Helfen Gebete?

Es waren einmal zwei buddhistische Nonnen. Die eine Nonne war eine Anhängerin des Theravada und die andere eine Anhängerin des Mahayana. Der Theravada-Buddhismus ist der Weg der Meditation und der Mahayana-Buddhismus der Weg der Liebe. Im Theravada ist das große Vorbild der meditierende Buddha und im Mahayana der segnende Bodhisattva. Im Mahayana glaubt man, dass man vorwiegend durch den Weg der Liebe zur Erleuchtung kommt. Man muss seine Mitwesen wichtiger als sich selbst nehmen und überwindet dadurch sein Ego. Im Theravada glaubt man, dass man vor allem dadurch zur Erleuchtung kommt, dass man Gleichmut entwickelt und weder an irgendetwas anhaftet noch irgendetwas ablehnt.

Die beiden Nonnen waren schon einige Jahre ihren spirituellen Weg gegangen. Die Theravada-Nonne hatte viel meditiert und die Mahayana-Nonne hatte ein großes Herz für alle leidenden Wesen entwickelt. Die eine Nonne war voller Ruhe und die andere voller Liebe und Mitgefühl. Beide Nonnen waren Freundinnen und gingen oft gemeinsam spazierien.

Auf einem ihrer Spaziergänge trafen sie eine kranke alte Frau, die sehr unter ihren Schmerzen litt. Sie saß traurig am Wegesrand auf einer Bank. Die Theravada-Nonne meinte gleichmütig: „Im Leben gibt es Alter, Krankheit und Tod. Das hat schon Buddha erkannt. Wir sollten lernen es gleichmütig zu ertragen.“ Die Mahayana-Nonne widersprach: „Das wichtigste auf dem spirituellen Weg ist die Liebe. Wir müssen ein gutes Herz entwickeln, damit wir spirituell voranschreiten können.“ Sie ging zu der alten Frau, streichelte ihren Arm und ermunterte sie mit den Worten: „Alles wird gut.“

Dann setzten die beiden Nonnen ihren Weg fort. Abend in ihrem Nonnenzimmer meditierte die Theravada-Nonne so lange, bis sie alles Leid auf der Welt vergaß. Die Mahayana-Nonne dagegen betete: „Om alle Buddhas und Bodhisattvas. Bitte helft der armen alten Frau.“ Sie glaubte fest daran, dass der alten Frau jetzt geholfen wird. Die Theravada-Nonne dagegen glaubte fest daran, dass es keine höheren Mächte gibt, die helfen können.

Ein paar Tage später kamen die beiden Nonnen wieder an der Bank mit der alten Frau vorbei. Die alte Frau lachte sie an und erklärte: „Es ist ein Wunder geschehen. Ich bin wieder gesund. Alle Schmerzen sind verschwunden.“ Daraufhin meinte die Theravada-Nonne: „So ein Zufall. Aber auch bei Glück sollte man immer gelassen bleiben.“ Die Mahayana-Nonne dagegen freute sich mit der alten Frau. Das Geschehen hatte ihren Glauben an die Buddhas und Bodhisattvas gestärkt. Sie fühlte sich auf ihrem Weg bestätigt. Abends vor dem Einschlafen sandte sie allen Menschen, die sie kannte, Licht und bat die Boddhas und Bodhisattvas um Hilfe für alle leidenden Wesen auf der Welt.

Am nächsten Morgen wachte sie erleuchtet auf. Ihr Gebet hatte sie in die umfassende Liebe gebracht, ihr Herzchakra geöffnet und sie zu einem wahren Bodhisattva gemacht. Glücklich berichtete sie ihrer Theravada-Freundin davon. Die war sehr neidisch auf den Erfolg ihrer Freundin. Sie nahm ihren Neid zum Anlass noch strenger zu meditieren. Und durch ihre strenge Meditation brach sie nach einem halben Jahr auch zur Erleuchtung durch.

Jetzt waren beide Freundinnen erleuchtet. Sie erkannten, dass man sowohl auf dem Weg der Meditation als auch auf dem Weg der Liebe zur Erleuchtung kommen kann. Es kommt darauf an, was einem persönlich mehr liegt. Ob es erleuchtete Meister gibt, die einem über eine höhere Dimension helfen können, ist letztlich bedeutungslos. Wichtig ist nur, dass man seinen persönlichen Weg so konsequent geht, dass sich dadurch das Ego auflöst. Das kann durch den Weg der Ruhe, durch den Weg der Liebe oder durch eine Verbindung beider Wege geschehen. Ich bevorzuge den Weg aus Ruhe und Liebe. Und ich glaube an die erleuchteten Meister und dass sie uns helfen können. Ich habe insofern schon viele positive Erfahrungen gemacht. Aber das ist eine andere Geschichte. Im Zusammenhang mit dieser Geschichte kann ich berichten, dass ich vor vielen Jahren tatsächlich einmal zwei erleuchtete Frauen getroffen habe, die gemeinsam Vorträge gehalten haben. Die eine Frau war eine Zen-Meisterin, die durch den Weg der intensiven Meditation zur Erleuchtung gekommen war. Die andere Frau war den Weg der Liebe verbunden mit dem Kundalini-Yoga gegangen. Beide waren auf ihre Art den Weg der Erleuchtung gegangen. Für mich war es spannend zu erfahren, dass sie etwas unterschiedliche Energien ausstrahlten. Die Zen-Meisterin füllte den ganzen Saal mit einer Energie aus Frieden und Glück. Die Yoga-Meisterin strahlte eher Glück und Liebe aus. Zusammen waren sie die perfekte Mischung.

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