Auf dem Weg zu dieser höchsten Erfahrung gibt es verschiedene Abschnitte und unterschiedliche Entwicklungsstufen. Es gibt viele Weisen, diese Stufen zu klassifizieren und einzuteilen. Im Yoga finden wir unterschiedliche Weisen und in anderen spirituellen Systemen, z. B. im Buddhismus oder in manchen Aspekten der christlichen Mystik gibt es ebenso verschiedene Weisen der Einteilung der Entwicklungsstufen auf dem spirituellen Weg.
In der berühmten Yoga-Schrift, die ‚Yoga Vasishtha‘ von einem Weisen namens Vasishtha, werden unter anderem die sieben Stufen des spirituellen Wegs beschrieben. Viele spätere Schriften beziehen sich darauf. Wenn man über die sieben Entwicklungsstufen, -schritte und -ebenen des spirituellen Weges spricht, muss man sich bewusst sein, dass es eine Sache ist, darüber zu sprechen. Diese zu erfahren ist eine andere.
- Ebene: Shubheccha – Sehnsucht nach Wahrheit
‚Shubheccha‘ bedeutet spirituelle Sehnsucht. Es handelt sich um eine Sehnsucht nach etwas Höherem. ‚Shubha‘ heißt das Gute, ‚Iccha‘, es ist der Wille, der Wunsch und die Sehnsucht nach einer höheren Wirklichkeit. Man befindet sich erst überhaupt auf einer der Bhumikas des spirituellen Wissens, wenn man sich fragt: Gibt es etwas Höheres. Man stellt sich die Frage: Wie kann ich es erfahren?
Die meisten Menschen haben kein allzu großes spirituelles Interesse. Die meisten Menschen haben zwischendurch Phasen von Shubheccha, wo sie sich fragen: „Wer bin ich? Woher komm ich? Wohin geh ich? Was ist der Sinn des Lebens? Gibt es eine höhere Wirklichkeit? Kann ich sie erfahren?“. Wenn diese Fragen stark werden, befindet man sich auf Shubheccha, das ist die der ersten Entwicklungsstufe der spirituellen Wahrheit.
- Stufe: Vicharana – Ausrichten des spirituellen Lebens auf die Erfahrung der spirituellen Wahrheit
‚Vicharana‘ heißt spirituelle Praxis, den spirituellen Weg gehen. ‚Vicharana‘ heißt wörtlich die rechte Untersuchung. Vicharana heißt die spirituelle Praxis auf sein Leben darauf auszurichten, in dem man Spiritualität, bewusstes Führen des spirituellen Lebens und bewusstes Arbeiten an der Transformation von Psyche und Geist führt. Vicharana ist die wichtigste Stufe auf dem spirituellen Weg. Viele Schriften und Meister gibt es aufgrund dessen, die Vicharana unterteilen in weitere Entwicklungsstufen und Unterstufen.
- Stufe: Tanumanasa – Transparentwerden der Psyche
‚Tanumanasa‘ bedeutet das Ausdünnen des Geistes, ‚Tanu‘ heißt ausdünnen und ‚manas‘ bedeutet Geist. Dies soll heißen, dass man durchlässig und transparent wird. Wenn du der gesamten Schulung gefolgt bist, hast du in einer der vorigen Lektionen die Definition von Spiritualität als ‚Transparenz zum immanent Transzendenten‘ erfahren. Wir werden transparent und durchlässig. Wir spüren die göttliche Wirklichkeit in uns und überall. Es ist noch nicht die vollständige Erfahrung, aber wir spüren sie. Wir vernehmen Freude in uns und in anderen Menschen. Die Gottesliebe und die Liebe zu unseren Nächsten ist immer wieder da.
Tanumanasa heißt zudem, dass die spirituelle Praxis fast von selbst geschieht. Wir werden dazu hingezogen und geführt. Dies geschieht durch eine höhere Intuition. Wir spüren die Führung des Göttlichen, des höheren Selbst und die spirituelle Führung. Wir machen tiefe Erfahrungen in der Meditation und können ganz loslassen.
- Ebene: Sattvapatti – Erlangung von Reinheit
Tanumanasa führt weiter zu Sattvapatti. Sattvapatti ist das Erlangen von Reinheit. Es bedeutet eine vollkommene Verankerung in Sattwa. ‚Sattwa‘ ist jenes, welches aus ‚Sat‘, aus der höchsten Wirklichkeit kommt. Es ist das, was zu Sat, zur höchsten Wirklichkeit führt. ‚Patti‘ hat etwas mit erlangen und erreichen zu tun. Sattvapatti ist die Erlangung von Höherem. Es ist gekennzeichnet durch die Erfahrung von Siddhis, von außergewöhnlichen Kräften und Fähigkeiten.
- Stufe: Asamsakti – Gottverwirklicht in Karma und Alltag sein, Erleuchtetes Leben
‚Asamsakti‘ heißt durch nichts berührt. Asamsakti bedeutet das Erreichen der Gottverwirklichung: Man könnte sagen, dass mit dem Erreichen dieser Stufe die höchste Wirklichkeit erfahren wurde. Der Rest sind nur Stufen des äußeren Lebens. In Asamsakti wird Nirvikalpa Samadhi erfahren. In Asamsakti wird die Erleuchtung erfahren.
In Asamsakti gibt es zudem Karma. Das Karma gilt es zu erfahren und auszuarbeiten. Jemand in Asamsakti kann leben, wie jeder andere Mensch. Man muss es ihm nicht äußerlich ansehen. Der Mensch weiß, dass er eins mit dem Göttlichen ist und sieht überall das Göttliche. Er hat das Ziel des Lebens erreicht.
- Stufe: Padarthabhavini – Karma geht langsam zu Ende
‚Padarthabhavini‘ bedeutet, man ist vollständig verankert im höchsten Ziel. Man wird nicht mehr viel tun und das Karma ist weitestgehend zu Ende. Die selbstverwirklichten Meister, Jivanmuktas, erreichen die Gottverwirklichung, Asamsakti, gehen weiter ihrem Karma nach bis ihr Karma abgelaufen ist. Dies ist typischerweise im hohen Alter der Fall. Ab diesem Zeitpunkt handeln sie nicht mehr aus eigenem Antrieb. Sie sind im beständigen Gottesbewusstsein, bis sie irgendwann in Turiyaga kommen.
Turiyaga ist ein Zustand, charakterisiert durch ständiges Veranktertsein in Turiya. Deshalb wird manchmal Turiyaga als Turiya bezeichnet. Turiya bedeutet Gottesbewusstsein. Es bedeutet Nirvikalpa Samadhi. In diesem Zustand befindet man sich zwischen 3 Tagen und 3 Wochen, bis man den physischen Körper aufgibt. Man erreicht Mahasamadhi und wird eins mit dem Höchsten. Man ist mit dem Unendlichen dauerhaft verschmolzen.
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Gekürzter Auszug aus der Transkription der Yoga Vidya Schulung Videoreihe, Begleitvorträge zur Yogalehrer Ausbildung, von und mit Sukadev Bretz.
Mehr zum ganzheitlichen Yoga findest zu z.B. auch in seinen Büchern „Der Pfad zur Gelassenheit“ und „Die Bhagavad Gita für Menschen von heute“.
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