Das Unglück dräute. Der Wind begann zu blasen. Schwere Regentropfen fielen vom Himmel. Der alte Weidenbaum hatte viele Stürme überlebt. Aber einmal ist es genug. Einmal geht es nicht mehr. Einmal bricht alles zusammen. Jedes Leben endet mit dem Tod. Alles ist vergänglich, wie es schon Buddha erkannt hatte.
Die Erde wurde durch den Regen aufgeweicht, die Wurzeln fanden keinen Halt mehr in der Erde und der alte Weidenbaum neigte sich leicht zur Seite. Noch stützten ihn die andere Bäume mit ihren Ästen. Aber der Regen wurde immer stärker.
Ich betrachtete voll Sorge das Geschehen. In der Nähe der Weide stand meine erste Yogahütte. Alle meine kleinen Holzhütten waren nicht durch umstürzende Bäume bedroht. Aber diese eine Hütte lag in einer Gefahrenzone. Ich hoffte, dass der Baum neben die Hütte fallen würde. Und ich rechnete damit, dass dieses irgendwann in ferner Zukunft geschehen würde.
Aber der Regen war unerbittlich. Langsam senkte sich die riesige alte Weide immer mehr zur Seite. Bis sie mit einem lauten Krachen direkt auf die Holzhütte fiel. Man sah nichts mehr. Die Laubkrone des alten Baumes verhüllte die Hütte samt Umgebung. Überall lagen Äste und Blätter.
Zum Glück stehe ich unter dem Schutz meiner erleuchteten Meister. Es geschah ein Wunder. Als ich näher an den Ort des Schreckens herantrat, stand dort die Holzhütte unversehrt an ihrem Platz. Der Baum hatte sich so sanft auf die Hütte gelegt und seine Äste hatten den Fall des dicken Baumstammes so stark abgefedert, dass die Hütte nicht zermalmt worden war. Nur die Dachpappe war an einigen Stellen etwas eingerissen.
Trotzdem beunruhigte mich die Situation so sehr, dass ich die halbe Nacht nicht schlafen konnte. Der Baum war jetzt umgefallen. Daran konnte man nichts mehr ändern. Das konnte ich relativ schnell annehmen. Aber wie sollte ich den Baum von der Hütte bekommen? Weil er halbschräg lag und unter Spannung stand, war er sehr schwer zu sägen. Und außerdem war der Stamm sehr dick. Ein falscher Schnitt mit der Säge und der dicke Stamm würde mich zerdrücken.
Solche Gedanken beschäftigten mich in der Nacht. Alles buddhistische Gedankentraining nützte nicht viel. Erst gegen Morgen konnte ich mich über alles äußere Chaos innerlich erheben, es loslassen und in mir Frieden finden. Ein Buddha lässt sich durch nichts beunruhigen. Er erkennt alle Phänomene als leer und vergänglich.
Ich visualisierte mich als eins mit der Natur und konnte so mein Ego überwinden. Es gab keinen Eigenwillen mehr. Alles war richtig so wie es war. Als ich am Morgen aufstand, betrachtete ich interessiert die Situation und erfreute mich an dem Blätterwirrwarr. Die Sonne schien und das innere Glück war wieder da.
Das änderte sich schlagartig, als am Mittag meine Freundin zu Besuch kam. Sie kann Chaos nicht ertragen. Sie liebt einen ordentlichen Garten. Und der Garten war jetzt nicht mehr ordentlich. Es lag dort ein Baum, wo er nicht hingehörte. Sie war schwer geschockt und konnte sich den ganzen Tag nicht mehr beruhigen. Sie weigert sich strickt das buddhistische Gedankentraining zu praktizieren. Sie möchte zwar gerne das Glück der Erleuchtung genießen, aber sie besteht gleichzeitig darauf, dass die Welt ihren Ordnungsvorstellungen entspricht. So wird das nichts mit dem inneren Frieden.
Ihre große Stärke ist aber ihre Tatkraft. Während ich in erleuchtetem Nichtstun ruhte und mich am Chaos erfreute, bestellte sie sofort einen Handwerker, der den Baum absägen und beseitigen sollte. Auch das wiederum erfreute mich, weil ich jetzt nicht selbst das gefahrvolle Sägen übernehmen musste.
Ich beschränkte mich darauf die kleineren Äste abzusägen. Barbara räumte die Blätter weg. Und nach kurzer Zeit sah der Garten schon wieder relativ ordentlich aus. Nur der dicke Baumstamm lag immer noch auf der Hütte. Morgen kommt der Bäumesäger und will sich den Baum ansehen. Dann gibt es etwas Chaos weniger.
Aber das nächste Chaos kommt bestimmt. Denn das äußere Leben besteht immer aus Chaos. Leben ist Leiden, wie Buddha so schön sagte. Nur wer sich über das äußere Leiden innerlich erheben kann, der kann dauerhaft das Glück der Erleuchtung genießen. Da gibt es für mich noch viel zu üben. Den spirituellen Weg zu gehen bedeutet beständig an leidhaften Gedanken zu arbeiten und sich auf das Positive im Leben zu konzentrieren. Und positiv ist, dass zwar der alte Weidenbaum gestorben ist, aber der alte Nils noch lebt. Und die Hütte auch. Und dass die Welt voller Wunder ist.
Kommentare
Hast du mal bei der Feuerwehr angefragt? Auch wenn die das nicht als Rettungseinsatz einstufen, sondern als Privatangelegenheit ansehen. Manche freiwillige Feuerwehren sehen das als Möglichkeit um zu trainieren, vielleicht machen die ja eine Übung für ihre Leute daraus.
Lieber Nils,
das ist eine sehr schöne Geschichte! Vielen Dank!
Der Alltag ist die interessante Ebene. Hier zeigt sich Yoga in allen Facetten.
Ich lese Deine Beiträge sehr gerne!
Liebe Grüße
Martin
Einen Baumkletterer hatte ich vor vielen Jahren. Er hat eine große Tanne Stück für Stück abgesägt. Jetzt brauche ich eher die Kunst einen fast auf dem Boden liegenden Baum so abzusägen, dass dabei die Holzhütte nicht kaputt geht und der Säger auch nicht. Ich habe gerade ein Angebot über 1400 Euro von einem Holzfäller. Das scheinen die heutigen Preise zu sein.
Hallo Nils, es gibt Menschen, die machen das mit Höhentechnik.
Die haben eine Ausrüstung wie ein Freeclimber.
Die steigen in den Baum, sichern sich mit Seilen und kürzen dann die Krone, das ein Sturm sie nicht zerbrechen kann.
Oder entfernen kontrolliert Äste, die beim Absturz das Dach oder andere Dinge zerstören können.
Das kann ich allerdings nicht. Ich bin zu schwer und bin kein Freeclimber. Ich bin nur ein einfacher Forstwirt.
;-)
Danke. Das ist eine gute Idee. Im Moment droht aus meiner Sicht keine weitere Gefahr. Es ist auch sehr schwer die Bäume zurückzuschneiden, weil sie sehr groß sind. Und man kann nicht auf das Grundstück fahren. Ich melde mich, wenn ich dein Angebot annehmen möchte.
Eventuell die Bäume, die deinen Platz umsäumen mal prophylatisch zurückschneiden.
Ich bin Forstwirt und Bonsai Pfleger und könnte das machen.