Das Alterheim rief bei mir an. Meine Mutter ist am Freitag, den 20.10.2017 um 10 Uhr gestorben. Auf diesen Anruf hatte ich schon seit einigen Tagen gewartet. Ich hatte ihn befürchtet. Ihn herbeigesehnt. Wie würde ich darauf reagieren? Ich nahm diesen Anruf erstmal gelassen hin. Ich nahm die Tatsache ihres Todes erstmal einfach nur wahr. Aber ich beschloss gut für mich zu sorgen. Ich machte als erstes einen langen Spaziergang durch den Wald, um meine Gedanken zu ordnen und Frieden zu finden.
Beim Spazierengehen tauchten nacheinander verschiedene Gedanken auf. Grundsätzlich bewertete ich den Tod meiner Mutter positiv. Sie hatte ein langes und erfülltes Leben gelebt. Sie hatte sich einen friedlichen Tod gewünscht. Sie hatte sich gewünscht einfach nur einzuschlafen. Und genau so war es geschehen. Sie hatte den Tod bekommen, den sich die meisten alten Menschen wünschen. Der Tod ist unausweichlich. Wenn das so ist, dann möchten die meisten Menschen wenigstens ein glückliches Leben und einen friedlichen Tod. Sie möchte nicht beim Sterben schrecklich leiden.
Meine Mutter hatte nicht gelitten. Sie war vor eineinhalb Wochen plötzlich morgens nicht mehr aufgewacht. Eine Woche musste ich kämpfen, damit die Infusion und die lebensverlängernden Maßnahmen abgeschaltet werden. Dann starb sie innerhalb von zwei Tagen. Und zwei Tage vor ihrem Tod hatte ich mich von ihr verabschiedet, für sie gesungen und sie in eine Energie der Glückseligkeit gebracht. Das hatte sie vermutlich gut durch den Tod getragen.
Ich war zufrieden mit mir. Ich war auch deshalb zufrieden, weil ich meiner Mutter vor drei Jahren am Beginn ihrer Demenz versprochen hatte gut für sie zu sorgen. Ich hatte gut für sie gesorgt. Ich hatte alle äußeren Dingen gemanagt, sie jede Woche am Mittwoch besucht und sie durch meine Musik glücklich gemacht. Ich hatte auch die schwere Zeit im Krankenhaus vor einem Jahr mit ihr durchgestanden. Ich hatte das für meine Mutter getan, was ich tun konnte.
Für mich persönlich waren die drei Jahre der Betreuung meiner dementen Mutter im Altersheim eine wichtige spirituelle Zeit gewesen. Ich hatte gelernt Ukulele und indisches Harmonium zu spielen, Kinder- und Wanderlieder zu singen und damit viele alte Menschen jede Woche einmal für einige Stunden glücklich gemacht. Ich hatte mich zu einem Musiker im Altenheim entwickelt. Ich hatte in mir die Fähigkeit entdeckt, mit meiner Musik spirituelle Schwingungen zu erzeugen, die die Menschen zum Frieden und ins Glück brachten. Zwar war mein Gesang oft schief, weil ich relativ unmusikalisch bin. Aber das hatte die Senioren nicht gestört, weil es ihnen auf die gute Energie ankam.
Ich war in den drei Jahren am Anfang durch einen starken Trauerprozess gegangen, dann hatte ich mich immer mehr auf die Energie des Leidens eingestimmt, sie integriert und konnte nach zweieinhalb Jahren gelassen alles so annehmen wie es ist. Ich konnte auch das Altersheim und meine Mutter loslassen. Ich hatte Gleichmut erlangt. Und auch Liebe, Mitgefühl und Mitfreude durch das wöchentliche Singen mit meinen alten Freundinnen. Ich hatte also die vier wichtigen Eigenschaften geübt, die es im Buddhismus und im Yoga nach Patanjali zu entwickeln gilt.
Deshalb konnte ich auch jetzt bei der Nachricht des Todes meiner Mutter sehr gelassen bleiben. Ich schwang mich auf mein Fahrrad und radelte die halbe Stunde zum Altersheim. In dieser Zeit stellte ich mich auf die Situation und die Begegnung mit meiner Mutter ein. Es würde nicht einfach sein meine Mutter plötzlich als Tote zu sehen. Seit 65 Jahren war ich gewohnt sie lebend zu sehen und als eine Stütze in meinem Leben zu erfahren.
Ich trat mit gemischten Gefühlen ins Altersheim. Meine Mutter lag nicht mehr in ihrem Zimmer. Das Zimmer war leer. Ein Alterpfleger kam und führte mich in den Keller des Altenheimes. Dort lag meine Mutter in ihrem Bett in einem Andachtsraum. Ihre Hände waren in ihrem Schoß zusammengelegt und hielten einen kleinen Blumenstrauß mit weißen und blauen Blumen. Überall um sie herum auf ihrer Bettdecke waren Rosenblätter verstreut. Eine große Kerze brannte vor einem kleinen Altar. An der Wand hing ein Kreuz mit Jesus Christus, auf dem Altar lag eine aufgeschlagene Bibel und neben ihr standen links und rechts zwei Paradiesbäume.
Der Altenpfleger ließ mich in dem Andachtsraum mit meiner Mutter alleine. Ich setzte mich erstmal ruhig auf einen Stuhl, um die Situation auf mich wirken zu lassen. Ich betrachtete meine Mutter. Sie sah genauso aus wie vor zwei Tagen, als ich mich von ihr verabschiedet hatte. Aber sie atmete nicht mehr. Ich sah mehrmals hin. Ich konnte es kaum glauben. Meine Mutter atmete nicht mehr. Ich berührte sie an der Schulter, wie ich es zur Begrüßung immer gemacht hatte. Sie war noch weich. Die Totenstarre war noch nicht eingetreten. Sie war gerade frisch gestorben.
Ich war innerlich sehr ruhig und gelassen. Es hatte vor zwei Tagen einen sehr schönen Abschied gegeben. Wir waren beide in eine Glücksenergie jenseits aller Trauer gelangt. Es war ein Wunder geschehen. Sie hatte sich mit ihrer Energie mit meinem Kopf verbunden und ich konnte geistig mit ihr kommunizieren. Irgendwie erwartete ich jetzt noch ein Wunder. Aber es geschah nichts Spektakuläres mehr.
Ich versuchte die Energie meiner Mutter zu spüren. Wo war ihre Seele? Ich spürte in den Raum. Dort war sie nicht. Ich spürte in den Körper. Dort war ihre Energie noch etwas, aber nicht mehr intensiv. Ich spürte nach oben in das Jenseits. Dort kam ich etwas in Kontakt mit meiner Mutter. Ich merkte, wie ihre Energie zu mir herabkam und mit mir verschmolz.
Ich nahm meine Ukulele zur Hand und begann mit meiner Mutter zu singen. Der Gesang gab mir inneren Frieden und stärkte meine Energie. Vorwiegend sang ich christliche Lieder (Gott hält die ganze Welt in seiner Hand, Vater Abraham hat viele Kinder, We shall overcome), aber auch das Amitabha-Lied und zum Abschluss "Mein Vater war ein Wandersmann" mit dem schönen Schluss "drum will ich bis an kühle Grab ein froher Wanderer sein." Ich betete zu Gott und meinen Meistern für meine Mutter. Dafür sang ich das Lied "Om Guru Dev" mit dem Namen aller meiner erleuchteten Meister.
Plötzlich hörte ich wie eine zweite Stimme die Lieder mitsang. Für etwa zehn Minuten war der Gesang zweistimmig. Es war als ob meine Mutter mit mir mitsingt. Aber nicht mit der Energie ihres Körpers, sondern mit einer Energie aus einer anderen Dimension. Aber wahrscheinlich war das nur das Echo meines Gesangs in dem Andachtsraum. Meine Mutter war tot und ich spürte in dem Raum hauptsächlich nur meine Energie. Alles andere konnte eine Einbildung sein. Ich weiß es nicht. Jedenfalls war meine Konzentration für einige Zeit auf das Echo mit der Zweitstimme gelenkt. Das war mein kleines Wunder.
Nach dem Singen berührte ich meine Mutter mit der Hand am Scheitelchakra, am Stirnchakra und am Herzchakra. Warum ich das tat, weiß ich nicht. Ich hatte plötzlich den Impuls. Danach schaltete ich das Licht aus und verließ den Raum. Das war mein letzter Abschied von meiner Mutter. Jetzt ist meine Mutter weg. Ich habe keine Mutter mehr. Ich bin allein. Irgendwann werde ich auch sterben. Das wird wahrscheinlich noch einige Jahrzehnte dauern, aber mir wurde durch den Tod meiner Mutter sehr deutlich die Endlichkeit des Lebens bewusst.
Ich räumte die restlichen Sachen aus dem Zimmer meiner Mutter, verabschiedete mich noch einmal von meinen alten Freundinnen und radelte mit den letzten Habseligkeiten meiner Mutter nach Hause. Einige Bilder, Bücher, ihr Schmuck und etwas Zeug. Was so von einem Menschen übrig bleibt. Es dient jetzt der Andacht und Erinnerung an meine Mutter.
Um 19 Uhr kam der Beerdigungswagen und holte die Leiche meiner Mutter ab. Montag werde ich mit dem Beerdigungsinstitut noch die Formalien regeln. Dann wird meine Mutter verbrannt und anonym auf dem Hamburger Hauptfriedhof in Ohlsdorf beerdigt. Wie mein Vater. Meine Schwester wünscht sich eine Aufbahrung, damit sie meine Mutter noch einmal sehen kann. Und eine Beerdigungsfeier. Sie wird Ende der Woche mit ihren beiden Kindern und meinem Sohn nach Hamburg kommen. Dann werden wir noch etwas gemeinsam singen und reden. Und dann beginnt mein neues Leben ohne meine Mutter.
Zum Glück habe ich meine vielen Freunde in Facebook. Sie haben mir ihr Beileid ausgedrückt. Das hat mich sehr berührt. Es hat mich in die Energie der Trauer gebracht. Und das ist gut so. Denn etwas traurig ist ein Tod immer. Auch die Trauer will gelebt sein, damit wir inneren Frieden finden können. Möge es meiner Mutter im Jenseits gut ergehen. Möge sie eine gute Wiedergeburt haben. Ich glaube, dass sie wiedergeboren wird, damit sie im nächsten Leben weiter zur Erleuchtung und in noch höhere Stufen der Glückseligkeit aufsteigen kann. Ich bedanke mich herzlich für eure Anteilnahme. https://www.youtube.com/watch?v=Mu8uG-
Kommentare
Lieber Nils,
mein aufrichtiges Beileid. Deine Mutter ist nicht weg, sie ist jetzt auf der anderen Seite und wird dort freudig begrüßt. Du als Yogi weißt das doch nur zu gut, das das Leben ewig ist.
Ich habe viel von Dir gelesen und war oft sehr berührt von Deiner Liebe zu Deiner Mutter.
Ich wünsch Dir viel Kraft, alle Liebe und Gute
om shanti
Durga
Danke
Mein aufrichtiges Mitgefühl sende ich dir.
Ich habe deine Geschichten aus dem Altersheim mit Freude verfolgt und wünsche deiner geliebten Mutter einen guten Übergang. Danke für deine Teilhabe und deine aufrichtigen Worte. Gefühle und Empfindungen zu beschreiben ist nicht leicht, doch du hast mir gezeigt das der Abschied auch mit tiefen Erfahrungen einhergeht.
Trauer darf gelebt werden.
Om Shanti Radha Shakti
Om Tryambakam Yajamahe
Sugandhim Pushtivardhanam
Urvaarukam Iva Bandhanan
Mrityor Mukshiya Maamritat
Om Tryambakam Yajamahe
Sugandhim Pushtivardhanam
Urvaarukam Iva Bandhanan
Mrityor Mukshiya Maamritat
Om Tryambakam Yajamahe
Sugandhim Pushtivardhanam
Urvaarukam Iva Bandhanan
Mrityor Mukshiya Maamritat
Alles Liebe für Dich und einen lichtvollen Weg für Deine Mutter!