"Projek Weltethos"

„Projekt Weltethos“So der Titel des bereits 1990 erschienenen Buches von Hans Küng. Dem bekannten Tübinger Theologen war 1979 die Lehrbefugnis entzogen worden, wegen seiner kritischen Haltung zum Papst. In seinem Buch „Projekt Weltethos“ bewertete Küng schon damals den Neokapitalismus als „zukunftsunfähig“. Das jüngste Finanz- und Wirtschaftsdebakel hat ihm nur allzu Recht gegeben. Nur all zu Recht hat er auch in seiner Forderung der Globalisierung einen ethischen Rahmen zu geben; denn noch fehlt ihr das menschliche Antlitz – ein Spielball von Großkonzernen und Finanzspekulanten:„Diese eine Welt braucht ein Ethos, diese eine Weltgemeinschaft braucht keine Einheitsreligion und Einheitsideologie, wohl aber einige verbindende und verbindliche Normen, Werte, Ideale und Ziele.“Der Impuls wurde vom Parlament der Weltreligionen 1993 in Chicago aufgegriffen. Die Vertreter verschiedener Religionen traten für die Notwendigkeit ein, die Erklärung der Menschenrechte von 1948 ethisch zu untermauern. Die Delegierten einigten sich auf vier Leitsätze:„Verpflichtung auf eine Kultur der Gewaltlosigkeit.Verpflichtung auf eine Kultur der Solidarität und einer gerechten Wirtschaftsordnung.Verpflichtung auf eine Kultur der Toleranz und eine Leben in Wahrhaftigkeit.Verpflichtung auf eine Kultur der Gleichberechtigung und der Partnerschaft von Mannund Frau.“Verpflichtungen, zu denen wohl alle Menschen guten Willens stehen. Aber leider ergeht es den hehren Absichtserklärungen ähnlich wie den Erklärungen zu den Menschenrechten. Täglich kommt es überall auf der Welt zu eklatanten Verletzungen. Warum diese Diskrepanz zwischen Erklärungen und Verpflichtungen einerseits und ihrer Umsetzung anderseits?Die Lektüre von Küngs Buch hat Graf K.K. von der Groeben 1995 zur Gründung und Finanzierung der „Stiftung Weltethos“ inspiriert. Nach seinen Worten soll die Stiftung„den Menschen zeigen, dass es befriedigendere Werte gibt als den materiellen Genuss und dass es Freude macht, sich für ein hohes Ziel einzusetzen. Wir müssen loskommen von der gepriesenen Selbstverwirklichung und vom Wohlstandsdenken und den Menschen klar machen, dass wir zum gemeinsamen Leben in Frieden und Freiheit hohe ethische Normen brauchen“.Die Stiftung hat sich u.a. die „Durchführung und Förderung interkultureller und interreligiöser Forschung und Bildungsarbeit“ zur Aufgabe gestellt. Und es ist bislang viel geschehen. Denn „gemeinsame Werte müssen nicht nur politisch gewollt und vorbereitet werden, sondern sie müssen auch wissenschaftlich erarbeitet und konkret umgesetzt werden.“ So kam es zu zahlreichen Lehrveranstaltungen, Vorträgen, Publikationen, Tagungen und Ausstellungen mit Unterstützung von höchster Ebene: Kofi Annan, Desmond Tutu, Toni Blair, Horst Köhler u.a.m. Im Internet ist eine Lernplattform entstanden: „A Global Ethic Now!“ sowie eine Homepage www.weltethos.org. Für Schulen wurden ein Multiples Lernnetzwerk und ein Materialordner zur Vermittlung universeller ethischer Prinzipien erstellt. Engagierte Lehrer arbeiten an der Umsetzung mit Kindern.Mithin: Es fehlt nicht an gutem Willen, es fehlt nicht an Intelligenz, es fehlt nicht an Bemühungen zur Umsetzung. Aber trotzdem fehlt etwas. Denn bislang hat sich nichts geändert. Mutter Erde ächzt und krächzt wie eh und je: Kopenhagen ist am Egoismus der Nationen gescheitert. Die Mentalität der Wirtschafts- und Finanzakteure erweist sich als lernresistent. Der „Krieg gegen den Terrorismus“ ist durch Krieg nicht zu gewinnen und, und, und. Wir rotieren im alten Paradigma, rotieren im engen Kreise unseres, auf der gegenwärtigen Ebene der Evolution, begrenzten Erkenntnishorizontes. „Du kannst das Problem nicht lösen auf der Ebene, wo das Problem seine Wurzeln hat“, sagte Albert Einstein.Hans Küng verspricht sich mit verbindenden und verbindlichen ethischen Normen, Werten, Idealen und Zielen eine Bewusstseinsveränderung der Menschen. Gewiss, aber es ist lediglich eine Veränderung auf der Ebene der Inhalte, die zweifellos ihren Wert hat, so wie der Religionsunterricht seinen Wert hat. Aber da ist noch eine andere Ebene, die Küng sicherlich durch seinen tiefen christlichen Glauben kennt. Der moderne Geist will jedoch mehr als glauben, er will erfahren. Und diese Erfahrung führt, christlich gesprochen, in die Mystik – ein viel schillernder Begriff. Besser man spricht mit Ervin Laszlo von einem Bewusstseinsshift. Es dieser Shift, und nur er, der eine neue Ebene der Erkenntnis erschließt. Dieser Ebene ist eine naturgegebene Ethik einprogrammiert, so wie auf der gegenwärtigen Ebene der Evolution uns der Egoismus einprogrammiert ist. Beides ist naturgegeben, man braucht sie nicht zu erlernen.Ein Beispiel aus dem Leben des Kolumnisten: In jungen Jahren nahm ich an einem großen Meditationskurs in Kössen, Tirol, teil. Wir waren über zweihundert TeilnehmerInnen, untergebracht in Hotels und Pensionen des Ortes. Jeden Tag trafen wir uns in der Mehrzweckhalle zu gemeinsamen Meditationen, Vorträgen und zur Gruppenarbeit. Einen solchen Kurs hatte es schon in Kössen im Jahr zuvor gegeben. Die Einheimischen kannten bereits ihre „Yogis“; überwiegend waren sie aus der Turnschuhgeneration. Man konnte ihnen vertrauen, das wussten die Ortsansässigen. Denn im Jahr zuvor – es hatte sich schnell herumgesprochen – gab es nicht eine unbezahlte Rechnung, nicht einen faulen Scheck, nicht eine Beschwerde. Seltsam – ich kann mich nicht entsinnen, dass wir während des Kurses jemals über ethische Werte, Normen oder Ideale gesprochen hatten. Auf dem Wege zum Bewusstseinsshift durch Meditation stellt sich von innen heraus faires Verhalten ein.Mit der Bitte um Weiterleitung
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Kommentare

  • Hallo Frank,
    spitze Kommentar. Übrigens die Erfahrung in Kössen war mit einer TM-Gruppe in Gegenwart von Maharishi.
    Und die Untersuchung mit der sinkenden Kriminalitätsrate in Atlanta, die Du erwähnst, wurde noch einmal wiederholt und bestätigt. Ich meine, das wäre ein Beleg für die Korrelation von ethischen Bewusstsein und Spiritualität. Wobei Wertevermittlung durchaus seinen Stellenwert hat.
    Anbei noch die christliche Ergänzung, wie ich sie Hans Küng gemailt habe. Namaste´ ! Narada

    Es wird Zeit, dass wir uns als kritische Christen über einen solchen – neurophysiologisch bestätigten – Bewusstseinsshift Gedanken machen: „Ist jemand in Christo, so ist er eine neue Kreatur; das Alte ist vergangen, siehe es ist alles neu geworden“ (2. Kor. 5,17). Möglicherweise ist ein solcher Shift bei Paulus spontan in Damaskus eingetreten. Möglicherweise wird er für uns Durchschnittsmenschen z.B. durch Meditation vorbereitet, der Shift selbst wäre Gnade. Und möglicherweise käme es dann zu einer Neuentdeckung der christlichen Mystik. „Hinsetzen und still werden“ heißt es ganzseitig im Publik Forum 1/2010, S. 46. Gedanklich still werden, müsste man präzisieren.
    „Der neue Christ wird eine Mystiker sein, einer der GOTT erfahren hat – oder er wird nicht sein.“ (Karl Rahner)
    Mystik ist die Dimension, die allen Religionen gemeinsam ist und die alle Menschen miteinander verbindet. Der gemeinsame Dialog an der Oberfläche wird durch einen nonverbalen Konsens aus der Tiefe heraus erleichtert. Und aus dieser Tiefe heraus erwächst ein naturgegebenes Weltethos.
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