Thich Nath Hanh lehrt das achtsame Gehen

Thich Nhat Hanh traf ich auf dem Männerklo in einer Kirche in Hamburg. Wir standen beide alleine nebeneinander und pinkelten friedlich vor uns hin. Das war mein persönlicher Darshan. Thich Nhat Hanh wie immer sehr ruhig, achtsam, konzentriert, erleuchtet. Ich auch wie immer unruhig, unachtsam, etwas ängstlich, unerleuchtet, aber dankbar für die Segnung. Was habe ich erhalten?

Erleuchtet wurde ich im Klo nicht. Obwohl das eine schöne Geschichte wäre. Wie die Geschichte vom Zen-Meister, der im Puff erleuchtet wurde, nachdem er Jahrzehnte im Kloster vergebens nach Erleuchtung gesucht hatte. Zen-Meister Nils erlangte die Erleuchtung im Klo, nachdem er Jahrzehnte vergebens in der Waldeinsamkeit meditiert hatte. Und lehrte dann das achtsame Pinkeln als Weg ins Licht.

Wobei wir hier schon eine grundlegende Lehre des Zen erhalten. Die Erleuchtung ist auch und gerade in den alltäglichen Dingen. Ein tibetischer Meister erklärte, dass Erleuchtung nichts weiter als Essen, Schlafen und Scheißen sei. Das sei das Wesentliche im Leben. Es komme nur darauf an, wie man es macht. Ein Erleuchteter ist achtsam bei dem, was er gerade tut. Er tut es in der Ruhe, im Einheitsbewusstsein, in der Liebe und im Glück. Und er tut es meistens langsam.

So wie Thich Nhat Hanh. Seine Hauptlehre ist das achtsame Gehen. Wenn er mit seiner Gruppe von Nonnen und Mönchen durch die Stadt geht, dann denkt man an den Besuch von Außerirdischen. Alle sind unruhig, haben wichtige Ziele und bewegen sich schnell. Thich Nhat Hanh und seine Leute bewegen sich ganz langsam, sanft und liebevoll Schritt für Schritt auf die Erde setzen, ein Schritt - einatmen, der nächste Schritt - ausatmen. Ein Meter gehen dauert fünf Minuten. Eine Tasse Tee trinkt man in einer halben Stunde. Dann ist der Tee zwar kalt, aber man bewahrt immer seinen inneren Frieden, sein Glück und seine Erleuchtung. Man ist eins mit allem und sich dessen stets bewusst. Das ist der Weg der großen Achtsamkeit.

Als Thich Nhat Hanh 1968 den Fußspuren Buddhas in Indien folgte und den Geierberg mit seiner kleinen Schar hinaufstieg, tat er es langsam und achtsam. Er ging wie ein Buddha, dachte wie ein Buddha und wurde dadurch ein Buddha. In der Erleuchtung spürt man, dasss jeder Fuß beim Gehen die Erde streichelt. Man tritt in das Energiefeld der Erde ein. Es ist, als ob bei jedem Schritt Blumen aus der Erde wachsen. Eine lange Spur von Blumen zeigt den Weg eines Buddhas an. Die Erde freut sich, wenn ein Buddha auf ihr schreitet. Es bildet sich eine Spur von Frieden, Liebe und Glück.

Als Thich Nhat Hanh bei einer Lehrreise durch China den Wutai Shan bestieg, hielten er und seine Gruppe alle zehn Schritte an, um die Aussicht zu genießen. Dann ging es im Schneckentempo weiter den Berg hinauf. Viele Gruppen überholten sie. Die Führerin wurde fast wahnsinnig. Aber nach der Bergbesteigung erklärte sie einer Kollegin, dass dieser Mönch erstaunlich sei. Normalerweise wäre sie nach einer Bergbesteigung erschöpft. Dieses Mal war sie erholt und konnte die Besteigung wirklich genießen. Und möglicherweise war sie danach ein kleines bisschen erleuchtet.

Ich habe auch an einer Gehmeditation mit Thich Nhat Hanh teilgenommen. Aber ich konnte das nur eine kurze Zeit ertragen. Dann sonderte ich mich von der Gruppe ab und rannte in meinem Rhythmus durch den Park. Und das war gut so. Ich brauchte eine schnelle Bewegung, um meine innere Unruhe nach dem stundenlangen Sitzen in der Meditation mit Thich Nhat Hanh herauszubewegen. So kam ich ins innere Gleichgewicht und konnte das dreitägige Retreat genießen. Andere Menschen berichteten, dass sie nach den drei Tagen innerlich völlig erschöpft waren. Man sollte spüren, was einem gut tut und seinen persönlichen spirituellen Weg finden. Das war die Lehre von Thich Nhat Hanh für mich.

Ansonsten vertritt Thich Nhat Hanh ähnliche Grundsätze wie ich. Er betont die Liebe, das positive Denken und das Engagement für eine glückliche Welt. Er ist ein Hauptvertreter des engagierten Buddhismus. Er hat sich in seiner Jugend gegen den Vietnamkrieg der USA engagiert. Er hat viel mit Kriegsveteranen gearbeitet und sie von ihren psychischen Traumata geheilt. Er hat in Frankreich das spirituelle Zentrum Plum Village gegründet. Dort finden viele gestresste westliche Menschen Ruhe und Heilung. Auch meine damalige Freundin Sigrid war dort drei Monate und kam gut gelaunt zurück. Der Zen-Buddhismus von Thich Nhat Hanh war genau ihr Weg.

Ich habe das tägliche Sitzen und Gehen in meinen spirituellen Weg integriert. Aber ich mache es auf meine Art. Ich spüre jeden Tag genau, was ich brauche. Und ich verbinde den Zen-Buddhismus mit Übungen aus dem tibetischen Buddhismus und dem Hatha-Yoga. Wie Thich Nhat Hanh sehe ich mich als einen Vertreter des engagierten Buddhismus. Ich war in meiner Jungend viele Jahre politisch sehr aktiv. Ich war Teil der 68iger Bewegung. Ich habe mich sehr für das Ziel einer Welt des Friedens, der Liebe und des Glücks engagiert. Im Moment besteht mein Engagement hauptsächlich darin, dass ich Bücher schreibe und Gruppen leite. Aber ich bemühe mich jeden Tag als Bodhisattva zu leben und etwas zum Glück und zur Erleuchtung aller Wesen beizutragen.

Thich Nhat Hanh ist jetzt alt geworden. Nach einem Schlaganfall hat er sich in sein Kloster in Vietnam zurückgezogen. Dort will er seine letzten Jahre in Ruhe und Meditation verbringen. Auf seinem Grabmal (Stupa) soll geschrieben stehen: "Hier bin ich nicht. Auch draußen bin ich nicht. In deiner Art des Atmens und Gehens kann ich gefunden werden."

Sein Körper wird sich auflösen, aber seine Energie wird weiter bestehen bleiben. Wie Buddha ist er hauptsächlich in seiner Lehre zu finden. Wenn wir seine Lehre der Liebe, des Friedens und der Erleuchtung auf unsere persönliche Art umsetzen, dann werden wir eines Tages erfahren, wer Thich Nath Hanh wirklich war und wer wir in der Essenz wirklich sind. Dann werden wir den wahren Sinn unseres Leben erkennen. Dann werden wir unsere wahre Heimat finden. Diese Heimat ist in uns selbst und überall. Wenn wir uns in unseren Mitwesen sehen können, dann verschwindet das Ego und wir erwachen in ein Leben im Licht und in der Liebe.

Wikipedia: Thich Nhat Hanh (* 11. Oktober 1926, Zentralvietnam), ist ein vietnamesischer buddhistischer Mönch, Schriftsteller und Lyriker. Neben dem Dalai Lama ist der Autor zahlreicher Bücher ein zeitgenössischer Repräsentant der buddhistischen Lehre und schon seit seiner Jugend dezidierter Vertreter eines „engagierten Buddhismus“.

1982 schuf er in der Nähe von Bordeaux das Praxiszentrum „Plum Village“. Jedes Jahr finden dort Retreats statt, die von tausenden von Menschen aus der ganzen Welt besucht werden. Seit Oktober 2018 residiert Thích Nhất Hạnh im Từ Hiếu-Tempel, in dem er 1942 zum Mönch ordiniert wurde.

Die buddhistische Schule von Thích Nhất Hạnh kann man mit dem Begriff des Schweizer Dharmalehrers Marcel Geisser als „Sati-Zen“ bezeichnen. Thích Nhất Hạnh hat Elemente des Frühbuddhismus (Theravada) integriert, insbesondere solche der Achtsamkeitspraxis (sati ist der Palibegriff für Achtsamkeit). Diese Grenzen sprengende, große Offenheit gegenüber verschiedensten buddhistischen Traditionen kennzeichnet das Denken von Thích Nhất Hạnh. Vor allem dieser Offenheit – auch westlichem Gedankengut gegenüber – ist es zu verdanken, dass der vietnamesische Mönch eine Darlegung und Praxis der Buddha-Lehre entwickeln konnte, die keine bloße Imitation asiatischer Riten und Traditionen ist, sondern eine auch dem westlichen Menschen angemessene Form spiritueller Praxis eröffnet. Orthodoxen buddhistischen Kreisen geht Thích Nhất Hạnhs Lehrauslegung mitunter zu weit – wobei schon der Buddha betonte, dass auch seine eigene Lehre (wie alle Dinge) dem Wandel unterliege und stets in der Darstellungsform der jeweiligen Zuhörerschaft und ihrem spezifischen historisch-sozialen Kontext angepasst werden müsse.

Thích Nhất Hạnhs Auslegung der Buddhalehre ist ganz dem Bodhisattva-Ideal verpflichtet: Die eigene Praxis auf dem Weg der Leidbefreiung steht immer in Bezug zum Dienst am Mitmenschen. Beides ist nicht voneinander zu trennen – vor allem nicht, wenn man sich für den Frieden in der Welt engagieren will: „Peace in oneself – Peace in the world“.

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