Shubheccha heißt Sehnsucht nach Wahrheit. Es folgt eine Geschichte über das Erwachen von Rama wie sie im Yoga Vasishtha erzählt wird, einer Yogaschrift auf der auch das Konzept der sieben Bhumikas beruht. Ich nehme mir einiges an erzählerischer Freiheit, wie das in den spirituellen Traditionen üblich ist.

Es war einmal vor langer Zeit ein Königssohn, der hieß Rama. Dieser Rama sollte in naher Zukunft den Thron besteigen. Sein Vater Dasharatha freute sich darüber, dass Rama langsam erwachsen wurde. Er selbst wollte sich zurückziehen und seinen Lebensabend genießen. Rama, der Königssohn bat seinen Vater: „Lass mich einmal durch das ganze Königreich reisen, lass mich inkognito reisen, lass mich sehen, was die Menschen wollen und was sie beschäftigt. Wenn ich das Königreich regieren soll, ist es wichtig zu wissen, was die Menschen im Königreich machen und was sie beschäftigt. Wo ihre Probleme sind, was sie von der Regierung erwarten, was sie sich erhoffen, sollte in meinem Wissen sein“. Dasharatha war darüber froh und Rama reiste durch das ganze Königreich.

Nach einiger Zeit, einigen Monaten, vielleicht länger, kam Rama zurück. Er war transformiert. Rama ging  voller Freude, Enthusiasmus, Humor war, voller Heiterkeit war plötzlich müde, traurig, depressiv, melancholisch auf die Reise. Er, der so viel Freude hatte zu reiten und auf Tanzveranstaltungen dabei zu sein, wollte fast nichts mehr machen. Er blieb in seiner Kammer. Zog sich zurück und nur ab und zu kam er heraus. Aber der Lebensmut war aus ihm draußen. Dasharatha machte sich verständlicherweise große Sorgen um seinen Sohn. Er rief die ganzen Ärzte des Königreichs. Sie fassten den Puls, schauten auf die Zunge und betrachteten Rama im Gesamten: „Körperlich ist alles in Ordnung“. Damals gab es noch keine Psychologen und keine Psychopharmaka. Es gab Ayurveda Stärkungsmittel, die Rama verschrieben wurden, aber die nutzten nichts.

 

Dasharatha rief die Weisen seines Landes zusammen und bat sie, sich Rama anzuschauen. Sie sollten herauszufinden, was mit ihm fehle. Die Weisen kamen und es gab einen Weisen namens Vishvamitra. Auf der Versammlung der Weisen bat er den König, seinen Sohn Rama herzuholen. Rama kam in den Raum und Vishvamitra ging zu ihm hin. Er stelle Ramadie Frage: „Rama, sag mir, was ist los mit dir? Was bedrückt dich?“ Rama hatte jetzt das Gefühl, dass zum ersten Mal jemand war, der wirklich fragte. Vorher als die Ärzte, Dasharatha oder seine Geschwister ihn fragten, hatte er immer das Gefühl gehabt, dass sie sich nicht wirklich dafür interessieren, was ihn beschäftigt. Sie sahen nur, dass er so wie er ist, es nicht richtig ist. Sie überlegzen nur, wie sie ihn ändern können. Bei Vishvamitra merkte er tatsächliches Interesse. Er merkte, dass er wirklich wissen wollte, was in ihm vorging.  

Jetzt sprudelte es aus Rama heraus: „Ich war in meinem Königreich, bin Monate gereist, habe mit Menschen gesprochen und festgestellt, dass kein Mensch wirklich glücklich ist. Menschen leiden unter Verlusten, sind krank. Menschen werden krank und die Menschen, welche sich eine Weile erholt haben, haben einen Unfall, verlieren ihre körperlichen Fertigkeiten, irgendwann sterben sie. Oh Vishvamitra, vor dem Hintergrund der Sterblichkeit der Menschen und dass alles einmal zu Ende ist und dass das Leben in Krankheit, Alter und Tod endet, wie könnte ich da glücklich sein? Ich soll ein Königreich regieren und soll Menschen helfen, glücklich zu werden. Ich bin in dem Wissen, dass alle Menschen irgendwann sterben werden. Viele leiden unter Krankheiten und unter Unfällen. Menschen haben Wünsche, aber die Wünsche machen sie nur unglücklich. Menschen haben einen Wunsch und der Wunsch geht nicht in Erfüllung. Sie leiden und sind unglücklich als Konsequenz. Geht der Wunsch in Erfüllung, vielleicht nachdem sie vieles dafür getan haben, das zu erreichen, verlieren sie das Objekt des Wunsches wieder und leiden als Konsequenz. Die Menschen haben einen Wunsch, wollen es erreichen. Sie erreichen es und dann bleibt es mit ihnen. Sie stellen fest, es bringt ihnen nicht das dauerhafte Glück, das sie sich erhofft haben. Menschen streben nach Reichtum, erlangen einen gewissen Reichtum, leisten sich das Haus, das sie bauen wollten und danach fühlt es sich schal an. Menschen streben nach einer bestimmten Stellung, tun alles um sie zu erreichen und merken, es fühlt sich nicht richtig an. Oh Vishvamitra, wie kann ich ein Königreich regieren, wo ich weiß, dass alles was ich tue, die Menschen nicht glücklich machen wird? Oh Vishvamitra, Menschen denken immer, andere sind glücklicher. Menschen haben auf der einen Seite Angst vor dem Tod und verdrängen andererseits, dass sie irgendwann sterben werden.  

Der Knecht denkt, dass der Bauer glücklich ist, der Bauer glaubt, dass der Kaufmann, der mehr Geld hat, glücklich ist, der Kaufmann denkt, dass die Adeligen, die eine bessere Stellung haben, glücklich sind und die Adeligen denken, dass der König glücklich ist.

Oh Vishvamitra, ich weiß, auch mein Vater, der König ist nicht wirklich glücklich. Vor dem Hintergrund dieses Leidens, der Vergänglichkeit und der Sinnlosigkeit aller Wünsche, wie könnte ich glücklich sein und wie könnte ich so ein Königreich regieren?“  

Als Vishvamitra dies hörte, war er froh. Er erkannte, Rama litt nicht unter einer Depression. Rama litt nicht unter einer Krankheit und nicht unter einer Erschöpfung. Rama war auf der ersten Ebene der spirituellen Evolution, auf Shubheccha. Man könnte sagen, er hatte eine Anamnese gemacht, indem er Rama zu Wort kommen gelassen hat.

Die Diagnose teilte er Dasharatha, Rama und allen Versammelten mit: „Oh König, dein Sohn ist nicht krank, ihm fehlt nichts. Das Gegenteil, ist der Fall, denn dein Sohn ist zu bewundern. Er hat Shubheccha erreicht. Er befindet sich auf der ersten Ebene des spirituellen Erwachens. Der hat erkannt, dass in dieser äußeren Welt kein dauerhaftes Glück ist. Er hat die Vergänglichkeit dieser Welt durchschaut. In ihm ist spirituelle Sehnsucht erwacht. Jetzt wäre es die Aufgabe auf Vicharana zu gehen, d. h. spirituelles Streben, spirituelle Praktiken. Es ist an der Zeit, spirituell praktizieren. Wenn er spirituell praktiziert und sein Leben spirituell ausrichtet, wird er wieder erkennen, dass das Leben als Königssohn ihm dazu hilfreich ist. Rama wird nicht dadurch glücklich werden, dass du ihm mehr Zeitvertreib gibst, besseres Essen oder Heilmittel. Rama wird nur dann wieder glücklich sein, wenn er wieder einen Sinn im Leben sieht und wenn er erkennt: Hinter all der Vergänglichkeit gibt es die Ewigkeit. Hinter allem Leiden gibt es das höchste Glück und hinter allen Höhen und Tiefen des Lebens ist die spirituelle Aufgabe. Das Leben ist dazu da, Gott zu verwirklichen. Ein Königreich zu regieren heißt, Gott zu dienen und Menschen dabei zu helfen, spirituell zu wachse. Es ist wichtig selbst spirituell zu wachsen.  

Oh König, Rama hat jetzt einige Aufgaben zu bewältigen: Seine Aufgaben bestehen darin, Vicharana, spirituelles Streben, spirituelle Praxis, den Alltag zu spiritualisieren. Dann wird er zu Tanumanasa kommen. Er wird diese göttliche Wirklichkeit spüren und durch sich wirken lassen. Er wird zu Sattvapatti kommen, zur Reinheit. Irgendwann wird er zu Asamsakti kommen, zur Erleuchtung.

Aber keine Angst, oh Dasharatha, das wird nicht heißen, dass er sich zurückziehen wird. Nach der Erleuchtung wird er weiter leben und seine Aufgaben als König erfüllen. Dies erfolgt so lange er dort Karma hat. Geht das Karma zu Ende, wird er die Leitung des Königreichs an andere übertragen. Er wird zu Padarthabhavini kommen, zur dauernden Erfahrung Gottes, bis er schließlich in Turiyaga ist, dauernder Samadhi und sein Körper wegfällt. Damit Rama dorthin kommt, braucht er die Unterweisung durch seinen Guru. Der Guru von Rama werde nicht ich sein, sondern Vasishtha. Vasishtha möge Rama unterrichten in dem spirituellen Leben und ihn ausbilden.“

Es geschah, dass Vasishtha Rama die Grundprinzipien des spirituellen Lebens erläuterte und Rama diese umsetzte. Die Erläuterungen zum spirituellen Leben, die Vasishtha an Rama gegeben hat, wurden niedergeschrieben in einer Schrift namens „Yoga Vasishtha“. Da Rama als Königssohn kein Intellektueller war, ist diese Schrift nicht voller intellektueller Beschreibungen, sondern voller spiritueller Geschichten, die das spirituelle Leben ausdrücken.  

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Gekürzter Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.

Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.

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