Mein verrücktes Leben als abgeschiedener Yogi

Heute war ein schöner Tag. Der Frühling kommt nach Norddeutschland. Die Sonne schien. Die kleinen Schneeglöckchen in meinem Garten recken ihre weißen glockengeformten Blüten aus dem braunen Winterlaub. Wenn man genau hinhört, kann man ihr zartes Klingeln hören. Sie läuten den Frühling ein.

Im Altersheim war alles wie gewohnt. Außer, dass meine Mutter jetzt 93 Jahre alt ist. Aber das glaubt sie nicht. Sie hält sich für 27. Die Altenpfleger hatten sie gerade aus dem Mittagsschlaf geholt und an ihren Tisch gesetzt, als ich das Zimmer betrat. Ich zog meine dicke Winterjacke aus, denn draußen war es noch beträchtlich kalt.

Ich begrüßte meine Mutter und schob sie in ihrem Rollstuhl ins Altersheim-Cafe. Dort wartete schon der leckere Kuchen auf mich. Heute gab es Pflaumenkuchen mit Schlagsahne. Meine Mutter bekam die mitgebrachten Apfelstücke. Ich schob sie ihr liebevoll in den Mund. Sie war im Moment noch zu müde um selbst zu essen. Aber nach einiger Zeit kam sie auf den Geschmack und langte mit ihrer Hand selbst in die Schale mit den Apfelstücken. Sie ist gerade noch ein der Lage sie selbst in den Mund zu befördern. Mit Mühe und mit zitternder Hand.

Ein Gespräch ist mit ihr nicht mehr möglich. Dafür kam meine alte Freundin Frau Trotzki fröhlich winkend in den Saal. Sie ist letzte Woche 86 Jahre alt geworden. Ich hatte ihr mein Buch über das positive Denken geschenkt. Aber im Korb ihres Rollators liegt immer mein Buch "Der Yogi und seine alte Mutter", weil sie dort selbst drin vorkommt. Das zeigt sie immer wieder allen anderen Mitbewohnern im Altersheim. Die ganze Welt kennt sie jetzt und sie wird ewig im Weltgedächtnis leben. Diese Tatsache erfüllt sie immer wieder mit Freude und trägt sie durch ihr Alter. Es ist erstaunlich mit wie wenigen Sätzen man einen Menschen glücklich machen kann.

Am meisten interessiert Frau Trotzki mein Haus im Wald. Sie hat letztes Jahr mitbekommen, wie ich es umgebaut und modernisiert habe. In diesem Sommer öffne ich mein Haus für Besucher. Ich biete über Pfingsten einen Gesprächskreis zum Thema "Spirituelle Therapie", Ende Juli eine zweiwöchige Yogalehrer-Ausbildung und Mitte August eine Woche Yoga-Urlaub an. Alles kostenlos gegen eine kleine Spende für das Essen.

Frau Trotzki fragt mich, ob sich schon Leute angemeldet haben. Für die spirituelle Therapie interessieren sich die meisten Menschen. Es ist fast voll. Die Yogalehrer-Ausbildung haben fünf Leute gebucht. Das reicht gerade. Es könnten aber noch etwas mehr kommen. Ich plane Gruppen von fünf bis zehn Personen. Das entspricht der Kapazität an Betten, die ich habe. Im April will ich noch ein Gartenhäuschen mit zwei Betten dazu bauen.

Für den Yoga-Urlaub im August haben sich zwei Frauen angemeldet. Hier ist es letztlich egal, wie viele Menschen kommen. Ich freue mich über jeden Besucher. Dann können wir zusammen im Wald spazieren gehen, Yoga machen, meditieren und natürlich auch viel über das Leben und die Spiritualität reden.

Jedenfalls beginnt dieses Jahr eine neue Etappe in meinem Leben und ein großes Abenteuer. Nach 29 Jahren als abgeschiedener Yogi beginne ich mich wieder der Welt zu öffnen. Frau Trotzki ist begeistert von meinem abwechslungsreichen Leben. Zuerst Rechtsanwalt, dann Yogi und Yogalehrer bei der Hamburger Volkshochschule, und zuletzt sogar berühmter Schriftsteller. Jedenfalls aus der Sicht von Frau Trotzki. Aus meiner Sicht bin ich nur ein unbedeutender kleiner Yogi, der irgendwie ein verrücktes Leben lebt.

Diese Verrücktheit begann mit der verrückten Idee sich auf die Suche nach dem Glück zu machen. Bei dieser Suche kann man viel erleben. Zuerst suchte ich im Außen, in Beziehungen, Konsum und Karriere. Bis ich erkannte, dass es auf die Dauer nicht wirklich befriedigte und vor allem nicht dauerhaft das große Glück brachte. Dann beschäftigte ich mich mit Psychologie, Philosophie und Religion. Ich machte eine Ausbildung als Psychotherapeut und als Yogalehrer. Und begann intensiv als Yogi zu praktizieren.

Am Ziel bin ich immer noch nicht, aber das Glück entwickelt sich langsam. Und ich habe inzwischen viel Wissen und viele Erfahrungen erlangt, die ich gerne weitergeben möchte. Ein großes Glück am Anfang meines Weges waren die Einweihungen durch meine erleuchteten Meister. Sie übertrugen mir spirituelle Energie und verschafften mir tiefe Erleuchtungserfahrungen. So konnte ich meinen persönlichen spirituellen Weg finden, den ich als Weg der umfassenden Liebe, des Lebens in der Ruhe und der täglichen spirituellen Praxis bezeichnen würde.

Dazu gehört seit einem Jahr das spirituelle Singen. Mein Hauptübungsfeld ist das Altersheim meiner Mutter. Auch heute versammelten sich wieder viele Alte um mich herum und sangen mit mir gemeinsam deutsche Volks- und Kinderlieder. Meine Mutter ist schwer dement und kann sich derzeit kaum noch an die Lieder erinnern. Ich begann deshalb mit dem Volkslied "Auf auf zum fröhlichen Jagen". Dieses Lied kann meine Mutter am besten mitsingen. Es ist zwar eine Herausforderung für einen gewaltfreien Yogi, der das Töten von Tieren ablehnt. Aber da ich ein undogmatischer Yogi bin, spiele ich es um meine Mutter zu erfreuen. Und zwar immer wieder und so lange, bis das Gedächtnis meiner Mutter erwacht und sie auch andere Lieder erinnern kann. Und so wurde es heute wieder ein glücklicher und fröhlicher Tag.

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