Es war einmal ein armer, einfältiger Kuhhirte. Er war so dumm, dass er nichts anderes tun konnte als Kühe zu hüten. Und selbst das überforderte ihn manchmal. Das ganze Dorf ging regelmäßig zu einem erleuchteten Meister, um spirituelle Weisheit zu erlangen. Aber der arme Kuhhirte durfte nicht mitkommen. Die Menschen meinten, dass er zu dumm sei selbst eine einfache Weisheit zu begreifen. Deshalb nannten sie ihn Dummkopf. Dabei waren die Dorfbewohner selbst auch ziemlich dumm. Sie verstanden zwar die Worte des Lama, aber sie waren nicht weise genug, um sie auch konsequent zu praktizieren. So blieben sie ihr Leben lang unerleuchtet, obwohl sie einen wundervollen Lama hatten.
Der Lama merkte, dass sie seine höheren Weisheiten nicht umsetzten konnten. Deshalb gab er ihnen ein einfaches Mantra, damit sie wenigstens halbwegs auf dem spirituellen Weg blieben. Durch das Mantra konnten sie sich mit den Buddhas und Bodhisattvas verbinden. So würden sie Leben für Leben ein kleines Stück auf dem spirituellen Weg ins Licht geführt werden. Die Menschen waren sehr stolz auf ihr Mantra. Sie erklärten dem Dummkopf, dass das Mantra geheim sei und sie es ihm deshalb nicht verraten dürften. Da wurde der Dummkopf sehr traurig. Er würde ewig dumm und unerleuchtet bleiben.
Eines Tages packte er seine Sachen und schlich sich aus dem Dorf. Heimlich machte er sich auf den Weg zu dem Lama. Erst wollten die Schüler ihn nicht in das prachtvolle Haus des Lamas hineinlassen. Aber der Dummkopf war sehr stark und drängte sich gewaltsam durch die Tür. Er wollte sich nicht auch noch von den Schülern des Meisters von seinem Glück abhalten lassen, wo er doch schon den langen Weg hin zum Wohnsitz des Meisters gegangen war.
Der Meister saß im großen Saal prunkvoll auf einem Thron. Um ihn herum knieten die Menschen, um seinen Segen zu bekommen. Der Dummkopf kannte sich mit den zeremoniellen Vorschriften nicht aus. Er ging direkt zum Thron und wollte dem Meister zur Begrüßung die Hand schütteln. Der Meister schrie ihn an: „Dummkopf, was soll das?“ Dabei schlug er mit seiner Gebetskette, um den aufdringlichen Kuhhirten abzuwehren.
Der bedankte sich bei dem Lama, weil er dachte, er hätte jetzt auch ein heiliges Mantra erhalten. Zufrieden wanderte er zurück in sein Dorf und hütete weiterhin die Kühe. Immer wenn jetzt ein unweiser Gedanke in ihm aufstieg, dann dachte sein Mantra „Dummkopf, was soll das“ und schlug sich dabei mit der Hand auf den Kopf. Das praktizierte er so lange und konsequent, dass seine dummen Gedanken eines Tages zur Ruhe kamen. Er versank in eine glückselige Meditation. Seine spirituelle Energie erwachte und in ihm entwickelten sich Heilkräfte. Das bemerkten seine Mitmenschen. Wenn sie eine Krankheit plagte, kamen sie zu ihm. Und er heilte sie mit seinem Mantra. Wenn er sein Mantra dachte und dabei leicht gegen ihren Körper klopfte, übertrug sich seine spirituelle Energie auf sie. Das führte oft zur Heilung. So wurde er langsam immer berühmter.
Auch erleuchtete Menschen können alt und krank werden. Als der Lama älter wurde, erkrankte er schwer und drohte zu sterben. Voller Panik riefen seine Schüler den berühmten Heil-Yogi. Der kam auch sofort angereist, rief immer wieder zu dem Lama „Dummkopf, was soll das?“ und schlug ihn dabei kräftig mit seiner Hand. Der Lama erkannte sofort den Kuhhirten und musste wegen dessen großer Dummheit laut lachen. Wie konnte ein Mensch diese Worte für ein heiliges Mantra halten? Er lachte so sehr, dass seine Krankheit verschwand und das Leben in ihn zurückkehrte.
Aus Dankbarkeit weihte er den dummen Kuhhirten jetzt wirklich in den spirituellen Weg ein. Da er ein großer Dzogchen-Meister war, konnte er dem Kuhhirten direkt das Erleuchtungsbewusstsein übertragen. Immer wenn der dumme Kuhhirte jetzt aus dem Erleuchtungsbewusstsein herzufallen drohte, dachte er nur sein Mantra „Dummkopf, was soll das“. So blieb er immer in der Erleuchtung und wurde selbst ein Lama. Allerdings war er jetzt der dümmste Lama, der den Menschen nur sein einfaches Mantra weitergeben konnte. Aber da es viele dumme Menschen in seinem Land gab, versammelte sich bald eine großer Schülerschaft um ihn. (Tibetische Weisheitsgeschichten)
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