig mit der Praxis von Asanas, Pranayama und Meditation.

Übe einen sattwigen Lebensstil, d.h. einen, der rein ist, der ethisch ist, und der dir hilft, spirituell zu wachsen.

Übe Seva im Sinne von uneigennützigem Dienen.

Gehe regelmäßig zum Satsang – spirituelle Praxis mit Anderen.

Plane, geschickt mit deinen Wünschen und Bedürfnissen –  Purushartas –  umzugehen. Du hast emotionale und sinnliche Bedürfnisse –  Kama. Befriedige diese auf sattvige Weise. Du hast Bedürfnisse nach finanzieller Absicherung, nach Erfolg und Anerkennung. Habe auch eine Ethik im beruflichen Alltag –  Artha. Du hast Ideale, was du bewirken willst –  Dharma –, und du spürst, dass du deine Talente entfalten willst. Gehe dem auf sattvige Weise nach.

Und sei dir bewusst, dass du auch in der spirituellen Praxis sattvig, rajasig und tamasig sein kannst. Gehe den spirituellen Weg sattvig. Besondere Herausforderungen sind natürlich auch Partnerschaft, Familie und Beruf. Nimm aber deine Partnerschaft als Teil des spirituellen Weges. Mit einen Menschen zusammen zu wachsen, kann etwas sehr Schönes sein. Und wenn du keine Partnerschaft hast, dann sei auch zufrieden. Denn auch ein Leben ohne Partner/Partnerin kann helfen, noch intensiver den spirituellen Weg zu gehen.

 

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Stark gekürzter Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

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