Die streitsüchtigen Yoginis

Es waren einmal zwei Schwestern, die liebten es sich zu streiten. Die eine Schwester hieß Kana (Fülle) und war sehr schön, aber nicht besonders klug. Die andere Schwester hieß Kala (Zeit) und war sehr klug, aber eher hässlich geraten. Ihr Vater war sehr reich. Er kaufte den Schwestern alles, was ihr Herz begehrte. Die schöne Kana liebte Kleider und Luxus. Sie orientierte sich an der Mode der Zeit und stolzierte wie ein Pfau umher. Sie hatte eine große Schar von Verehrern, die sie ständig umschwärmten und ihr viele Geschenke machten. Trotzdem war sie tief in ihrem Inneren nicht glücklich. Ihr fehlte etwas, aber sie wusste nicht was. Sie suchte es in äußerem Reichtum und schönen Männern. Aber dort fand sie es nicht.

Kala war ganz anders. Männer interessierten sie nicht besonders. Sie strebte nach Weisheit. Sie las alle Weisheitsbücher, die sie bekommen konnte. Sie studierte bei den größten Gelehrten ihrer Zeit. Und sie hatte viele interessante Gespräche mit Menschen, die wie sie auf der Suche waren. Sie empfand ihr Leben als sehr spannend, aber auch ihr fehlte etwas. Sie wusste, dass sie es in der Tiefe ihres Geistes noch nicht gefunden hatte.

Sie war letztlich auf der Suche nach sich selbst, auf der Suche nach dem tieferen Sinn in ihrem Leben, auf der Suche nach der sie erfüllenden Aufgabe, auf der Suche nach einem erfüllenden Leben, auf der Suche nach dem großen dauerhaften Glück. Eines Tages traf sie auf einer ihrer Reisen den buddhistischen Meister Kanhapa.

Kanhapa war ein trantrischer Meister mit großen spirituellen Kräften, aber er litt unter spirituellem Stolz. Die Menschen nannten ihn deshalb auch den dunklen Siddha. Er demonstrierte gerne seine außergewöhnlichen Kräfte und liebte es dafür bewundert zu werden. Er bevorzugte es auf einem goldenen Thron zu sitzen und von dort aus auf seine Anhänger herabzuschauen. Für seine Einweihungen nahm er viel Geld und auch schönen Frauen war er nicht abgeneigt. Er war ein Guru, wie er nicht sein sollte und wie es ihn damals oft in Indien gab.

Kala versuchte herauszufinden, ob ihr Kanhapa bei ihrer Suche helfen konnte. Kanhapa sprach zu ihr: "Ich kann deine Kundalini-Energie aktivieren und dir die höchsten spirituellen Übungen zeigen, mit denen du das Glück der Erleuchtung erfahren kannst. Aber du musst mir dafür drei Dinge geben: Eine hohe Einweihungsgebühr, den Kuss einer schönen Frau und eine Weisheit, die ich noch nicht kenne."

Kala ging zu ihrem Vater, damit er die Einweihungsgebühr bezahlt. Dazu war er gerne bereit. Sie bat ihre Schwester Kana den dunklen Meister zu küssen. Kana war schwer zu überzeugen, obwohl sie schon viele Männer geküsst hatte. Kala bot ihr an, das Erleuchtungswissen an sie weiter zu geben und sie bei ihrer Suche nach sich selbst zu unterstützen. Kana dachte, dass es einen Kuss wert sei und stimmte zu.

So kam dann Kala mit ihrer schönen Schwester zu dem dunklen Siddha und bezahlte die Einweihungsgebühr. Von Kana bekam er einen Kuss. Es blieb noch die Weisheit, die dem Meister unbekannt war. Da Kala sehr klug war, wusste sie was der Meister noch nicht begriffen hatte. Er hatte die Weisheit der Demut noch nicht verstanden. Kala erklärte ihm, dass er durch die Praxis der Demut in eine noch höhere Ebene der Erleuchtung aufsteigen und einen Fall in die tiefste Hölle vermeiden könnte. Denn laut tibetischem Buddhismus droht allen Erleuchteten, die ihre spirituellen Kräfte missbrauchen, der Abstieg in die tiefste Hölle, also in einen Bewusstseinszustand dauerhaften inneren Unglücks. Bis sich ihr schlechtes Karma wieder aufgelöst hat.

Kanhapa wusste spontan, dass Kala recht hatte. Er begriff die Tiefe ihrer Weisheit. Von jetzt an übte er Demut, Bescheidenheit und Genügsamkeit. Er verkaufte seinen Thron, schenkte sein Geld den Armen und verzichtete in Zukunft auf sexuelle Verfehlungen. Er bewies, dass ein Mensch sich bessern kann und wurde zu einem bescheidenen Diener seiner Schüler.

Kala und ihrer Schwester Kana zeigte er die geheimen tantrischen Techniken, mit denen beide schnell zur Erleuchtung kamen. Jetzt erfuhren sie das große dauerhafte Glück, erkannten sich selbst und den tieferen Sinn des Lebens. Ihre Suche hatte ein Ende. Sie hatten sich selbst gefunden. Innerlich waren sie zufrieden, aber äußerlich lebten sie wie bisher. Kana liebte ihre schönen Kleider und Kala ihre klugen Bücher. Nur ihre Streitsucht nahm erheblich ab, weil sie beide glücklich in sich selbst waren.

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