Das ist interessant, Ravana war eine Person mit verschiedensten Facetten. Als junger Mann war er ein großer Verehrer von Shiva. Er machte viel Pranayama, er machte Pujas, er meditierte, er verehrte Shiva und bekam so auch den Segen und die Gnade von Shiva. Es gibt sogar einige große Hymnen zur Verehrung von Shiva, von denen es heißt, dass sie von Ravana komponiert wurden. Und dann ist Ravana ein Beispiel von jemandem, der auf die schiefe Bahn gekommen ist. Durch seine tiefe Praxis, durch seine intensive Liebe zu Gott, hatte er Prana angesammelt, Kraft angesammelt, er hat Fähigkeiten bekommen, er hat ein Charisma gehabt, eine Ausstrahlung gehabt. Und so wurde er zum König von Sri Lanka. Jetzt wurde er machthungrig und er beauftragte andere, andere Länder zu besiegen, außerdem raubte er Indra eine seiner Apsaras, eben die Rambha. Und er raubte einen ganzen Harem zusammen. Und er hielt in seinem Königreich auch einige, die Menschenfresser waren.

Ravana selbst nicht, aber er war jemand, der nicht sich um die große Ethik dann scherte. Und so kam er auf die schiefe Bahn. Schließlich hörte er, dass Rama auf Erden war. Rama – Inkarnation von Vishnu. Und er ärgerte sich darüber, dass viele über Rama so großartig sprachen und nicht über ihn. Und dann hatte er eine Schwester und die Schwester wollte den Rama zum Mann gewinnen, aber Rama sagte: „Nein, ich bin schon verheiratet.“ Und er vertrieb diese Dämonin. Sie ging zu Ravana und sagte: „Weißt du Ravana, der Rama hat keinen Respekt vor uns. Außerdem hat er eine Frau, die ist schöner als jede andere Frau in deinem Harem, die musst du bekommen.“ Ravana dachte: „Ok, dann will ich diese Sita rauben.“

Und so flog Ravana mit einem Vimana, einem Flugzeug – tatsächlich ist es so in der Ramayana beschrieben – dorthin. Er hatte einen anderen Co-Dämon, den er beauftragte, sich zu verwandeln, eine andere Gestalt anzunehmen. Und dieser nahm die Gestalt einer wunderschönen Hirschkuh an und Sita sah diese Hirschkuh und sagte: „Oh Rama, bitte fange mir doch diese Hirschkuh ein, ich hätte gerne mal so einen schönen Hirschen.“ Und Rama wollte das erst nicht, aber er stimmte schließlich zu und bat Lakshmana, sich um Sita zu kümmern. Durch eine List lenkte Ravana auch Lakshmana ab und so blieb Ravana allein mit Sita. Und er überlistete auch Sita und raubte die Sita und er nahm dann Sita mit nach Sri Lanka. Ravana wollte Sita zur Frau machen, aber – und da muss man sagen, war ein Rest von Edelmut noch da – er wollte sie nicht vergewaltigen.

Er sagte nur: „Du sollst freiwillig meine Frau werden.“ Sita weigerte sich. Aber schließlich wurde es Ravana doch zu dumm und er sagte dann: „Entweder du wirst bis dann und dann meine Frau oder ich überlasse dich meinen anderen Frauen, da gibt es einige Kannibalinnen, die nur darauf warten, dich zu essen.“ Sita war sehr verzweifelt und dann kam aber ein Bote von Rama, nämlich Hanuman, und Hanuman sagte Sita: „Rama wird kommen, du kannst Hoffnung haben.“ Und so kam Hanuman zurück und erzählte Rama, wo Sita war, und Rama kam dann mit einem Heer von Affen und Bären, um Ravana zu besiegen. Ravana hatte einen Bruder, der hieß Vibhishana. Und der Vibhishana sagte die ganze Zeit zu Ravana: „Oh Ravana, werde doch wieder tugendhaft. Du bist doch eigentlich ein großer Yogi, du bist Gottesverehrer. Du bist auf die schiefe Bahn gekommen, bitte, lasse die Sita wieder frei und sorge dafür, dass Ethik im Königreich ist. Du hast so viele Möglichkeiten.“

Ravana lachte nur. Und so kam Rama dorthin und es entbrannte ein großer Kampf. Immer wieder sagte Vibhishana: „Bitte, du solltest bereuen und gut sein.“ Schließlich warf Ravana den Vibhishana raus und so kämpfte dann Vibhishana auf der Seite von Rama. Wie es nicht anders gehen kann – ich mache die Geschichte jetzt kurz – schließlich besiegte Rama die Armee von Ravana, es kam zum Zweikampf. Und Ravana hat im Lauf seines spirituellen Lebens verschiedene Bhavas entwickelt. Bhavas heißt also, verschiedene Formen der Hingabe. Und jetzt war die sechste der fünf Bhavas dran – eigentlich gibt es fünf Bhavas, fünf Formen der Hingabe, eben Freundschaft, Dienerschaft, dann Gefühl Gottes Sohn, Tochter, Vater zu sein, Gottes Geliebter zu sein und schließlich Shanta Bhava, gleichmäßige Haltung von Ehrerbietung. Und es gibt die sechste, das ist, Gott zu hassen. Und Ravana hasste jetzt Rama über alle Maßen, er war voller Hass auf Rama. Schließlich kam es zum Zweikampf. Und in dem Zweikampf wuchs der Hass von Ravana ins Unermessliche. Schließlich wurde sein Hass so groß, dass er an nichts anderes mehr denken konnte als an Rama. Er sah plötzlich überall nur noch Rama. Schließlich sah er in sich selbst auch nur noch Rama. Und in dem Moment, wo dann Ramas Speer Ravana ins Herz traf, in dem Moment hatte Ravana überall nur noch Rama gesehen und Ravana erreichte die Gottverwirklichung in diesem Moment.

Das Interessante ist, Ravana war unter allen in der Ramayana der, der als erstes die Gottverwirklichung erreicht hat. Denn in der Ramayana, es werden ja alle Bhavas beschrieben. Sita hat natürlich Rama als ihren Mann gesehen, Madhurya Bhava. Lakshmana sah Rama als seinen Bruder und damit als seinen Freund, Sakhya Bhava. Dann, Hanuman war Diener von Rama. Und Dasharatha und Kausalya sahen Rama als ihren Sohn, und die Söhne von Rama als ihren Vater, also dieses Vatsalya Bhava. Und Vasishtha und Vishwamitra hatten eine gleichmäßige Ehrerbietung vor Rama, eben Shanta Bhava. Aber als erstes die Verwirklichung erreicht Ravana, der seine ganzen Emotionen auf Rama ausgerichtet hatte. Und so erreichte Ravana, dieser Dämon, die Gottverwirklichung, nicht durch seine Verehrung an Shiva, die er vorher gemacht hatte, sondern letztlich durch seinen intensiven Hass auf Gott als Rama.

Das ist jetzt nichts, was du imitieren solltest, aber aus der Geschichte von Ravana kannst du mehrere Lehren ziehen. Die erste Lehre ist, es ist gut, vorsichtig zu sein. Wenn du intensiv Praktiken übst, ist das noch kein Garant, dass du die höchste Verwirklichung erreichst, du kannst auf Abwege geraten. Gerade wenn es dir gelingt, deinen Geist zu beherrschen, wenn es dir gelingt, viel Prana zu haben, wenn es dir gelingt, große Ausstrahlung zu haben, pass auf, dass du nicht machthungrig und machtgierig wirst. Und auch dann, wenn du enttäuscht bist, dass du trotz deiner intensiven Praktiken nicht Gott vollständig verwirklichst, dann pass auf, dass du nicht auf Abwege gerätst. Es heißt, geduldig zu sein, es heißt, demütig zu sein, ethisch zu sein. Es reicht nicht aus, nur Praktiken zu machen und Gott zu spüren, es gilt, Ethik in den Alltag umzusetzen. Das ist die eine Lehre, die du daraus ziehen kannst. Und die zweite ist, enthalte dich des Urteilens. Selbst Menschen, die scheinbar unethische Handlungen tun, selbst wenn du dich ihnen in den Weg stellen musst wie Rama, selbst wenn du gegen sie kämpfen musst, um Quälen usw. zu verhindern, sie können der Gottverwirklichung recht nahe sein. Der Sünder von heute ist der Heilige von morgen. Der Verbrecher von heute ist der Gottverwirklichte von morgen. Du weißt nicht, wie Gottes Wege sind. Du kennst nicht das Karma. Habe eine große Ehrerbietung, denn im Herzen aller Wesen wohnt Gott. Es kann sein, dass du für das Wohl der guten Sache dich engagieren musst. Es kann sein, dass du durchaus dort intensiv tätig sein musst, aber wisse, hinter allem steckt letztlich Gott.

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