Stufen des spirituellen Weges

Allerleirauh

Es war einmal ein König, der hatte eine schöne Frau mit goldenem Haar. Doch leider starb die Königin nach einiger Zeit. Daraufhin verliebte sich der König in seine Tochter und wollte sie heiraten. Doch die Tochter wollte nicht von ihrem Vater missbraucht werden. Da sie sich seinem Willen nicht widersetzten konnte, ersann sie eine List. Sie erklärte ihrem Vater: „Ich willige in die Hochzeit ein, wenn du mir ein Kleid ganz aus Gold, ein Kleid aus Silber und ein Sternkleid schenkst. Außerdem möchte ich noch einen Pelzmantel aus den Fellen aller Tierarten in deinem Reich.“ Sie dachte, dass wäre ein unmöglicher Wunsch. Aber der Vater ließ die drei Kleider und den Fellmantel herstellen.

Um der Heirat zu entgehen, flüchtete die Königstochter aus dem Schloss. Sie nahm die drei Kleider und ihre Wertsachen mit, einen goldenen Ring, ein kleines goldenes Spinnrad und eine goldene Miniaturhaspel, wie sie zum Aufspulen des Garns gebraucht wird. Sie zog den Fellmantel an und wanderte unerkannt bis in das Nachbarkönigreich. Dort versteckte sie sich in einem Wald.

Eines Tages kam der junge König dieses Reiches auf der Jagd mit seinen Gefolgsleuten an dem Versteck der Prinzessin vorbei. Sie entdeckten die Königstochter. Da sie jedoch den Fellmantel anhatte, erkannten sie sie nicht und hielten sie für ein wildes Tier. Bei näherem Hinsehen stellte es sich als eine junge Frau heraus. Der König konnte noch eine Hilfe in der Küche gebrauchen und stellte sie Küchenhilfe ein. Wegen ihres Fellgewandes nannten alle sie Allerleirauh.

Der Prinzessin gefiel der junge König und sie beschloss ihn zu verführen. Als ein Fest im Schloss war, zog sie ihr goldenes Kleid an, schminkte sich schön und ließ ihre langen goldenen Haare über die Schultern herabfallen. Als sie den Tanzsaal betrat, verliebte sich der junge König sofort in sie. Er bat sie zu einem Tanz. Aber nach dem Tanz verschwand die Prinzessin schnell wieder in der Küche und zog ihr Fellkleid an. Der junge König suchte sie vergebens.

Da er hungrig geworden war, bat er ihm eine Brotsuppe zu kochen. Allerleih kochte diese Suppe mit viel Liebe und legte den goldenen Ring hinein. Der König fragte den Koch, wer diese schmackhafte Suppe gekocht hatte. Der Koch gestand, dass es Allerleirauh war. Der König bat Allerleirauh zu sich und fragte, wer sie sei. Sie antwortete: „Ich bin ein armes Kind und habe keine Eltern mehr. Ich bin nicht mehr wert, als dass man mir die Stiefel an den Kopf schmeißt.“ Mit dieser Antwort konnte der König nicht viel anfangen. Da er sie nicht als die schöne Tänzerin erkannte, ließ er sie wieder in die Küche gehen.

Bei dem nächsten Fest zog Allerleirauh ihr silbernes Kleid an. Wieder tanzte sie mit dem König und verschwand danach in der Küche. Diesmal tat sie ihm das goldene Spinnrad in die Suppe. Wieder ließ der König sie kommen, fragte wer sie sei. Und erhielt die gleiche Antwort. Und begriff wieder nicht, was da geschah.

Aber beim dritten Fest war der König schlauer. Er erklärte, dass er auf diesem Fest seine zukünftige Frau finden wolle. Allerleirauh zog diesmal ihr Sternenkleid an. Als der König mit ihr tanzte, steckte er ihr unauffällig den goldenen Ring auf den Finger. Wieder verschwand Allerleirauh. Diesmal ließ der König sofort in der Küche nach ihr suchen. In aller Hast konnte sie gerade noch den Fellmantel über ihr Sternenkleid streifen.

Sie kochte dem König wieder eine Suppe und tat diesmal die goldene Haspel hinein. Als sie dem König die Suppe brachte, entdeckte dieser sofort den goldenen Ring auf ihrem Finger. Er zog ihr den Fellmantel aus. Da stand sie jetzt in all ihrer Schönheit mit ihrem goldenen Haar und ihrem Sternenkleid. Der junge König bat sie seine Frau zu werden. Sie heirateten und lebten vergnügt bis zu ihrem Tod.

Dieses Märchen ist in der heutigen Zeit sehr beliebt. Es thematisiert das Problem eines Missbrauchs der Tochter durch den Vater. Und es erzählt von einer starken Frau, die sich von ihrem Vater befreit und ihren eigenen Weg geht. Sie wählt sich selbst den Mann ihrer Träume und lebt ein emanzipiertes Leben.

Auf einer tieferen Ebene geht es um den Weg der spirituellen Entwicklung. Zuerst muss ein Mensch lange Zeit abgeschieden von allen weltlichen Energien in der Ruhe leben. Er muss intensiv seine spirituellen Übungen machen, bis es zur mystischen Hochzeit kommt. Für die Vereinigung mit Gott, die Einswerdung mit dem Licht, steht der goldene Ring. Im Buddhismus wird dieses Geschehen auch oft durch einen Kreis ausgedrückt. Der Mensch lebt in der großen Harmonie, in der Einheit mit sich und dem Leben. Das goldene Spinnrad verweist auf Fleiß und Ausdauer. Die goldene Haspel zeigt, das man mit Ausdauer an seinem neuen spirituellen Gewand arbeiten muss, bis man aus dem goldenen Faden das goldene Kleid des inneren Glücks nähen kann.

Die Königstochter trägt vier Kleider. Der Fellmantel deutet an, dass sie durch eine Phase der Armut gehen muss. Sie muss einfache Küchenarbeiten machen. Sie muss letztlich ihr Ego loslassen. Sie muss die Dinge im Leben so annehmen wie sie kommen. Sie muss ihre weltlichen Anhaftungen aufgeben. Sie muss an ihren Gedanken arbeiten, meditieren und innerlich vollkommen zur Ruhe kommen. Kommen die Gedanken zur Ruhe, tritt innerer Frieden ein und nach einer Weile taucht das innere Glück auf.

Das goldene Kleid deutet den Beginn der spirituellen Umwandlung an. Die Prinzessin macht ihre erste Erleuchtungserfahrung. Sie hat ein Stromeintritt, wie es im Buddhismus heißt. Sie wird eine Stromeingetretene und kennt jetzt das Ziel. Jetzt wird der Weg leichter. Die spirituelle Umwandlung geschieht fast von alleine. Die Prinzessin muss nur noch ausdauernd ausreichend in der Ruhe leben. Die Kundalini-Energie reinigt von sich aus ihren Körper und ihren Geist von den inneren Verspannungen und Energieblockaden. Diese Stufe der Ruhe und der inneren Reinigung wird durch das silberne (weiße) Mondkleid angedeutet.

Die dritte Phase ist dann die Auflösung des Ego und das Einswerden mit dem Kosmos. Wir erlangen ein Einheitsbewusstsein. Dafür wird im tibetischen Buddhismus die Sternenmeditation praktiziert. Wir visualisieren uns umgeben von Sternen und erfahren uns so als Teil des kosmischen Raumes. Wenn dieser Zustand dauerhaft wird, sind wir erleuchtet. Die mystische Hochzeit ist vollzogen. Jetzt können wir wieder in die Welt zurückkehren und als spirituelle Lehrerin unseren Mitmenschen den spirituellen Weg zeigen. Wir sind zu einer spirituellen Königin geworden.

https://www.ardmediathek.de/video/maerchenfilm-im-ersten/allerleirauh/das-erste/Y3JpZDovL3JiYi1vbmxpbmUuZGUvbWFlcmNoZW5maWxtLzIwMTMtMDctMjlUMTQ6MTU6MDAvYWxsZXJsZWlyYXVo/?isChildContent

E-Mail an mich, wenn Personen einen Kommentar hinterlassen –

Sie müssen Mitglied von Yoga Vidya Community - Forum für Yoga, Meditation und Ayurveda sein, um Kommentare hinzuzufügen.

Bei Yoga Vidya Community - Forum für Yoga, Meditation und Ayurveda dabei sein