Warum gibt es Leiden?

Warum gibt es Leiden?

 

Eine Frage, die sich viele Menschen vielleicht gerade in der letzten Zeit nochmal gestellt haben und die sich immer wieder stellt: Warum gibt es Leiden auf der Welt? Warum geschehen so schlimme Dinge? Warum gibt es Naturkatastrophen? Warum können Diktatoren eine solche Macht bekommen? Warum gibt es Kriege? Warum? Letztlich muss man sagen, eine wirklich befriedigende Antwort auf all das gibt es nicht, mindestens keine, die mich ausreichend befriedigt. Die spirituellen Traditionen geben in verschiedenem Kontext unterschiedliche Antworten darauf und sie können einem von verschiedenen Kontexten her etwas sagen. Im Vedanta, Jnana Yoga, gibt es vielleicht die einfachste und auch besonders komplexe Antwort, die besagt nämlich, die Welt, so wie wir sie wahrnehmen, ist gar nicht so. In Wahrheit gibt es das eine unendliche, das ewige, das absolute Selbst, Satchidananda.

Es bleibt immer unendlich, es bleibt immer reine Bewusstheit, es bleibt immer Ananda. Wenn wir nachts einschlafen, dann verschwindet diese Welt. Wenn wir in einen Traum fallen, leben wir in einer anderen Welt. Wenn wir aus dem Traum aufwachen, kommen wir aus dieser Traumwelt heraus. Egal, wie schlimm oder schön die Traumwelt war, sie verschwindet in dem Moment des Aufwachens. Und auch im Tiefschlaf, im Tiefschlaf ist gar keine Welt, es ist alles verschwunden. Dann wachen wir auf in diese Wachwelt mit all ihren wunderschönen Dingen. Die nächsten Tage soll es ja sonnig sein, die Krokusse, die gerade mindestens hier andeutungsweise da sind, werden vermutlich in den nächsten zwei, drei Tagen richtig erblühen. Andere Bäume, deren Knospen schon mit Kraft vibrieren, die werden die nächsten Tage sich öffnen. Also, es gibt wunderschöne Sachen und Menschen tun wunderschöne Sachen und die Beziehungen zu Menschen können ganz toll sein. Meditation kann schön sein, Erfahrung in Asanas kann schön sein, Essen kann sehr gut schmecken, viele schöne Erfahrungen. Viele etwas ärgerliche Erfahrungen. Irgendjemand kränkt einen, irgendwas geht schief, irgendwo muss man warten, irgendjemand hat seine Versprechen nicht eingehalten. Und größere schlimme Dinge im Persönlichen, Verlust eines nahen Angehörigen, Verlust letztlich der Arbeit, wo man nicht mit gerechnet hat. Und natürlich Katastrophen, Erdbeben, Vulkanausbrüche, Kriege usw. All das ist in dieser Wachwelt da und die verlassen wir wieder im Moment des Schlafens. Wenn wir einschlafen ist sie wieder weg. Und im Vedanta heißt es, diese ganze Welt ist eben nicht wirklich. Wir können nicht nur in den Traum aus dieser Welt hin aufwachen, dann schlafen wir in eine andere Wirklichkeit ein, sondern es ist auch möglich, in eine höhere Wirklichkeit hineinzukommen und in dieser Wirklichkeit gibt es nicht diese Welt der Namen und Formen, es gibt nicht diese Welt der Höhen und Tiefen und es gibt nicht die Welt von Katastrophen und großartigen Erfahrungen, die wir auch machen können. Und wenn wir uns dessen bewusst sind und in der Meditation öfters mal das auch erfahren, dann bekommen wir daraus eine große Kraft. Dann ist natürlich die Frage: Und wenn jetzt diese Wirklichkeit so relativ ist, wenn sie vom absoluten Standpunkt aus vielleicht sogar unwirklich ist, was macht die dann für einen Sinn? Auch hier können wir wiederum sagen, eine wirklich befriedigende Antwort darauf gibt es nicht. Aber wir können hoffen, dass sie einen Sinn hat und wir können davon ausgehen. Und wir können sagen, in dieser relativen Welt müssen wir einfach sagen: „Ich verstehe es nicht ganz.“ Und so richtig verstehen tut es auch kaum jemand. Ich kenne einige Meister, die, je älter sie wurden, umso mehr davon gesprochen haben, es ist nicht verstehbar. Aber auch, wenn es nicht verstehbar ist, wir leben in dieser Welt und also können wir aus dieser Begrenztheit heraus leben. Wir können leben, indem wir sagen: „Wenigstens in meinem unmittelbaren Umfeld will ich etwas friedvoller leben. Wenigstens mit den Menschen um mich herum, die leiden, will ich mitfühlend umgehen. Wenigstens in dem, was ich bewirken kann, will ich die Kräfte des Friedens und die Kräfte der Freude erhöhen. Und in allem Leiden, was ich erfahre, will ich schauen, was kann ich daran lernen, was kann ich daraus schöpfen?“ Und manches, was wir immer rausschöpfen können, ist auch die Erkenntnis, seine Sicherheit zu bauen auf äußeren Dingen, das ist unsinnig.

Eine Lebensversicherung versichert nicht unser Leben. Eine Krankenversicherung verhindert nicht Krankheit. Und Geld auf der Bank verhindert nicht, dass unsere wirtschaftliche Existenz gefährdet sein kann. Und egal, was wir anstellen, es kann uns alles genommen werden. So können wir aus dem schöpfen, was man im Jnana Yoga als Vairagya bezeichnet, also ein Nicht-Anhaften. Und letztlich auch, nicht die Sicherheit auf etwas setzen, was nicht sicher ist. In der Bibel finden wir das Beispiel, man baut auf Treibsand. Und wenn man ein Haus auf Sand baut, dann versinkt es. Ein bisschen Wind und es klappt zusammen. Wir brauchen ein tiefes Fundament. Und das tiefe Fundament ist nichts in dieser Welt des Treibsandes, sondern ist letztlich die Bewusstheit: „Ich bin das unsterbliche Selbst, ich bin eins mit der Weltenseele. Letztlich, dort bin ich verankert und in dieser Welt bin ich jetzt und handle dort und da ist meine Aufgabe. Ich weiß nicht genau, was meine Aufgabe ist, aber so, wie ich sie verstehe, will ich sie so gut wie möglich erledigen. Im Vertrauen, dass, was auch immer auf mich persönlich zukommt, irgendwie wird es mich weiterbringen auf meinem Weg.“ In diesem Vertrauen können wir handeln und uns dann immer wieder besinnen, wir können z.B. in der Meditationunser höheres Selbst mindestens erahnen. Wir können zwischendurch am Tag uns auf etwas zurückziehen, was jenseits ist, selbst wenn der physische Körper schmerzt und Krankheiten hat, selbst wenn die Emotionen in Probleme sind. Dort können wir uns immer wieder zurückziehen. Und spätestens, wir wissen, im Moment des Einschlafens verlassen wir diese Welt, um am nächsten Morgen wieder aufzuwachen. So können wir mit Kraft dieses Leben leben, wir können es genießen, solange es schön ist, wir können die Lektionen annehmen, auch die mal nicht schön sind, und wir brauchen nicht verzweifeln, denn wir wissen, auf einer anderen Ebene sind wir verankert in einer tieferen Wirklichkeit.

Hari OmTat Sat

 

Unbearbeitete Niederschrift eines Kurz-Vortrags mit Sukadev Bretz. Gehalten im Rahmen eines Satsangs nach der Meditationbei Yoga Vidya Bad Meinberg. Mehr Infos:

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