Hänsel und Gretel aus yogischer Sicht

Hänsel und GretelIn der frühen Neuzeit (1450 bis 1750) fanden in Europa die Hexenverbrennungen statt. Unschuldige Frauen wurden der Hexerei angeklagt, gefoltert und dann auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Allein in Deutschland wurden so etwa 40 000 Frauen auf eine grausame Weise getötet. Es war ein Machtkampf zwischen dem Christentum und der Religion unserer Vorfahren. Die weisen Frauen waren wichtige Vermittlerinnen des alten germanischen Glaubens. Sie kannten sich in der Kräuterheilkunde und in der Entwicklung des inneren Glücks aus. Mit den Hexenverbrennungen ging das geheime spirituelle Wissen der Germanen verloren. Es überlebte nur noch in den Märchen, die zu einem großen Teil Lehrgeschichten für die Erleuchtung sind.Einst lebte in Deutschland eine weise alte Frau, die von missgünstigen Mitmenschen als Hexe bezeichnet wurde. Ihr wurden besondere spirituelle Kräfte nachgesagt. Sie schien immer im inneren Frieden und im Glück zu sein. Viele Menschen suchten sie auf, wenn sie krank waren und Heilung brauchten. Die alte Hexe lebte weitab von den Menschen versteckt in einem kleinen Haus im großen Wald. So war sie vor der Hexenverfolgung geschützt. Keiner konnte ihr Haus finden, wenn sie es nicht wollte. Sie hatte ihr Haus mit einem Schutzzauber belegt.Eines Tages irrten zwei Kinder durch den Wald, Hänsel und Gretel. Sie hatte schon drei Tage nichts gegessen und waren sehr hungrig. Ihr Vater war ein armer Holzfäller, der am Rande des großen Waldes lebte. Die Familie war sehr arm und hatte nur wenig zu essen. Als eine Teuerung durch das Land kam und das Geld nichts mehr wert war, konnte der Vater die Familie nicht mehr ernähren. Die Mutter schlug vor, dass die Kinder in den Wald gehen und sich dort selbst etwas zu essen suchen sollten.Plötzlich sahen die Kinder eine weiße Taube auf einem Ast sitzen. Als sie auf sie zugingen, flog die Taube ein Stück weiter. Die Taube schien ihnen den Weg durch den Wald zeigen zu wollen. Die Kinder gingen eine Zeitlang hinter der Taube her. Da tauchte ein kleines Hexenhaus vor ihnen auf. Das Haus war ganz aus Brot gebaut, mit Kuchenstücken bedeckt und hatte Fenster aus Zuckerglas. Die weiße Taube setzte sich auf das Dach des Hexenhauses. Sie waren am Ziel.Da Hänsel und Gretel großen Hunger hatten, pflückten sie einige Lebkuchenstücke vom Haus ab. Das hörte die alte Frau, die in dem Haus wohnte. Sie rief: „Knusper, knusper, knäuschen. Wer knuspert an meinem Häuschen.“ Die Kinder antworteten frech: „Der Wind, der Wind, das himmlische Kind.“ Da öffnete sich die Tür und eine alte Frau mit viele Falten, grauen Haaren und einem großen Krückstock trat heraus. Sie war sehr nett und sprach zu den Kindern: „Ihr armen Kinder. Ihr habt wahrscheinlich großen Hunger. Kommt herein und esst euch satt. Hier gibt es Brot, Kuchen und Süßigkeiten in Hülle und Fülle.“Das ließen sich Hänsel und Gretel nicht zweimal sagen. Sie setzten sich an den großen Küchentisch und bekamen so viel Essen wie sie wollten. Danach wurden sie sehr müde. Die alte Frau richtete ihnen das Gästebett her und die Kinder fielen in einen tiefen Schlaf. Als sie am nächsten Morgen aufwachten, kamen ihnen die vielen schrecklichen Hexengeschichten in den Sinn, die die Menschen sich damals erzählten, um kleinen Kindern und auch sich selbst Angst zu machen.Die Kinder fragten die alte Frau: „Bist du eine Hexe?“ Die alte Frau lachte und erklärte: „Natürlich nicht. Es gibt keine Hexen. Das sind alles nur Lügenmärchen. Ich bin eine weise Frau, die sich in der Heilkunde auskennt.“ Hänsel und Gretel baten die alte Frau: „Können wir bei dir bleiben und von dir lernen. Unsere Eltern haben nicht mehr genug zu essen, um uns zu ernähren.“ Die alte Frau hatte ein gutes Herz und war gerne dazu bereit. Durch ihre weiße Taube hatte sie die Kinder sogar selbst zu sich geführt, weil sie deren spirituelles Potential erkannt hatte.Sie unterrichtete Gretel in der Küchenarbeit und in der Kräuterheilkunde. Gretel half der alten Frau im Garten und in der Küche. Hänsel dagegen war zur Küchenarbeit nicht zu gebrauchen. Er durfte in einem kleinen Zimmer sitzen und lernte dort das Meditieren. Er sollte so viel Energie in sich aufnehmen, dass er davon psychisch an Größe gewann. Von Zeit zu Zeit kam die weise Frau und prüfte, ob er spirituell schon fortgeschritten sei. Als Hänsel nach einige Jahren die Erleuchtung erlangte, kam der Tag des Abschieds.Auch Gretel hatte die Erleuchtung erreicht, allein durch ihre Küchenarbeit. Für sie war der Weg des Karma-Yogis (Bodhisattvas) am besten geeignet, während Hänsel auf dem Weg der Meditation erfolgreich sein konnte. Beide mussten aber ihr Ego, ihren Eigenwillen gegenüber dem Leben, überwinden. Sie mussten die Hexe in sich verbrennen. Sie mussten eins mit den Gesetzen der Natur werden, damit sie diese Gesetze zum Wohle ihrer Mitmenschen nutzen konnten. Hänsel und Gretel waren zu weißen Enten (Gänsen, Schwänen) geworden, einem Symbol für den Sieg auf dem spirituellen Weg. Als weiße Enten konnten sie den großen Fluss, die Trennungslinie zwischen der materiellen Welt und der Welt des Lichts überqueren.Die Hexe besaß durch ihre Heilertätigkeit viel Geld, Perlen und Edelsteine. Das gab sie Hänsel und Gretel mit auf den Weg, damit sie in Zukunft genug zu essen haben. Aber eines durften die Kinder nicht. Sie durften nicht den Standort des Hauses verraten. Die Menschen würden sie fragen, wo sie so lange gewesen sind. Dafür überlegte sich die weise Frau eine verrückte Geschichte: „Erzählt den Leuten, dass ihr von einer bösen Hexe gefangen worden seid. Sie wollte euch mästen und euch dann auffressen. Als die Hexe in den Ofen geschaut hat, um zu sehen, ob das Feuer schon brennt, hätte Gretel die Hexe in den Ofen gestoßen und Hänsel befreit. Die Hexe sei jetzt tot und das Hexenhaus verbrannt.“Die Kinder verabschiedeten sich fröhlich von der bösen Hexe, die gar keine böse Hexe war. Sie wanderten durch den tiefen Wald zu ihren Eltern zurück. Die Hexe hatte ihnen den Weg gezeigt. Mit den Perlen und Edelsteinen konnten sie gut leben. Leider war in der Zwischenzeit ihre Mutter gestorben. So führten sie mit ihrem Vater ein glückliches und zufriedenes Leben. Allen Menschen erzählten sie die Geschichte von der bösen Hexe, worauf sich keiner mehr in den Wald traute. Die Hexe war geschützt.Das Märchen von Hänsel und Gretel ist eines der grausamsten Märchen. Als mein kleiner Sohn dieses Märchen von einer Märchenkassette hörte, hatte er jahrelang Angst von Hexen. Mit dem Glauben an böse Hexen wird vielen Kindern Angst gemacht, auch noch in der heutigen Zeit. Es gibt viele Filme im Internet, in denen Hexen vorkommen. Demgegenüber gibt es im Feminismus die Tradition der guten Hexe. Hier werden Hexen als gesellschaftlich emanzipierte starke Frauen gesehen. Die Wahrheit liegt wohl dazwischen. Es gibt überall gute und böse Menschen, auch in der Spiritualität. 95 % aller Menschen sind gut. Vor den schlechten Menschen muss man sich schützen, auch in der Spiritualität. Der beste Schutz besteht darin, positive Eigenschaften wie Liebe, Mitgefühl, Wahrhaftigkeit und Gewaltlosigkeit zu lehren. Das ist der Hauptweg im Yoga, im Buddhismus und im Christentum.Der Weg von Jesus ist die Lehre der Liebe. Die Liebe führt zum Paradies auf der Erde und im Himmel. Jesus hätte es nie zugelassen, dass Frauen als Hexen verbrannt werden. Allerdings steht im Alten Testament die Aussage: „Eine Hexe sollst du nicht am Leben lassen.“ Das führte viele christliche Priester zur Verwirrung. Aus meiner Sicht schlug das Ego zu und führte sie auf einen grausamen Irrweg. Mein Weg ist der Weg der Demokratie und der Menschenrechte. Deshalb habe ich das Märchen von Hänsel und Gretel neu geschrieben, wie es aus der Sicht einer positiven Spiritualität sein sollte. Wir brauchen positive Geschichten, wenn wir eine positive Welt aufbauen wollen.

https://www.youtube.com/watch?v=2JidaOO2Fds

E-Mail an mich, wenn Personen einen Kommentar hinterlassen –

Sie müssen Mitglied von Yoga Vidya Community - Forum für Yoga, Meditation und Ayurveda sein, um Kommentare hinzuzufügen.

Bei Yoga Vidya Community - Forum für Yoga, Meditation und Ayurveda dabei sein