Ich hatte schon über die sieben Bhumikas gesprochen: śubhecchā, vicāraṇā, tanumānasā, sattvāpatti, asaṃsakti, padārthābhāvinī und turiyagā.

Tanumanasa ist die dritte der sieben Bhumikas. Tanu heißt ‚dünn‘/‚ausdünnen‘ und manas ist der Geist. Manasa ist der Zustand des Geistes. Tanumanasa ist der Zustand des Geistes, gekennzeichnet durch Transparenz. Deshalb kann man Tanumanasa am besten übersetzen als „Transparenz des Geistes“, „durchlässig werden“.

Gottesbewusstsein als Charakteristikum von Tanumanasa

Tanumanasa ist zum einen gekennzeichnet durch Sattva. Sattva heißt Reinheit, Helligkeit, Leuchten, Strahlen. Jemand, der sich im Tanumanasa-Stadium befindet, ist jemand, der sich leicht fühlt, der Licht spürt. Tanumanasa ist auch insbesondere verbunden mit Ananda und Prema.

Ananda heißt Freude, grundlose Freude. Jemand in Tanumanasa braucht nichts Äußeres, um Freude zu haben, sondern hat regelmäßig Zugang zur Freude in seinem Selbst. Freude der Verbindung mit anderen Menschen. Freude, letztlich Gott zu erfahren. Freude, sich mit der Natur eins zu fühlen. Ananda ist die Freude der Seele. Deshalb spürt jemand, der in Tanumanasa ist, die Tiefe seiner Seele in sich, die Tiefe der Seele in allen, mit denen er/sie es zu tun hat, und das Göttliche hinter allem.

So könnte man auch sagen, das Charakteristikum von Tanumanasa ist ein gewisses Gottesbewusstsein. Noch nicht das vollständige Gottesbewusstsein, es ist mehr das Bewusstsein der Gegenwart Gottes. Man sagt manchmal auch Chaitanya. Chit ist die eigene Bewusstheit, das Bewusstsein an sich. Und Chaitanya ist das Bewusstsein, das aus dem Bewusstsein des Bewusstseins geprägt ist (einer der vielen Bedeutungen von Chaitanya).

Also ist Tanumanasa eine innere Reinheit, eine Freude aus der Erfahrung der göttlichen Gegenwart. Daraus entsteht auch Prema. Prema ist eine Liebe zur Schöpfung, Liebe zur Natur, Liebe zu Gott, Liebe zu den Menschen.

Meditation geschieht von selbst und man will das Gute

Charakteristisch für Tanumanasa ist ein regelmäßiger Zugang zu den Tiefen der Meditation, zu Dhyana. Es gibt ja die verschiedenen Stufen der Meditation ‒ Asana, Pranayama, Pratyahara, Dharana, Dhyana und Samadhi ‒ und Dharana ist also die Fähigkeit zur Konzentration, und Dhyana ist der meditative Gemütszustand. Meditation geschieht von selbst. Man ist in tiefer Meditation und erfährt in der Meditation Ananda, Freude. Man erfährt natürlich auch Chit, Ausdehnung des Bewusstseins, und Sat, Verbindung mit allem Sein.

Charakteristisch für Tanumanasa ist auch, dass man will, was gut ist. Ich hatte schon mal über das Gute und das Angenehme gesprochen und kann sagen, in Tanumanasa wird die höhere sattvige Freude erfahren: Man will, was gut ist.

In Tanumanasa stellt sich nicht die Frage, überwinde ich mich morgens dazu, zu meditieren, überwinde ich mich abends zu meditieren, überwinde ich mich, zu Menschen freundlich zu sein. Man will das schlichtweg, man freut sich darauf, zu meditieren, man freut sich darauf, anderen zu helfen und zu dienen. Man freut sich, wenn man behilflich sein kann, man freut sich einfach, dass man etwas Gutes bewirken kann.

 

Spirituellen Hochmut vermeiden

Die Erfahrung im Tanumanasa-Stadium ist eine großartige, eine wunderbare. Hier bist du voller Freude, du magst, was gut ist und genießt spirituelle Praktiken. Wenn du dann aber mit Menschen in Kontakt kommst, denen es schwer fällt, täglich zu meditieren, die nicht in der Lage sind, ihre Yogaübungen auszuführen, immer wieder in Trägheit und Selbstmitleid versinken, ihre Fassung verlieren und schimpfen oder sich nicht an die Ernährungsratschläge halten können, ist es leicht, hochmütig zu werden, den Anderen vielleicht sogar zu sagen: „Du bist noch nicht so weit.“ Es ist leicht, dir selbstzufrieden auf die Schulter zu klopfen und zu sagen: „Schön, dass ich weiter bin als dieser Mensch.“

Aber Hochmut kommt vor dem Fall. Und ich erlebe es immer wieder, dass ernsthafte Aspiranten anfangen, hochmütig zu sein, sich über Andere erheben, auf Andere hinabschauen und danach selbst genau die Fehler machen, über die sie sich vorher mokiert haben.

Das gilt natürlich nicht nur im Tanumanasa-Zustand, das gilt immer und überall: Bleibe demütig!

Vielleicht bist du nur in spirituellen Flitterwochen, und alles ist in ein paar Tagen wieder vorbei. Oder vielleicht ist in der Person, die jetzt gerade Schwierigkeiten hat, ein/e ganz große/r Heilige/r, und er/sie muss nur dieses Karma überwinden und erreicht dann sehr schnell die Gottverwirklichung.


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Stark gekürzter Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

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