Meditation auf das Bild einer Gottheit

Putalipa war ein Haushälter, der vor etwa tausend Jahren in Indien lebte. Der Begriff Haushälter bedeutet, dass er einem Beruf nachging und eine Familie hatte. Da er aus einer niedrigen Kaste (unteren Schicht) stammte, war das weltliche Leben für ihn schwierig. In seinem Beruf musste er hart arbeiten und verdiente wenig Geld. Er konnte gerade davon seine Familie ernähren. Die Kinder nervten und seine Frau stritt oft mit ihm. Putalipa hatte keine Lust mehr zu seinem Leben. Er sehnte sich nach einem besseren Leben. Aber wie sollte er mit seinen geringen Fähigkeiten ein besseres Leben erlangen?

Da hörte er von Buddha und dem Weg der Erleuchtung. Wer erleuchtet ist, ist von dem Leid der Welt befreit. Er lebt dauerhaft in einer anderen Dimension aus Liebe, Glück und Frieden. Nirvana ist laut Buddha das höchste Glück. Putalipa wünschte sich ein Leben im Nirvana, im Glück der Erleuchtung. Und kaum hatte er diesen Wunsch gedacht, tauchte auch schon ein buddhistischer Guru auf, der bereit war ihm den spirituellen Weg zu zeigen.

Laut Buddha ist es einem Haushälter kaum möglich die Erleuchtung zu erreichen, weil er zu stark mit weltlichen Energien beschäftigt ist. Für den schnellen Weg zur Erleuchtung braucht man ein Leben in der Ruhe, des intensiven spirituellen Übens und in der Liebe zu allen Wesen. Und vor allem braucht man eine Meditationstechnik, die einen persönlich effektiv zur Erleuchtung bringt. Der Guru weihte ihn in das Hevajra-Tantra ein und übertrug ihm die dazu notwendige Energie. Er öffnete die entsprechenden Chakren und Energiekanäle. Er gab ihm ein Mantra und ein Bild, auf das er meditieren sollte. Durch das Bild konnte er sich immer wieder mit der Kraft seines Gurus verbinden, also mit dem Erleuchtungsbewusstsein (der Energie) des Guru. Wenn er so mit dem Guru verbunden war, konnte der Guru ihn beständig auf seinem spirituellen Weg über jede räumliche Distanz hinweg führen.

Putalipa verließ seine Familie und wurde ein Yogi. Als Bettelmönch zog er durch Indien. Wie es auch Buddha, sein großes Vorbild, viele Jahre vor ihm praktiziert hatte. Jeden Tag meditierte er auf das Bild, dachte ein Mantra und ging bettelnd von Haustür zu Haustür. Oft zog er sich für längere Zeit in die Abgeschiedenheit zurück und wurde nach zwölf Jahren zu einem Arhat (erleuchteten Heiligen).

Putalipa behielt seine bisherige spirituelle Lebensweise bei, machte seine spirituellen Übungen und erbettelte sich seinen Lebensunterhalt. Eines Tages ging er zum Palast des Königs (der Herrschers in seiner Stadt) und bat um eine kleine Spende. Der König erblickte das Bild von Hevajra, das Putalipa an einer Kette um den Hals gebunden trug. Der König war nicht mit dem Bild einverstanden. Vermutlich war er ein Hindu und Putalipa war ein Buddhist. "Wieso tanzt deine Gottheit auf meiner Gottheit?", fragte ihn der König. "Meinst du das deine Gottheit stärker ist als meine Gottheit?"

Putalipa bot dem König einen Wettstreit an. Er bat den König ein Bild zu malen, in dem die Gottheit des Königs auf seiner Gottheit tanzt. Das tat der König. In der Nacht meditierte Putalipa auf das Bild des Königs und am nächsten Morgen waren die Gottheiten vertauscht. Hevajra tanzte auf Shiva. Und Shiva tanzte nicht mehr auf Hevajra. Das Wunder überzeugte den König und er wurde auch ein Buddhist. Und mit ihm sein ganzes Reich.

Vertiefen wir diese Geschichte noch etwas. Ich bin ein Anhänger der Einheit aller Religionen. Alle Religionen sind Wege zur Erleuchtung. Vom Kampf der Religionen untereinander halte ich nichts. Die Religionen sollten friedlich miteinander leben und jedem Menschen seinen Weg lassen. Mein Ende der Geschichte ist deshalb etwas anders.

Der König war ein Verehrer von Shiva und Kali. Im Hinduismus tanzt Kali auf Shiva. Vermutlich ist aus diesem Bild das Hevajra-Tantra entwickelt worden. Die Bilder ähneln sich sehr. Kali können wir mit dem Begriff "Leben" übersetzten. Shiva muss sich dem Willen des Lebens völlig unterordnen, damit er zur Erleuchtung kommen kann. Er muss sein Ego, seine Anhaftungen an äußere Dinge, völlig loslassen, um in eine Einheitssicht der Dinge zu erwachen. Er muss es lernen positiv mit dem Leben zu tanzen. Positiv mit dem Leben zu tanzen bedeutet alle Ereignisse des äußeren Lebens für seine innere Entwicklung zu nutzen. So verstehe ich auch das Hevajra-Tantra. Es gibt uns die Kraft in allen Situationen konsequent unseren spirituellen Weg zu gehen. Durch Putalipa begriff der König den tieferen Sinn der Geschichte von Shiva und Kali. So konnte auch er zur Erleuchtung gelangen.

Eine zweite große Frage drängt sich bei dieser Geschichte auf. Kann es sein, dass es wirklich Wunder auf dem spirituellen Weg gibt? Ich glaube nicht, dass Putalipa die Figuren auf dem Bild vertauschen konnte. Aber er konnte mit seinem Geist auf den König einwirken. Und er konnte dem König spirituelle Kraft übertragen, seine Chakren öffnen und seine Erleuchtungsenergie zum Fließen bringen. Er konnte also den Weg des Königs zur Erleuchtung ebnen und unterstützen. Gehen musste der König den Weg natürlich alleine. Er musste an seinem Geist arbeiten und jeden Tag die dazu notwendigen Übungen machen. Es heißt, dass ohne einen Guru kaum jemand die Erleuchtung erreicht. Aber mit der Hilfe eines erleuchteten Gurus ist alles möglich.

Wikipedia: Hevajra (tib.: kye rdo rje) ist die Hauptgottheit des nach ihm benannten Tantra, des Hevajra-Tantras, das zu den Schriften des Vajrayâna gehört. Der uns heute vorliegende Text wurde gegen Ende des achten Jahrhunderts n. Chr. in Indien zusammengestellt und einige Zeit später ins Tibetische und Chinesische übertragen. Die Zielsetzung des Tantra ist identisch mit der der buddhistischen Lehrreden (sûtra): die Befreiung aus dieser Welt, dem samsâra – jedoch sind die dazu verwandten Mittel vermehrt: nicht allein ethisches Verhalten (die fünf Silas), Weisheit und Meditation werden eingesetzt, sondern auch Rituale, bildliche Meditationen, Mantras, Mandalas, Initiationen und Magie.

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