Der allmähliche innere Vorgang ist ganz still und unsichtbar wie das stille sich Entfalten einer Knospe in den Nachtstunden. Deshalb verliere nicht den Mut. Entmutige dich nicht selbst mit dem Gedanken, dass du nicht vorankommst.

Wirklicher spiritueller Fortschritt wird richtig und genau gemessen in Friedfertigkeit, Gelassenheit und Ruhe, die du im Wachzustand ausstrahlst. Dein Körper und dein Geist sind gesund, die Ausscheidungen spärlich, die Stimme ist lieblich, das Gesicht strahlend und die Augen leuchten. Du bist ruhig, still und ausgeglichen; du bist heiter, furchtlos und zufrieden. Du bist leidenschaftslos und besitzt Unterscheidungskraft.

Es gibt keine weltliche Anziehung mehr für dich. Dinge, die dich früher anregten oder die dir wichtig waren, sind dir jetzt gleich­gültig. Dein Geist ist unerschütterlich. Du hast Innenschau. Dinge, die dich früher erfreut haben, haben jegliches Interesse für dich verloren oder haben die gegenteilige Wirkung. Dein Geist ist einpünktig, scharf und subtil. Du sehnst dich nach mehr Meditation. Du machst Erfahrungen von Lichtern, hast Visionen und erfährst göttlichen Geruch und göttlichen Geschmack. Der Gedanke, dass alle Formen Formen Gottes sind, wird immer stärker in dir. Du fühlst überall die Gegenwart Gottes. Du erlebst die Nähe Gottes. Die Asana ist fest. Du entwickelst ein natürliches Verlangen nach selbstlosem Dienen.

Beobachte, ob du auf dem spirituellen Weg stehenbleibst, zurückfällst oder vorangehst. Wenn Japa, Meditation und vedantisches Vichara (Hinterfragen) deinen Schleier verdichten und deine Ich-Identifikation mästen, ist das kein spirituelles Sadhana. Es ist nur eine Art okkulter Praktik. Beachte diesen Punkt genau. Beobachte, schau nach innen. Übe Selbstanalyse und entwurzele allmählich diesen gewaltigen Ichgedanken. Das ist wichtiges Sadhana. Das Ichdenken wird sich herumdrücken wie ein Dieb und verschiedene Formen annehmen wie ein Chamäleon oder ein Schauspieler.

Unterbrich dein Sadhana nicht, wenn du Funken von Verwirklichung hast. Übe weiter bis du in Bhuma, der Fülle, dem eigenschaftslosen Brahman, fest verwurzelt bist. Das ist wichtig. Wenn du mit der Praxis aufhörst und dich in der Welt bewegst, ist die Wahrscheinlichkeit eines Rückschlages sehr groß.

Es fehlt nicht an Beispielen dafür. Viele Aspiranten sind auf diese Art stehen geblieben oder vom spirituellen Weg abgekommen. Ein flüchtiger Blick in die höhere Wirklichkeit kann dir keine vollkommene Sicherheit geben. Lasse dich nicht mitreißen von Ruhm und Ehre. Du magst vielleicht verzichten auf Familie, Kinder, Eltern, Haus, Freunde und Verwandte. Aber es ist sehr sehr schwierig, auf das intellektuelle Vergnügen und die Freude zu verzichten, die aus Ruhm und Ehre kommen. Ich warne dich eindringlich. Ein Mensch, der Glück aus dem Atman im Inneren schöpfen kann, wird sich keinen Deut um etwas so Triviales, Armseliges kümmern. Die Welt ist für einen weltlichen Menschen etwas ganz ganz Großes. Für den, der Brahman kennt, ist sie leeres Stroh. Sie ist ein Senfkorn, ein Stecknadelkopf, ein Punkt, eine Luftblase und ein luftiges Nichts für den Brahma Jnani. Sei umsichtig. Ignoriere alles Triviale. Sei stetig in deiner Praxis. Höre niemals mit dem Üben auf, solange du nicht die endgültige Glückseligkeit erreicht hast. Unterbrich dein Sadhana solange nicht, bis du ständig im vollen Bewusstsein Brahmans weilen kannst.

Lasse dich von Misserfolgen nicht entmutigen, sondern tue weiter dein Bestes. Grüble nicht über Fehler nach, die du in der Vergangenheit gemacht hast, da dies deinen Geist nur mit Kummer, Bedauern und Niedergeschlagenheit erfüllen wird. Wiederhole sie in Zukunft nicht. Sei vorsichtig. Denke an die Gründe, die dich zu Misserfolgen führten, und versuche, sie in Zukunft zu beseitigen. Stärke dich mit neuer Kraft und Tugenden. Entwickle langsam deine Willenskraft.

Jede Versuchung, der man widersteht, jeder schlechte Gedanke, der abgewendet wird, jeder Wunsch, der sublimiert wird, jedes bittere Wort, das nicht gesprochen wird, jedes edle Anliegen, das ermutigt wird und jeder erhabene Gedanke, der gepflegt wird, hilft bei der Entwicklung von Willenskraft, gutem Charakter und der Erlangung von ewiger Wonne und Unsterblichkeit.

Jedes Stückchen getanes Sadhana ist lückenlos in deinem Unterbewusstsein aufgezeichnet. Kein Sadhana ist je umsonst. Jedes Stückchen davon wird sofort für deine Entwicklung gutgeschrieben. Das ist ein natürliches Gesetz. Pflege keine negativen Gedanken, sondern setze ruhig dein Sadhana fort. Sei darin regelmäßig. Ohne einen einzigen Tag auszulassen, mache deine spirituellen Praktiken.

Nach und nach sammelt sich die Kraft an und wird wachsen. Schließlich findet die Kraft, die durch das fortgesetzte, ernsthafte, mit Ausdauer und Geduld über eine lange Zeit des Lebens hinweg geübte Sadhana angehäuft worden ist, ihre notwendige große Erfüllung in dem erhabenen Moment, wo sie in Gestalt wonnevoller Verwirklichung Früchte trägt.

Mache dein Sadhana regelmäßig, dauerhaft, ungebrochen und ernsthaft. Nicht nur Regelmäßigkeit sondern auch Beständigkeit in Sadhana und Meditation sind notwendig, wenn du rasch Selbstverwirklichung erreichen willst. Ein spiritueller Strom, der einmal eingerichtet worden ist, trocknet nicht aus, wenn nicht das Flussbett blockiert wird und wenn er nicht aufgehalten wird. Bleibe wachsam. Meditiere regelmäßig. Lösche die un­terschwelligen Vasanas aus.

Dies ist eine Textpassage aus dem Buch:

Swami Sivanandas
Inspiration und Weisheit
Für Menschen von Heute


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Essays und praktische Anleitungen
für spirituelle Aspiranten

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