Verstrickungen der Außenwelt

Hiermal zur Abwechslung einer meiner "Lieblingstexte" - Auszug aus den Werken des grossen taoistischen Meisters Dschuang Tsi:

Verstrickungen der Außenwelt

»Große Weisheit macht sicher und frei,

Kleine Weisheit ist Tyrannei.

Große Rede: glänzende Pracht.

Kleine Rede nur Worte macht.«

Im Schlafe pflegt die Seele Verkehr. Im Wachen öffnet sich das körperliche Leben wieder und beschäftigt sich mit dem, was ihm begegnet, und die widerstreitenden Gefühle erheben sich täglich im Herzen. Die Menschen sind verstrickt, hinterlistig, verborgen. Aus Furcht vor kleinen Übeln beben sie ängstlich; ist Großes zu fürchten, so werden sie gänzlich verstrickt. Bald fahren sie zu, wie der Bolzen von der Armbrust schnellt: das nennt man Richter sein über Recht und Unrecht. Bald verharren sie auf etwas wie auf einem beschworenen Vertrag: das nennt man seine Überlegenheit festhalten. Unaufhaltsam wie das Sterben im Herbst und Winter zehren sie täglich immer mehr ihre Kraft aus. Sie ertrinken in ihren Taten, also daß jede Umkehr für sie unmöglich wird. Sie sind zur Unfreiheit verdammt, wie mit Stricken gebunden; so sind sie eingefahren in ihre alten Geleise. Und ist das Herz dann erst dem Tode nahe, läßt es sich nicht zum lichten Leben wiederbringen. Lust und Zorn, Trauer und Freude, Sorgen und Seufzer, Unbeständigkeit und Zögern, Genußsucht und Unmäßigkeit, Hingegebensein an die Welt und Hochmut entstehen wie die Töne in hohlen Röhren, wie feuchte Wärme Pilze erzeugt. Tag und Nacht lösen sie einander ab und tauchen auf, ohne daß (die Menschen) erkennen, woher sie[41] sprossen. Genug! Genug! Früh und spät besitzen wir jenes Etwas, von dem sie in ihrem Entstehen abhängig sind. Ohne jenes Etwas gibt es kein Ich. Ohne Ich gibt es nichts, das sie erfassen könnte. So ist es uns also ganz nahe, wenn wir auch nicht seine Wirkungsart erkennen können. Man muß wohl einen wahren Leiter annehmen, obwohl wir keine äußere Spur von ihm zu erfassen vermögen. Man kann entsprechend seinem eigenen Glauben an ihn handeln, aber nicht seine Gestalt sehen. Er hat Bewußtsein, aber hat keine Gestalt.

Da ist mein Leib mit allen seinen Gliedern und Teilen. Welchem nun (von euch Gliedern) soll ich mich am nächsten fühlen? Ihr alle möchtet es gerne? – Dann haben also (die eigenen Körperteile) wohl auch ein Selbst? So sind sie mir gegenüber wie Knechte und Mägde. Aber Knechte und Mägde können nicht einander regieren. Oder besteht zwischen ihnen das Verhältnis von Herren und Knechten? Es muß aber wohl noch ein wahrer Herr da sein. Ob man sein Wesen zu ergründen sucht oder nicht, das fördert oder beeinträchtigt nicht seine Wahrheit. Von dem Zeitpunkt ab, da wir eine festgeprägte Form empfangen haben, bleibt er bestehen bis zum Ende. Aber wenn wir uns mit der Außenwelt beständig ritzen und reiben, so geht (das Leben) zu Ende, als flögen wir dahin, und niemand kann es aufhalten. Ist das nicht traurig? Das ganze Leben sich abmühen, ohne einen fertigen Erfolg zu sehen, sich quälen in erschöpfendem Dienst und nicht wissen, wohin es führt: ist das nicht zu beklagen? Die Leute reden von Unsterblichkeit, aber was hat das für einen Wert? Wenn der Leib sich auflöst, so wird auch die Seele davon betroffen; ist das nicht aufs tiefste zu beklagen? Ist das Menschenleben wirklich so vom Dunkel umhüllt, oder bin ich nur allein im Dunkeln? Und gibt es andere, die nicht im Dunkel sind?
Quelle:
Dschuang Dsï: Das wahre Buch vom südlichen Blütenland. Düsseldorf/Köln 1972, S. 40-41.

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