Sterben als Weg zur Erleuchtung

Sterben als Weg zur Erleuchtung

Yongey Mingyur Rinpoche (*1975) ist ein tibetischer Lehrer und Meister der Karma Kagyu und Nyingma Linien des tibetischen Buddhismus. Er hat zwei Bestseller-Bücher verfasst und beaufsichtigt die Tergar Meditation Community, ein internationales Netzwerk buddhistischer Meditationszentren. Im Alter von zwanzig Jahren wurde Mingyur Rinpoche der Abt von Sherab Ling.

Im Juni 2011 verließ Mingyur Rinpoche sein Kloster in Bodhgaya, um eine Periode des ausgedehnten Rückzugs zu beginnen. Rinpoche ging mitten in der Nacht, nahm nichts mit, sondern hinterließ einen Abschiedsbrief. Er verbrachte vier Jahre als wandernder Yogi. Während der ersten Wochen dieses Retreats hatte Rinpoche eine Todeserfahrung, wahrscheinlich aufgrund einer schweren Form von Botulismus. Dies könnte das Ergebnis der Entscheidung gewesen sein, nur die Mahlzeiten zu essen, die ihm kostenlos und verfügbar waren, nachdem er sich das Geld ausgeht. Diese Erfahrung, so Rinpoche, war eine der wichtigsten und transformativsten Erfahrungen seines Lebens.

Bei seiner Krankheit dachte Mingyur am fünften Tag, dass er jetzt sterben würde. Deshalb praktizierte er die Sterbepraxis des tibetischen Buddhismus. Dort wird der Tod als große Möglichkeit angesehen zur Erleuchtung zu kommen. Als erstes akzeptierte er seinen nahenden Tod. Er ließ die Anhaftung an seine Freunde und seine Familie los. Er opferte seinen Körper in das Sterben. Dadurch kam er in die große Annahme. Er wurde geistig sehr ruhig und klar. Mingyur spürte, wie sein Körper immer schwerer wurde. Das war die Auflösung des Erdelements. Sein Mund wurde sehr trocken. Das Wasserelement verließ seinen Körper. Sein Körper wurde kalt. Das Feuerelement löste sich auf. Nur sein Herz blieb warm. Das ist eine Folge der meditativen Konzentration auf das Herzchakra.

Das Luftelement löste sich auf. Er atmete plötzlich nicht mehr in den Körper, sonden in den ganzen Kosmos. Mit der Auflösung der Luft in den Raum wurde sein Körper vollkommen gelähmt. Er konnte sich nicht mehr bewegen. Die Schädeldecke löste sich auf. Sein Gewahrsam wurde immer klarer. Sein Körper übertrug die sich auflösende Energie auf den Geist. Alle Angst verschwand und es entstand Freude in seinem Geist. Sein Geist wurde glückselig und erweiterte sich, bis er das ganze Universum ausfüllte.

Das Ich-Bewusstsein verschwand. Gewahrsein und Leerheit wurden eins. Das ganze Universum öffnete sich und wurde vollkommen mit dem Bewusstsein vereint. Er war nicht mehr innerhalb des Universums, sondern das Universum war in ihm. Es gab kein getrenntes Ich mehr. Kein innerhalb und außerhalb. Kein Selbst oder Nicht-Selbst. Kein Phänomen existierte getrennt von ihm. Die Lichthaftigkeit des Gewahrseins jenseits von allen Begriffen war sein einziges Bewusstsein. Alles wurde zu Liebe, Leerheit, Glückseligkeit und Ruhe.

Danach kam er in das Leben zurück. Möglicherweise entstand durch die starke Energie der Erleuchtungserfahrung eine innere Heilung. Es war noch nicht Zeit für ihn zu sterben. Sein Lehrauftrag war noch nicht beendet. Er sollte sein Lebenswerk zu Ende bringen. Plötzlich spürte er seinen Körper wieder. Nachdem er vier Jahre lang seinen Rückzug fortgesetzt hatte, kehrte er später in seine Position als Abt zurück.

Zitate aus seinem Buch "Auf dem Weg. Eine Reise zum wahren Sinn des Lebens".

Aus meiner Sicht ist interessant, dass ich während einer Meditation etwas Ähnliches erlebt habe. Wir können aus dieser Erfahrung die wesentlichen Elemente der Erleuchtung herausarbeiten. Erleuchtung entsteht durch die innere Reinigung und damit verbunden durch ein starkes Anwachsen der Energie. Ich nenne es das Erwachen der Kundalini-Energie. Die Kundalini-Energie steigt zum Scheitelchakra auf und verändert dadurch das Bewusstsein. Es entsteht ein Einheitsbewusstsein, die Egolosigkeit, die geistige Verbindung mit allem. Und es taucht das Gefühl von umfassender Ruhe, Liebe, Glückseligkeit und Allgegenwart auf. Man lebt im Licht, ist das Licht und strahlt Licht aus.

 

Bild: von Wikimedia Commons und ist frei verfügbar

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