Eine wichtige Eigenschaft auf dem spirituellen Weg ist Toleranz. Im Yoga sprechen wir immer von Sattva, Rajas und Tamas. Und als Schüler – als Chela oder Shishya – gilt es, sattvig zu sein.
Ich hatte auch in früheren Vorträgen über die sogenannten vier Purusharthas gesprochen, also die vier Hauptmotivationen des Menschen:
- Kama (ohne „r“) – sinnliche und emotionelle Bedürfnisse
- Artha – Bedürfnisse bezüglich Absicherung, Sicherheit, Geld und auch Macht
- Dharma – der Wunsch, etwas Gutes in dieser Welt zu bewirken wie auch seine eigenen Fähigkeiten zu kultivieren
- Moksha – der Wunsch nach Gottverwirklichung, nach Erleuchtung, nach Befreiung
Ich nehme an, du bist jemand, der den Wunsch nach Dharma und nach Moksha besonders stark empfindet, denn sonst würdest du diese Vortragsreihe vermutlich nicht anschauen. Toleranz ist dabei sehr wichtig.
Man kann auf sattvige, rajasige und tamasige Weise nach Dharma streben. (Darüber habe ich schon mal in einem anderen Vortrage gesprochen).
Es gibt zwei Arten von Dharma. Das eine ist Dharma im Sinne von das zu leben, was in einem steckt; seine Talente und Fähigkeiten zu entfalten. Dazu gehört auch Selbstliebe und das zu tun, was aus einem herauskommen will. Hier gilt es auch, tolerant zu sein, einfühlsam und anpassungsfähig. Denn wenn jeder nur das tut, was er im Inneren spürt und einfach durchsetzt, was er mag, dann gibt es viele Konflikte.
Wertschätzung ist noch besser als Toleranz
Um Gutes zu erreichen gilt es auch, mit anderen zusammenzuwirken. Und so ist es wichtig, dass du verstehst: Du hast deine tiefen Bedürfnisse, deine Anliegen und auch deine Persönlichkeit. Der Andere hat seine Bedürfnisse, seine Anliegen, seine Persönlichkeit. Wenn es dir nur darum geht, was du leben willst, dann bist du intolerant gegenüber Anderen. Toleranz heißt also, du willst gerne das tun, wovon du von innen heraus merkst, dass du es tun möchtest, aber du beziehst auch ein, dass Andere um dich herum das ebenso machen wollen.
Eigentlich ist Toleranz nicht ausreichend. Toleranz heißt ja, man toleriert es. Das heißt, man mag es eigentlich nicht, aber man toleriert es. Das ist schon mal gut. Noch besser wäre Wertschätzung. Gehe wertschätzend damit um, dass Andere Anderes machen wollen. Und solange das, was Andere tun, nicht grob gegen ethische Grundsätze verstößt, erfordert es deine Toleranz und noch mehr deine Wertschätzung für das, was Menschen tun wollen.
Toleranz und Wertschätzung zum Wohl des übergeordneten Guten
Toleranz gilt es auch in Bezug darauf zu üben, was du Gutes bewirken willst in dieser Welt. Und hier wird’s manchmal schwierig. Da spreche ich auch aus Erfahrung.
Ich bin zum Beispiel ein Mensch, dem es auch sehr um die Ökologie geht. Für mich heißt Ökologie auch, wenig Autofahren. Für mich heißt Ökologie auch, wenig zu heizen. Für mich heißt Ökologie auch, wenig zu kaufen. Wenn ich jetzt aber ständig Leuten sage, dreht eure Heizung ab, im Winter braucht’s nicht mehr als 15 Grad, dann würden übergeordnete Sachen nicht umgesetzt werden können. Es gibt nun mal Menschen, die meinen, sie brauchen auch im Winter 21 Grad. Und es gibt Menschen, die in Yogakurse gehen und wenn der Raum unter 20 Grad hat, dann fühlen sie sich nicht wohl und kommen nicht mehr. Da ist niemandem mit gedient.
Und so ist es wichtig, seine eigenen hohen Ideale zu haben, für sich selbst sehr konsequent zu sein, und dann zu schauen, wie kann man zum Wohl des übergeordneten Guten eine gewisse Toleranz und Wertschätzung für Andere haben.
Ich bin zum Beispiel auch ein konsequenter Veganer. Ich bin der festen Überzeugung, die vegane Ernährung ist die einzig richtige. Ich meine, es ist unethisch, dass man Milchprodukte zu sich nimmt. Man kann keine Milchprodukte haben ohne Leid zu erzeugen, Leid für die Kühe, Leid für den Planeten Erde. Und man kann natürlich auch kein Fleisch essen ohne Leid zu erzeugen, denn kein Tier stirbt gerne. In diesem Sinne müsste man sehr konsequent sein.
Für mich selbst bin ich sehr konsequent. Aber wenn ich jeden ständig beschimpfe, der nicht vegetarisch und nicht vegan ist, gäbe es Probleme. Vermutlich wäre noch nicht einmal Yoga Vidya als eine große spirituelle Gemeinschaft führbar, wenn es nicht auch Menschen gäbe, die nicht vegan, aber vegetarisch sind.
Und so gilt es, zum Wohl des übergeordneten Ganzen eine gewisse Toleranz zu haben und dabei letztlich auch Respekt.
Dazulernen durch Toleranz
Meistens ist es gut, eine Hauptrichtung zu haben und von anderen zu lernen.
Meine Hauptrichtung ist zum Beispiel der Yoga Vedanta. Aber ich habe Vieles gelernt aus meinen zahlreichen Gottesdienstbesuchen, z.B. in der Bad Meinberger evangelischen Kirche. Ich habe Vieles gelernt durch das, was ich über andere Traditionen gelesen habe sowie durch Besuche, Workshops und Vorträge von buddhistischen Lehrern und Sufi-Meistern.
Ich habe von vielen Meistern verschiedener Traditionen gelernt und Vieles davon integriert.
Und ich habe Einiges gelernt von Menschen, die sich als Atheisten bezeichnen und dennoch hohe ethische Ideale haben. Manchmal habe ich feststellen können, dass atheistische Menschen besonders hohe ethische Ideale haben und diesen mit besonderer Konsequenz folgen. Auch davon hab ich viel lernen können.
Jetzt kannst auch du überlegen: Wie gehst du mit anderen religiösen und spirituellen Richtungen um? Lernst du von anderen Richtungen? Hast du auch Toleranz gegenüber denen, die Dinge anders sehen als du? Und wo sind Grenzen der Toleranz erreicht, zu denen du vielleicht etwas sagen oder staatliche Stellen einschalten musst?
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Stark gekürzter Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.
Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.
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