Swami Sivananda: Erscheinungsformen von Maya

Maya ist der größte Künstler und der größte Gaukler. Weltlich gesinnte Menschen können ihre Tricks nur schwer durchschauen. Sie täuscht die Leidenschaftlichen und die Unvorsichtigen.

Sie verbirgt das Reale und lässt das Unwahre wahr erscheinen. Sie lässt das Nichtdauerhafte dauerhaft erscheinen, das Unreine rein, Schmerz als Freude und Anatman als Atman.

Du weißt, dass du sterben wirst und doch denkst du, du wirst ewig leben. Das ist Maya. Du weißt, dass die Welt voller Leiden ist, und doch erfreust du dich an den vergänglichen Objekten und gibst sie nicht auf. Das ist Maya. Du weißt, dass der Körper einer Frau und der eines Mannes aus allen möglichen Unreinheiten besteht, aus Fleisch, Knochen, Urin und Fäkalien, und doch genießt du ihre/seine Umarmung. Das ist Maya.

Maya verursacht ein falsches Glitzern und fängt die getäuschten Jivas. Sie galvanisiert ein wenig – sie überzieht die Welt mit einer äußeren täuschenden Schicht. Der Mensch ist gefangen. Er ist festgehalten im Rad von Geburt und Tod.

Unter dem Zuckerguss der Maya verbirgt sich bitteres Chinin. Hinter dem Garten der Sinnesfreuden verbirgt sich ein Schleier von Tränen. Hinter dem Lächeln verbergen sich Hass, Enttäuschung, Schurkerei und Unaufrichtigkeit. Hinter den roten Lippen verbergen sich Schleim und krankheitserregende Bakterien. Hinter den rosigen Wangen verbirgt sich rohes Fleisch. Hinter der heiteren Jugend verbirgt sich das Alter mit zaudernden Schritten. Hinter der Schönheit verbirgt sich Hässlichkeit. Hinter dem Zauber dieses Universums verbergen sich Tod, Krankheiten, Schlangenbisse, Skorpionstiche, Zensur, Unehre, Erd­beben, Zyklone, Krieg und Atombomben. Lasse dich nicht von dieser täuschenden Maya in die Irre führen.

Maya bindet dich auf verschiedene Art. Es ist schwierig, ihr heimliches Wirken zu durch­schauen. Ein Mensch entsagt der Welt. Er nimmt Sannyas (Mönchsgelübde) und errichtet einen Ashram. Langsam verhaftet er sich an den Ashram und an seine Schüler. Er entwickelt Standesdünkel, Sannyasa Abhimana, und Stolz auf Tyaga, Entsagung, und Gelehrtheit.

Ein Mensch lächelt und behandelt dich respektvoll. Du verhaftest dich an ihn. Ein Mensch dient dir, lobt dich und macht dir Geschenke. Du verhaftest dich an ihn.

Ein anderer spricht freundliche Worte, gibt dir gute Speisen und ein bequemes Haus. Du verhaftest dich an ihn und an das Haus.

Lächeln, Zuneigung, Bequemlichkeit, Ruhm, Ehre, sanfte Worte, Frau, Mann, Kinder, Heim, Eigentum, Respekt, Ehre, Macht, Prestige, Position, Titel und Himmel, all das sind verlockende Köder, um die getäuschten Seelen zu umgarnen. Nimm dich in Acht vor dem Zauber der Maya.

Oh unwissender Mensch! Verwickle dich nicht in den Maschen der Maya. Die ganze Welt ist ein Netz der Maya, um die unwissenden getäuschten Seelen zu fangen. Sei vorsichtig, sei achtsam, hüte dich! Das gesamte Universum ist das falsche Glitzern von Avidya, Unwissenheit. Es ist voll von Fallen und Versuchungen. Farbe, Klang und Berührung sind die verlockenden Köder der Maya. Geschlechtliche Beziehungen, Geld und Macht sind ihre Lockmittel. Süßigkeiten, Blumen und Gold sind der Zauber der Maya.

Die Maya Gottes ist geheimnisvoll. Sie nimmt verschiedene subtile Formen an und täuscht den Menschen in verschiedener Hinsicht. Wenn du eine Leidenschaft aufgibst, merkst du, dass Ärger zurückbleibt. Wenn du den Zorn beherrschst, ist noch immer die Gier in dir. Wenn die Gier beherrscht ist, hängt sich der Stolz fest an dich. Wenn du auf Tee und Kaffee verzichtest, hängst du dich an Milch und Früchte. Wenn du die Zunge beherrschst, wartet das Auge darauf, dich abzulenken. Wenn du auf deine alten Freunde verzichtest, hängen sich neue Freunde an dich. Wenn du die eine Arbeit aufgibst, wartet eine andere auf dich.

Bei jedem Schritt breitet Maya einen Schleier aus. Denke nicht, dass du in der letzten Phase des Sadhana nur einen Schleier zu lüften brauchst. Maya breitet zahllose Schleier aus: Anhaf­tung, Sehnsucht, Wunsch, Anziehung und Abneigung, Verblendung, Stolz, Eifersucht, Hass, Habsucht, Geschlechtstrieb, Impulse und Triebe, die fünf Koshas (Körperhüllen), das Streben nach Siddhis, falsche Zufriedenheit mit dem Sadhana, umwölktes Verstehen oder Grobstoff‍lichkeit des Verstandes, all das sind Varianten ihres Schleiers. Wenn du ein wenig unachtsam und sorglos bist, breitet sie einen Schleier nach dem anderen aus. Du hast es mit zahllosen Schleiern zu tun, die alle weggezogen werden müssen.



Dies ist eine Textpassage aus dem Buch:

Swami Sivanandas
Inspiration und Weisheit
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Essays und praktische Anleitungen
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Auszüge aus Werken von Swami Sivananda

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