Raja Yoga, der Yoga der Geisteskontrolle

Raja Yoga ist einer der sechs großen Yogawege. Raja heißt wörtlich König, Herrscher. Raja Yoga ist der Yoga, der uns helfen will, Herrscher zu werden über uns selbst und über unser Leben. Viele Menschen sind heute aufgewachsen mit einer Art Opfermentalität. Entweder waren unsere Eltern schuld oder unsere Großeltern oder unsere Lehrer oder unsere Mitschüler. Die Eltern sind schuld, weil sie uns falsch aufgezogen haben, die Großeltern sind schuld, weil sie uns die falschen Gene gegeben haben, die Lehrer sind natürlich immer schuld und die Umgebung sowieso.

Zweifelsohne gibt es große Einflüsse natürlich von Genen, natürlich von Eltern, natürlich von Lehrern, natürlich aus Erfahrungen, die wir alle haben. Aber Raja Yoga sagt, wir können unser Leben selbst in die Hand nehmen. Wir haben einen Einfluss darauf, wie wir denken, wie wir fühlen, wie wir uns verhalten. Raja, das Konzept des Königs, des Herrschers, besagt aber auch, wir haben keinen absoluten Einfluss darauf. Es sei denn, wir werden irgendwann zum absoluten Raja. Auch ein König oder eine Führungspersönlichkeit hat nicht vollkommene Kontrolle über jeden seiner Untertanen, sondern viel mehr, was ein Raja, eine Führungspersönlichkeit in unserem eigenen Kopf vermag, ist zunächst mal kennenzulernen: „Was gibt es alles an Fähigkeiten in mir? Was gibt es alles an Anteilen in mir? Was habe ich alles für besondere Möglichkeiten?“ Und dann können wir lernen, manches davon stärker zu entwickeln, manches in einer guten Weise einzusetzen, manches vielleicht etwas schwächer werden zu lassen und vielleicht die, die sich besonders stark vordrängeln, ein bisschen mal in den Hintergrund zu setzen. Aber vor allen Dingen, nicht hilflos ausgeliefert sein den vielen Reiz-Reaktionsketten, denen viele Menschen einfach so nachgehen, auch nicht hilflos ausgeliefert sein unseren Stimmungen, sondern auch die Fähigkeit, das zu ändern. Dazu gibt es im Raja Yoga eine Menge von Möglichkeiten.

Ein Aspekt ist also im Raja Yoga, seine eigenen Fähigkeiten, seine eigenen Möglichkeiten zu würdigen, kompetent einzusetzen und einen gewissen Einfluss darauf auszuüben, welche Stimmung in welcher Reaktion kommt und in welcher Situation kommt und wie wir reagieren auf Situationen. Freiheit ist so ein Begriff im Raja Yoga, der immer wieder dort kommt. Also, nicht hilflos ausgeliefert, sondern frei zu sein in den Entscheidungen, in den Reaktionen, in den Handlungen, sogar bis zu einem gewissen Grad frei zu sein, welche Stimmung wir in uns haben.

Ein zweiter wichtiger Aspekt des Raja Yoga ist die Erweckung von schlafenden Talenten und Fähigkeiten. Raja Yoga sagt, in jedem Menschen stecken sehr viel mehr Fähigkeiten drin, als wir jetzt gerade momentan überhaupt für möglich halten. Im Raja Yoga gibt es ja eine wichtige Schrift, das so genannte Yoga Sutra. Da gibt es ein ganzes Kapitel, das so beschreibt, was alles noch an Talenten im Menschen drin sein könnte und wie wir die erwecken können. Raja Yoga will uns von daher aus dem kleinen Denken, „ich kann dieses nicht und jenes nicht und mir ist alles zu viel und ich habe keine Energie usw.“ herausholen und eben sagen: „Ja, du kannst Herrscher sein über dein Leben. Du hast so viele Möglichkeiten und Fähigkeiten und so viele Schätze ruhen noch in dir, die noch ungehoben sind.“ Oder man kann sagen: „So viele Mitarbeiter hast du in dir oder so viele Untertanen, so viele sind in dir, die alle sich noch entfalten wollen.“ Und es gilt, diese zu fördern und eben in den Alltag zu integrieren.

Natürlich, der höchste Aspekt des Raja Yoga ist, Herrscher über den Geist zu werden, in dem Sinne auch, die Gedanken auch mal zur Ruhe bringen zu können. Also auch die Fähigkeit haben, einen Moment lang wirklich gar nichts zu denken. Volle Bewusstheit zu haben und dabei vollkommen ruhige Gedanken. Das ist das erhabendste Ziel des Raja Yoga, da geht es darum, dass letztlich der König sich seiner selbst bewusst wird. Der König, das ist hier dann das Bewusstsein, das ist das Selbst, das ist die wahre Natur. Wenn es gelingt, die Gedanken zur Ruhe zu bringen oder auch jenseits der Identifikation mit den Gedanken zu kommen, dann erfahren wir, wer wir wirklich sind, dann erfahren wir unsere wahre Natur.

Und die großen Raja Yogis, die selbst in der Lage waren, ihren Geist ganz zur Ruhe zu bringen, haben dort diese ganz hoch optimistische Aussage, die nicht eine Behauptung ist, sondern aus ihrer Erfahrung kommt: „Die wahre Natur ist Satchidananda, Sein, Wissen, Glückseligkeit. In Wahrheit sind wir unendliches Sein, nicht begrenzt vom Körper, nicht begrenzt von Geburt und Tod. Wir sind ewig und unendlich. Wir sind unendliches Wissen und wir sind unendliche Wonne.“ Und aus diesem Konzept oder letztlich aus dieser Erfahrung von großen Meistern stammt auch eine simple Sache für den Alltag: Wann immer wir uns mehr bei uns selbst fühlen wollen, gilt es, den Geist ein klein wenig mehr zur Ruhe zu bringen. Wann immer wir ein klein wenig mehr glücklich sein wollen, gilt es, den Geist etwas mehr zu konzentrieren oder zur Ruhe zu bringen. In dem Maße, wo es uns gelingt, den Geist etwas zur Ruhe zu bringen, in dem Maße, in dem es gelingt, unseren Geist etwas zu beruhigen und die Gedanken vielleicht sogar zu übersteigen oder eben ganz zur Ruhe zu bringen, in dem Maße ruhen wir bei uns selbst, sind wir verankert in uns selbst, fühlen wir uns verbunden mit allen Wesen, voller Freude und Wonne.


Hari Om Tat Sat

 

 

Unbearbeitete Niederschrift eines Kurz-Vortrags mit Sukadev Bretz. Gehalten im Rahmen eines Satsangs nach der Meditation bei Yoga Vidya Bad Meinberg. Mehr Infos:

 

 

 

E-Mail an mich, wenn Personen einen Kommentar hinterlassen –

Sie müssen Mitglied von Yoga Vidya Community - Forum für Yoga, Meditation und Ayurveda sein, um Kommentare hinzuzufügen.

Bei Yoga Vidya Community - Forum für Yoga, Meditation und Ayurveda dabei sein