Shudra, also ein Angehöriger der vierten Kaste. Das Kastenwesen in Indien hat ursprünglich durchaus spirituell und soziologisch nachvollziehbare Hintergründe, gehört aber sicherlich zu den Abirrungen der indischen Spiritualität und noch mehr zu den Abirrungen der indischen Gesellschaft. Wobei in der indischen Gesellschaft gar nicht die Varna, die Kaste, so wichtig ist, sondern Jati als Kaste. Denn es geht nicht nur darum, die vier Kasten, sondern man gehört zu irgendeiner gesellschaftlichen Gruppe, die eine eigene Kaste bildet.

Dennoch, es gibt dort die vier Kasten. Die vier Varnas, die vier Kasten, dazu gehört zunächst mal Brahmana, das sind diejenige, die nach Brahman streben. Man könnte sagen, tiefe spirituelle Aspiranten, die das Höchste erfahren wollen, wären in diesem Sinne Brahmana. Zweitens gibt es Kshatriya, Kshatriya wird oft übersetzt als Krieger. Das sind Menschen, die sich für das Gute einsetzen, die sich um Gerechtigkeit kümmern, die kämpfen für das Gute, die vielleicht deshalb in die Politik gehen, die deshalb ins ehrenamtliche Engagement gehen, das sind die Kshatriyas. Als drittes gibt es die Vaishyas. Die Vaishyas sind die Kaufleute oder die Großbauern, das sind diejenigen, denen es darum geht, reich zu werden, Ansehen zu bekommen, Macht zu bekommen, und die machen das, indem sie eben sich einsetzen. Ein Vaishya ist jemand, der nicht einfach nur dreißig, vierzig, zweiundvierzig Stunden pro Woche arbeitet, sondern der alles tut, um irgendwo Geld zu verdienen. Und die moderne Wirtschaftswissenschaft hat gesagt, wenn es Unternehmer gibt, die wirklich einsatzbereit sind und viel tun auch, um Geld zu verdienen, dann läuft die Wirtschaft. In diesem Sinne sind die Vaishyas auch wichtig.

Dann gibt es die Shudras und die Shudras sind dann diejenigen, die ein einfaches Leben führen wollen, die es nicht zu kompliziert haben wollen, sie haben nicht die höchsten Ideale, sie wollen sich auch nicht zu sehr einsetzen, irgendwo wenn das Leben angenehm und schön ist, man einigermaßen gesund ist, hat, was man braucht, die Wohnung ok ist, Frau, Mann, Kinder irgendwo nett und freundlich sind, dann ist das Leben in Ordnung. Das wären dann die Shudras. In diesem Sinn verstanden gibt es einen guten spirituellen Hintergrund. Und so könntest du auch durchaus sehen, dass Menschen überwiegend ein Varna sind, mindestens zu einem bestimmten Zeitpunkt ihres Lebens. Aber meine Erfahrung ist, Menschen bleiben oft nicht dabei. Also, die Vorstellung, dass jemand in eine Kaste hineingeboren wird und dort dauerhaft bleibt, die halte ich für nicht korrekt. Genauso ist es auch, dass große Materialisten, denen es ums Geld geht und allem, durchaus sehr spirituelle Kinder bekommen können und denen kann es darum gehen, wirklich die Selbstverwirklichung zu erreichen, sie können also Brahmanas sein. Oder es gibt solche, die haben sehr idealistische Kinder, die sich für das Gute der Welt einsetzen als Erwachsene, also Kshatriyas. Und umgekehrt, es gibt auch spirituelle Aspiranten, die Kinder haben, denen es nachher nur ums Geld geht, die also Vaishyas sind, manchmal eine Enttäuschung unter spirituellen Eltern.

In diesem Sinne muss man aufpassen. Es gibt auch Menschen, die vielleicht dreißig Jahre Vaishyas sind, also intensiv in der Wirtschaft tätig sind, und sich irgendwann fragen: „Wer bin ich? Woher komme ich? Wohin gehe ich?“ Zu Brahmanas werden. Oder auch, die dann sagen: „Was kann ich jetzt mit meinem Reichtum anstellen?“ Und diesen spenden wollen oder sich für gemeinnützige Werke engagieren. Also, so gibt es durchaus unterschiedliche Motivationen, die auch im Lauf des Lebens sich ändern können.

Shudra wäre also in diesem Sinne jemand, der sich nicht zu sehr einsetzen will, der mehr ein einfaches Leben führen will, seine Sinne befriedigen will, Ruhe sucht oder vielleicht ein bisschen sinnliche Aufregung und sinnliche Ablenkung, Vergnügen haben will, aber dem es um nichts anderes wirklich geht. Das wäre in diesem Sinne ein Shudra. Aber wie gesagt, jeder Mensch ist im Inneren Gott, jeder Mensch ist in Entwicklung begriffen. Und der Shudra von heute kann der Brahmana von morgen sein. Und wer heute so stark spirituell strebt, kann schon sein, dass er morgen plötzlich hauptsächlich Interesse hat, mehr Geld zu verdienen. So sind Menschen nicht so festgelegt. Aber wenn du mit Menschen umgehst, kann es durchaus hilfreich sein, wenn du z.B. Yoga übst und du sprichst mit einem Brahmana, einem anderen spirituellem Aspiranten, dort sagst du: „Ja, mir geht es um Gott und ich habe Gott erfahren.“ Oder: „Ich will Gott erfahren, ich will Gott dienen.“

Wenn du zu einem Kshatriya sprichst, dann sagst du: „Ich übe Yoga, um mehr Energie zu bekommen, um mich gut zu engagieren, um Gutes zu bewirken.“ Wenn du zu einem Vaishya sprichst, kannst du sagen: „Ich übe Yoga als Ausgleich, um in meinem Beruf nachher erfolgreicher sein zu können.“ Wenn du zu einem Shudra sprichst, dann sagst du: „Ich übe Yoga und Yoga macht so viel Spaß und es ist so schön und man fühlt sich einfach so toll nach einer Yogastunde, außerdem wird man gesünder und das Essen schmeckt besser nach einer Yogastunde.“

Das wäre, wie du zu einem Shudra sprechen kannst, wenn du Yoga übst. Also, in diesem Sinne würden die Kasten Sinn machen, aber klar ist, in Indien wurde dieser Kastengedanke stark missbraucht und aus den Varnas wurden Jatis. Und übrigens, auch die Christen haben sich nicht gegen das Kastenwesen gewandt. Es gibt seit dem 1./2. Jahrhundert n.Chr. ja Christen in Indien und die haben dann eigene Kasten gebildet. Sie waren in der indischen Gesellschaft integriert mit eigenen Jatis. Auch die Moslems hatte dann eigene Jatis, eigene Kasten in der indischen Gesellschaft. Und als die Engländer Indien erobert haben, fanden sie das auch ganz angenehm, dass sie dort die Gesellschaft in verschiedene Kasten einteilen konnten und haben sich dann entschieden, nur mit bestimmten Kasten zu kommunizieren und mit anderen eben nicht, und haben mit bestimmten Angehörigen bestimmter Kasten kooperiert, um dann andere zu unterdrücken, so dass die Massivität der Kasten, die es Anfang des 20. Jahrhunderts gab, erst durch die Engländer wirklich so stark geworden ist.

Heutzutage gibt es starke Bestrebungen, Kasten aufzulösen und wenn du Indien besuchst, wird dir oft gar nicht auffallen, dass es Kasten gibt. In diesem Sinne, Shudra – lohnabhängiger Tagelöhner oder auch Arbeiter oder Angestellter, jemand, der seinen Sinneswünschen nachgeht, ohne übermäßig sich einzusetzen für persönlichen Reichtum, ohne sich übermäßig einzusetzen für Gerechtigkeit oder die Künste oder die Entfaltung der Fähigkeiten, ohne sich einzusetzen für eine höhere spirituelle Wirklichkeit.

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