Spirituelle Techniken

Die sechs Diener

Es war einmal eine alte Königin, die hatte eine sehr schöne Tochter. Die Prinzessin war das schönste Mädchen unter der Sonne und viele Prinzen begehrten sie zur Frau. Aber die alte Königin hing an ihrer Tochter und wollte sie nicht hergeben. Sie wollte die Liebe ihrer Tochter für sich alleine. Deshalb verlangte sie von jedem Prinzen, dass er drei schwere Aufgaben lösen sollte. Dann dürfe er die Prinzessin heiraten. Wenn er dagegen bei den Prüfungen versage, müsse er sterben. Auf diese Art verloren viele Prinzen ihr Leben. Bis es keiner mehr wagte um die Hand der Prinzessin anzuhalten. Darüber war die Prinzessin sehr traurig, denn sie hätte gerne einen Prinzen gehabt.

Eines Tages sah der Königssohn vom Silberschloss ein Bild der schönen Prinzessin. Er verliebte sich unsterblich in sie. Er war bereit sein Leben zu wagen, um die Prinzessin zu bekommen. Doch sein Vater verbot ihm sein Tun. Er hatte Angst um seinen Sohn und wollte seinen Thronerben nicht verlieren. Aber die Sehnsucht des Prinzen nach der Prinzessin war so groß, dass er schwer krank wurde und sieben Jahre im Bett liegen musste. Da erkannte der alte König, dass er den Prinzen nicht von seinem Weg abhalten durfte.

Der Prinz wurde sofort gesund und machte sich wohlgemut auf den Weg. Er glaubte an sich und seine Klugheit. Er war noch nicht weit gegangen, da traf er einen Mann, der war sehr dick. Der Dicke fragte den Prinzen, ob er mit auf die Reise gehen könne. Er hätte besondere Fähigkeiten, die dem Prinzen noch nützlich sein könnten. Der Prinz willigte ein und so zogen sie zu zweit weiter.

Nicht lange danach begegnete ihnen ein langer Mann. Er behauptete von sich, dass er sehr schnell laufen und in kürzester Zeit zu jedem Ort auf der Welt gelangen kann. So einen Mann konnte der Prinz ebenfalls bei seiner Aufgabe gebrauchen. Jetzt waren sie schon zu dritt.

Sie erblickten einen Mann, der sein Ohr an die Erde hielt. „Was machst du da,“ fragte der Prinz. Der Lauscher entgegnete: „Ich höre was auf der Welt geschieht. Ich kann alles an allen Orten hören.“ Der Prinz dachte: „Wer weiß wozu er noch für mich nützlich ist?“ Und nahm ihn auch mit auf seinen Weg.

Als viertes traf die kleine Gruppe auf einen Mann, der eine Augenbinde trug. „Bist du blind,“ fragte ihn der Prinz. Die überraschende Antwort lautete: „Ich bin nicht blind. Ich habe so einen starken Blick, dass ich alles zerstöre, was ich anblicke. Deshalb schütze ich mit der Augenbinde meine Mitmenschen.“ Der Prinz versprach gut für ihn zu sorgen und er ging mit.

Kurze Zeit später begegneten sie einer Frau, die saß im warmen Sonnenschein auf der Erde und zitterte am ganzen Körper. „Was ist mit dir los,“ wollte der Prinz wissen. Die Frau entgegnete: „Wenn es warm ist, wird mir kalt. Und wenn es kalt ist, wird mir warm.“ Auch sie kam mit auf die Reise.

Als Letztes beteiligte sich eine Frau an der kleinen Gruppe, die helle Augen hatte. Mit diesen Augen konnte sie zu allen Orte der Welt sehen. Der Prinz bat sie: „Kannst du erkennen, wo die schöne Prinzessin lebt? Dann zeige uns bitte den Weg zu ihrem Schloss.“ Nichts war leichter für die Hellsichtige. Und so kamen sie nach einiger Zeit wohlbehalten am Zielort an.

Sie wurden freundlich von der alten Königin empfangen und bewirtet. Die Prinzessin mochte den Prinzen. Aber sie war nicht sehr hoffnungsvoll, weil schon so viele Prinzen ihr Leben bei den drei Prüfungen verloren hatten.

Am nächsten Tag ging es zur ersten Aufgabe. Um zu zeigen, dass der Prinzen es wert sei, die schöne Prinzessin zu erhalten, sollte er den Ring der Prinzessin finden. Die Hellseherin erkannte, dass der Ring auf dem Grund eines kleinen Sees lag. Der Dicke trank das Wasser des Sees aus, der Lange holte den Ring heraus und der Prinz steckte ihn der Prinzessin an den Finger. Die erste Aufgabe war gelöst.

Die nächste Aufgabe war eine Stufe schwieriger. Aus Freude über die Verlobung wurde ein großes Fest gefeiert. Es wurden dreihundert Ochsen geschlachtet und gebraten. Dazu gab es dreihundert Fässer Wein. Alles musste aufgegessen und ausgetrunken werden. Der Dicke alleine aß fast alles Fleisch und trank fast den gesamten Wein. Er ließ seinen Freunden kaum etwas übrig. Alle wurden gerade satt.

Die dritte Aufgabe wartete in der Nacht auf sie. Der Königssohn durfte jetzt die Prinzessin umarmen. Er durfte die ganze Nacht mit ihr eng umschlungen verbringen. Das machte den Prinzen und die Prinzessin sehr glücklich. Beide trugen eine große Sehnsucht nach Liebe und Zärtlichkeit in sich. Die Aufgabe bestand darin, dass sie bis Mitternacht nicht einschlafen durften.

Zuerst war von Schlaf keine Rede. Der Prinz und die Prinzessin genossen ihr glückliches Zusammensein. Sie konnten die Augen nicht voneinander lassen. Sie hatten einander so viel zu erzählen. Aber eine Stunde vor Mitternacht warf die alte Königin einen Schlafzauber über sie. Die ganze Reisegruppe schlief ein und die Prinzessin wurde an einen entfernten Ort entrückt und dort von der alten Königin in einem Felsen versteckt. Die alte Königin glaubte, dass sie jetzt gewonnen habe.

Aber der Prinz spürte, dass ihm etwas fehlt und wachte eine viertel Stunde vor Mitternacht auf. Er weckte seine Diener und fragte, was sie jetzt tun könnten. Der Lauscher hörte die Prinzessin in dem Felsen weinen. Die Hellsichtige fand den Ort des Felsens. Der Lange trug den Diener mit der Augenbinde zum Felsen. Der nahm die Augenbinde ab, starrte mit seinem kraftvollen Blick den Felsen an, der Felsen zersprang in tausend Teile und der Lange brachte die Prinzessin schnell wieder zurück in die Arme des Prinzen.

Um Mitternacht betrat die alte Königin frohlockend das Zimmer des Prinzen. Als sie sah, dass der Prinz immer noch wach war und die Prinzessin in seinen Armen hielt, dachte sie: „Der kann mehr als ich!“ Und willigte in die Hochzeit ein. Jetzt aber verlangte die Prinzessin noch eine weitere Prüfung. Sie wollte sehen, ob der Prinz es wert war sie zur Frau zu bekommen.

Am nächsten Tag wurde Holz aufgeschichtet und ein großes Feuer entzündet. Die Prinzessin verlangte, dass der Prinz oder einer seiner Diener für sie durch’s Feuer gehen muss. Die frostige Frau schaltete ihre Fähigkeit der inneren Kälte an, setzte sich mitten ins Feuer und wartete gemütlich, bis das ganze Holz verbrannt war.

Jetzt konnte die Hochzeit beginnen. Alle setzten sich in eine prachtvolle Kutsche, die von sechs weißen Pferden gezogen wurde. Als sie den halben Weg zur Kirche, die auf einem Hügel etwas außerhalb lag, gefahren waren, bedauerte die alte Königin den Verlust ihrer Tochter. Sie schickte zweimal Soldaten aus, um die Prinzessin zurück zu holen. Das erste Mal ertränkte der Dicke die Soldaten in dem Wein, den er noch in seinem Bauch hatte. Das zweite Mal blickte der Diener mit dem starken Blick einmal kurz die Soldaten an und sie zerfielen zu Staub.

Die ganze Gruppe erreichte wohlbehalten die Kirche, der Bund für’s Leben wurde geschlossen und alle waren glücklich. Sie reisten weiter zum Schloss des alten Königs, des Vaters des Prinzen. Dem alten König fiel ein Stein vom Herzen, so freute er sich über den Erfolg seines Sohnes. Er verzieh der Mutter der Prinzessin ihre schweren Prüfungen und lud sie auch zu sich in das Schloss ein. Sie feierten sieben Tage und Nächte ein großes Hochzeitsfest. Es gab auch für den Dicken genug zu essen und zu trinken. Die Frostige bekam einen Platz am Feuer und der Blinde wurde von den Hofleuten bedient. Der Horcher bekam schöne Musik zu hören und die Hellseherin konnte sich an der Festdekoration und den vielen Lichtern erfreuen. Der Lange durfte kräftig das Tanzbein schwingen. Es brach eine Zeit der Liebe, des Friedens und des Glücks für alle an.

Diese Geschichte zeigt uns viele spirituelle Fähigkeiten. Ich kenne sie aus dem Yoga und dem tibetischen Buddhismus. Es ist erstaunlich, dass sie auch den Märchenerzählern im Mittelalter in Deutschland bekannt waren. Ich vermute, dass auch die spirituellen Meister der Germanen diese Fähigkeiten besaßen. Das gilt bestimmt für die Fähigkeit lange und ausdauernd zu laufen. Das ist eine alte schamanische Fähigkeit, die auch von den Indianern in Nordamerika berichtet wird.

Die Fähigkeit des Hellsehens, des Hellhörens und des Hellspürens ist unter spirituellen Menschen weit verbreitet und bekannt. Fast jeder kann zumindest Energien spüren. In die Zukunft oder zu fremde Orten zu blicken, ist nur auserwählten Menschen möglich. In sich selbst hinein zu spüren ist dagegen für jeden spirituellen Menschen unerläßlich. Anders findet man den persönlichen Weg der Liebe, des Glücks und des inneren Friedens nicht.

Zentral für den spirituellen Weg ist es innere Verspannungen und Verhärtungen aufzulösen. Dieses gelingt, indem man die Verhärtung in seinem Körper oder seinem Geist erspürt und sich dann gezielt darauf konzentriert. Diese Fähigkeit hatte der Diener mit dem starken Blick. Seine Technik nennt man im Yoga auch Tratak. Der Hellhörige erspürte das Versteck der Prinzessin und der Diener mit den starken Blick konzentrierte sich auf den Felsen und zerstörte ihn so. Die Prinzessin, das heißt die innere Energie, war befreit.

Jetzt kam es darauf an die Energie zu verstärken und zu bewahren. Bewahrt werden kann die spirituelle Energie durch viel Ruhe, meditative Konzentration und Achtsamkeit auf die Gedanken. Der Prinz musste es lernen die Prinzessin festzuhalten und dabei nicht einzuschlafen. Er musste die Soldaten der alten Königin mit seiner Kraft der Meditation (Traktak) zerstören oder sie mit seiner spirituellen Energie ertränken.

Um viel spirituelle Energie zu erzeugen, gibt es den Weg des Kundalini-Yoga. Kundalini-Yoga besteht aus vielen Techniken. Die Grundtechnik ist die Meditation auf die Chakren, die Energietore des Körpers. Tritt die Energie in den Körper, wird sie im Kundalini-Kanal gesammelt. Sie steigt in der Mitte des Körpers (oder in der Wirbelsäule) bis in den Kopf hoch. Dann geschieht ein Bewusstseinsumschwung und der Mensch ist im Glück, im Frieden und in der Erleuchtung. Er vollzieht dadurch die mystische Hochzeit.

Eine wichtige Technik dafür ist die Übung der inneren Hitze (Tummo). Man erzeugt Kraft seiner Gedanken Hitze oder Kälte in seinem Körper, je nachdem was man gerade braucht. Das ist äußerlich hilfreich, um starke Hitze oder Kälte zu ertragen. Vor allem ist es aber eine innere Technik, um die Kundalini-Energie zu entfachen. Häufig entsteht beim Erwachen der Kundalini auch von alleine innere Hitze oder Kälte.

Die Haupttechnik im tibetischen Buddhismus und im Tantra-Yoga ist die mystische Hochzeit. Dazu praktiziert man den Gottheiten-Yoga. Man visualisiert sich als Gottheit (als Buddha) und seine Mitmenschen ebenfalls als Gottheiten. Man sieht das Licht in allem und erweckt dadurch das Licht in sich. Man verschmilzt geistig oder real in Liebe mit seiner spirituellen Partnerin. Die Energie der Verliebtheit kann einen dann in Erleuchtungsdimensionen bringen. Ich habe das selbst erlebt. Man muss es nur schaffen, diese Energie zu bewahren. Das ist in der heutigen Zeit bei den vielen weltlichen Energien eine schwierige Aufgaben. Und wie wir an den Märchen erkennen können, war es auch für unsere Vorfahren schwierig. Dafür gibt es den Dicken. Er schafft es die spirituelle Energie im Bauch zu speichern. Dafür gibt es die Mudras und Bandhas (Energieverschlüsse) im Yoga. Wir können auch Dinge im Bauch visualisieren oder uns als dicken Buddha sehen. Wichtig ist es auch hier auf seine Gedanken zu achten (positiv zu denken), damit wir nicht durch starke negative Emotionen unsere innere Energie und unser Glück verlieren. Wir üben auf dem spirituellen Weg deshalb bewusst Gelassenheit, Frieden, inneres Glück und umfassende Liebe. Das sind die wichtigsten Vorstufen der Erleuchtung, um dauerhaft im Licht zu leben.

https://www.youtube.com/watch?v=P3wVK7_5Fn0&feature=emb_imp_woyt

E-Mail an mich, wenn Personen einen Kommentar hinterlassen –

Sie müssen Mitglied von Yoga Vidya Community - Forum für Yoga, Meditation und Ayurveda sein, um Kommentare hinzuzufügen.

Bei Yoga Vidya Community - Forum für Yoga, Meditation und Ayurveda dabei sein