Alltag spiritualisieren

Es gibt verschiedene Weisen, wie wir den Alltag spiritualisieren können. Es gibt ja die sechs Yogawege und eine Weise ist diese Karma-Raja-Yoga-Einstellung. Wir gehen davon aus: „Was auch immer kommt, hilft mir, spirituell zu wachsen.“ Oder wir haben die Bhakti-Yoga-Einstellung: „Was auch immer kommt, irgendwie ist es von Gott gesandt.“ Beides kann sich natürlich auch verbinden, indem wir sagen: „Was auch immer kommt, es ist irgendwo geschickt, dass ich spirituell wachsen kann. Gott gibt mir die Aufgaben.“ Wenn irgendjemand einem komisch kommt, dann kann man davon ausgehen: „Es ist nicht, weil dieser Mensch schlechte Laune hatte oder heute Morgen ihm eine Laus über die Leber gelaufen ist oder weil in seiner Kindheit irgendwas schief gegangen ist und deshalb ist er jetzt böse mit mir.“ Das ist auch schon mal etwas, wo man sich in den anderen etwas hinein fühlt; sondern man geht irgendwo davon aus: „Und es geschieht mir jetzt deshalb, damit ich spirituell daran wachse.“ Jeder Mensch ist auf diese Weise ein Gesandter Gottes. „Jeder kommt mit all seinen Besonderheiten, mit denen er mir gegenübertritt, als Instrument Gottes. Ob er es weiß oder nicht.“ Selbst wer keine Ahnung hat von Gott und die Vorstellung fern von sich weisen würde, dass er irgendwas mit Gott zu tun hat, ist dennoch irgendwo in diesem Sinne geschickt von Gott, damit wir daran wachsen. Und wenn man in einen Ashram geht und im Ashram ist, dann hört man das immer wieder und kann sich daran immer wieder erinnern. Und Yoga ist eben nicht nur die Luft anhalten und die Kundalini spüren und das dritte Auge leuchten spüren. Meditation ist auch nicht nur Dasitzen und hoffen, dass irgendwann mal was geschieht. Um mal so zu sagen, nicht bei jedem wird während der Meditation sofort die Kundalini erweckt und alle sieben Regenbogenfarben sind in den tausend Blütenblättern sichtbar, sondern manchmal ist auch Meditation, man sitzt und lernt, mit seinem Geist umzugehen und man beobachtet ihn und irgendwie ordnet man seinen Geist. Yoga heißt nicht nur, auf dem Kopf stehen und dabei sein Ajna Chakra spüren. Yoga ist nicht nur Shakti Chalini, Hüpfen auf dem Boden. Yoga ist nicht nur, sattvig sich zu ernähren, obgleich es auch das ist. Yoga ist sehr viel auch und gerade Alltag, Spiritualisierung des Alltags. Und da müssen wir uns immer wieder an der Nase fassen – vielleicht eher am Schopf aus unserem Sumpf rausholen – denn wir haben immer wieder die Neigung zu sagen: „Oh, ich wäre ja so spirituell und ich könnte ja Gott erfahren, wenn nur die Umstände nicht so wären.“ Versteht ihr das? Habt ihr das schon mal gedacht? „Wenn mein Partner anders wäre. Wenn meine Arbeit leichter wäre. Wenn die Menschen in meiner Umgebung etwas freundlicher zu mir wären. Wenn der Computer funktionieren würde. Wenn die Heizung nicht schon wieder ausgefallen wäre. Wenn ich irgendwie das Essen besser vertragen würde. Wenn ich keine Neurodermitis hätte usw.“ So haben wir viele Gründe. Die Bhakti- und Raja-Karma-Yoga-Einstellung heißt: „Was auch immer kommt, es hilft uns, spirituell zu wachsen.“ Der Bhakta hat noch einen großen Vorteil. Der sagt: „Ich muss es noch nicht mal verstehen.“ Der Raja Yogi versucht, es zu verstehen. „Warum passiert mir das? Was ist genau meine Aufgabe? Und wie kann ich daran arbeiten?“ Der Bhakta ist einfacher. Manchmal muss ich zugeben, bin ich selbst etwas einfacher gestrickt. Ich habe irgendwann mal so eine Podcastserie gehört, wo, irgendein Gunter Schmidt hat so gesagt: „Ich komm vom Land, ich bin einfach gestrickt.“ Und so kann ich auch sagen, ich komme auch irgendwo vom Land und bin dort einfach gestrickt. Auch wenn ich komplex denken kann, im Alltag Bhakti. Ich muss nicht alles verstehen, ich muss nicht alles verstehen, warum, ich nehme es an, Aufgabe kommt von Gott, irgendwie werde ich daran wachsen. Ich gehe dabei so gut um, wie ich kann, und tue es für Gott. Und wenn ich etwas Falsches mache – es gilt ja auch umgekehrt, nicht nur, was die anderen mir machen ist eine Lektion für mich, sondern was ich mache, ist auch eine Lektion für die anderen. Und auch da kann ich dann ganz beruhigt sein. Also, wenn man einen Fehler macht, auch den kann man Gott darbringen und sagen: „Gott, ich habe halt einen Fehler gemacht, aber von deinem Standpunkt aus ist es sicher kein Fehler, denn wenn es gilt, dass alles, was auf mich zukommt, eine Lektion ist, an der ich wachsen kann, auch wenn die Menschen irgendwie komische Sachen machen, ist umgekehrt, auch was ich mache, ist eine Lektion für andere, auch wenn ich komische Sachen mache.“ Und all das ist irgendwo etwas, was in diesem langen Kirtan ausgedrückt wird, die Ramayana, die endet mit „Ram“. Und das in einer Aufzählung von allen möglichen Lebensumständen, in denen Rama war und natürlich auch die anderen, wie Sita und Bharata und Lakshmana und Vibhishana usw., alles ist Ram. Und ich kannte auch mal einen… In einer anderen Organisation, Sivananda Yoga Vedanta Zentren, war das, da gab es so einen, der hat immer gesagt: „Ram, Ram“. Irgendwas ist schiefgegangen, er hat gesagt: „Ram, Ram“. Irgendwie eine neue Herausforderung: „Ram, Ram.“ Wenn man ihn morgens um 02:30 Uhr wecken musste, weil irgendwo das Wasser reingegangen ist, wo es nicht hätte reingehen sollen, und wenn er dann so halb schlafend aus dem Zimmer raus ist: „Ram, Ram.“ Er hat sich auch keine Mühe gemacht, aufgeweckt zu wirken: „Ram, Ram.“ Gut, es gibt noch andere Möglichkeiten, man kann auch „Om, Om“ oder man kann auf Deutsch das Gebet sagen oder was auch immer, aber wir können uns immer wieder daran erinnern, was auch immer geschieht, Gott tritt uns gegenüber, und wir können es auch spüren, wir können es fühlen, wir können daraus handeln.
Ram, Ram

Hari Om Tat Sat
Transkription eines Kurzvortrages von Sukadev Bretz im Anschluss an die Meditation im Satsang im Haus Yoga Vidya Bad Meinberg. Mehr Yoga Vorträge als mp3

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Kommentare

  • Hallo Sukadev,

    ich habe eine Bitte: könntest du ein paar Zeilenumbrüche und Absätze in deine langen Texte einbauen. So schön deine Text inhaltlich sind - aber sie sind anstrengend zu lesen.

    Viele Grüße,
    André

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