Coming-out: Autismus

Vor einiger Zeit schlug der Artikel eines Psychologie-Professors in einer amerikanischen Tageszeitung Wellen im ganzen Land. Er schrieb über Autismus – und er schrieb dabei über sein eigenes Leben. 

„Ich war Autist. Bis zu meinem vierzigsten Lebensjahr konnte ich keine zwei zusammenhängenden Sätze sprechen. An der High-School waren meine Leistungen sehr schlecht. Ich war so tief in mir vergraben, dass ich mit den mir gestellten Aufgaben meistens nichts anfangen konnte. Die mündlichen Leistungen waren natürlich gleich Null. Dann begann ich ein Jurastudium. Nach einigen Semestern merkte ich aber, dass es mich – neben den weiterhin bestehenden Problemen – nicht glücklich machte. Ich probierte verschiedene Therapien aus, bis ich eines Tages in einer Sitzung erkannte, dass ich selbst gerne Psychologie studieren möchte. Ich lernte mit Begeisterung und meine Klausuren und Abschlüsse wurden jetzt mit der allerbesten Noten versehen. So wurde mir bestätigt, dass ich richtig lag.“

„Trotz intellektuellem Verständnis hatte sich mein Problem nach außen hin aber noch nicht verändert. Erst mit vierzig Jahren fühlte ich mich soweit, die ersten Seminare zu leiten. Die ersten Jahre brauchte ich regelmäßig Alkohol, um sie zu überstehen. Dann jedoch, so nach und nach, löste sich die unsichtbare Mauer um mich herum auf. Heute kann ich stundenlang frei Vorträge halten. Man muss mich jetzt eher stoppen, als dass ich das Reden von mir aus beende. Zu sehr genieße ich beim Vortragen jetzt diese große Freiheit und Freude. Es war ein langer und mühsamer Weg bis zu diesem Punkt. Mit wachsendem Selbstvertrauen und viel Mut, vor allem aber durch die große Freude an meiner Arbeit kam ich an das lang erhoffte Ziel.“

„Meine Überzeugung, basierend auf meinen Begegnungen mit tausenden Studenten und einfachen Beobachtungen im Alltag, ist heute, dass es da draußen sehr viele Autisten gibt, die von niemandem als solche erkannt werden. Man hält sie vielleicht für schüchterne Menschen und solange sie in unserer Gesellschaft halbwegs funktionieren, kümmert sich keiner um sie. Wenn sie auffällig werden durch übermäßigen Alkoholkonsum, durch Drogengebrauch, aber auch durch Gewalt in vielfältiger Form, werden diese Symptome in der Regel falsch oder besser gesagt oberflächlich gedeutet. Alle ihre „Taten“ Sind nichts anderes als ein Aufschrei gegen die unüberwindlich scheinende Wand, die sie umgibt. Es ist eine riesige Aufgabe für unsere Gesellschaft, diese vielen „Unsichtbaren“ zu sozialisieren, „sichtbar“ zu machen, ihnen die Möglichkeit zu geben, ihr eigenes wunderschönes Gesicht zu entdecken. Wir wissen nicht, welche großen Schätze uns verloren gehen, wenn diese Arbeit nicht geleistet wird.“

„Leider erlebe ich, dass es nicht nur zunehmend immer mehr Autisten zu geben scheint, sondern dass unsere gesamte Gesellschaft eigentlich schon immer als autistisch bezeichnet werden müsste. Ich hatte die Chance – und habe sie mir größtenteils selbst erarbeitet –, rauszukommen aus der Isolierung, aus dieser inneren Gefangenschaft. Den wenigsten ist das gegeben, es ist letztlich auch eine Frage des Bewusstseins für die eigene Lage. Allen, die ich erreichen kann und die sich durch meine Worte erreichen lassen, möchte ich Mut machen, mit Zähigkeit selbst an sich zu arbeiten, aber zugleich auch nicht zu glauben, dass etwas falsch an ihrer Situation ist. Aus einer übergeordneten Sicht, vielleicht sollten wir sie kosmische Sicht nennen, erleben wir in der gesamten Natur Rhythmen von Öffnen und Schließen, Weite und Enge, Aufbruch und Rückzug. Jede Lebenssituation ist immer nur ein Teil eines weit größeren Prozesses, den wir, gefangen in unserem kleinen Selbst- und Weltbild, nicht zu erkennen vermögen.“

„Vielleicht gelangen wir hier in den Bereich der Religion, vielleicht spielt so etwas wie ein tiefes unbegründbares Vertrauen eine wichtige Rolle in den von uns so bezeichneten Heilungsprozessen. Zeit heilt alle Wunden, ist ein altes Sprichwort. Das ist ein bisschen zu einfach und spricht eher über ein Vergessen oder Verdrängen. Zeit, die man einfach nur verstreichen lässt, ändert nichts. Zeit aber, die wir dafür nutzen, unser Wissen und Bewusstsein auszuweiten und unser Herz zu öffnen, kann wahrhaftig ein wunderbarer Heiler sein. Ich wünsche allen Lesern, die es betrifft, ein großes Vertrauen in die eigene Natur, die Natur, die stets die Freiheit anstrebt und der zuletzt immer auch ein glorreicher Durchbruch in sie hinein gelingt.“

Diesen Psychologie-Professor gibt es nicht und der Artikel ist frei von mir erfunden. Das Problem allerdings ist nicht erfunden. Und es ist eine Angelegenheit, welche die gesamte Menschheit betrifft. Solange wir nicht die großartige Liebesfähigkeit und Freiheit in uns entdecken, leben wir in einer „geschlossenen Gesellschaft“. Die Probleme, unter denen wir heute leiden, sind Probleme, die normalerweise nur in geschlossenen Anstalten auftreten. Ich möchte hier verraten, dass alle Mauern, Gitterstäbe und Zäune eingebildet sind, nur Albträume. Wenn wir eines Tages erwachen: Ein endlos weiter, hell strahlender Himmel!

Bhajan Noam -

Aus meinem neuesten Buch "SHASTRAS - Meistertexte"

Seiten des Lebens: www.bhajan-noam.com
Ausbildungen: www.bhajan-noam.de

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