Die Essenz aller spirituellen Wege

Atisha war ein berühmter indischer Gelehrter und Yogi. Er lebte im 11. Jahrhundert in Indien und hatte fast alle Religionen, Philosophien und spirituellen Lehrsysteme seiner Zeit studiert. Seine Hauptlehre war der Weg der umfassenden Liebe. Er entwickelte die Tonglen-Technik, bei der man es übt sich mit seinen Mitmenschen zu identifizieren. Man nimmt energetisch ihr Leid auf und sendet ihnen sein Glück. So gelangt man im Laufe der Zeit in ein Einheitsbewusstsein und zur umfassenden Erleuchtung.

Auf seiner Reise nach Tibet traf er den großen tibetischen Weisen Rinchen Zangpo. Rinchen Zangpo zeigte Atisha nicht nur die schönen Landschaften Tibets, sondern auch die vielen spirituellen Traditionen dieses Landes. Atisha war verwirrt von den vielen Gottheiten und Dämonen. Er frage, wie man die vielen tibetischen Lehrsysteme praktizieren soll. Rinchen Zangpo antwortete: „Alle nacheinander.“

Atisha entgegnete: „Jetzt weiß ich, warum ich nach Tibet kommen musste. Ihr huldigt der Vielgötterei. Deshalb gibt es auch so viel Streit unter euch. Am wichtigsten ist es den gemeinsamen Kern aller spirituellen Wege zu begreifen. Was nützt euch euer spirituelles Wissen, wenn ihr die Essenz aller Lehren nicht begreift. Alle Wege müssen geistig verbunden werden, um zum umfassenden Wissen zu gelangen. Ihr müsst alle spirituellen Konzepte übersteigen und in die Dimension jenseits der Dualität vordringen.“

Das übte Rinchen Zangpo zehn Jahre lang und begriff dann die Einheit aller Religionen. Alle Religionen sind nur verschiedene Begriffssysteme, die auf der Erleuchtungserfahrung ihres Gründers beruhen. Und diese Erfahrung läßt sich mit Worten nicht beschreiben. Sie kann nur mit einer egolosen Sicht erfasst werden. Solange religiöser Egoismus besteht, solange man seinen Weg für besser als den Weg der anderen hält, hat man seine Religionen nicht wirklich begriffen.

Der Dalai Lama hat diese Lehre aufgegriffen und vertieft. Er hat die ganze Welt bereist und sich mit vielen unterschiedlichen Religionen beschäftigt. Er kommt zu dem Schluss, dass es nur eine wahre Religion gibt, die Religion der Liebe. Es kommt darauf an, ein gutes Herz zu haben. Das ist das Wesentliche. Wenn man das begreift, dann sind alle Kriege zwischen den Religionen überflüssig. Diskussionen zwischen den Religionen sollten dazu beitragen, den gemeinsamen Kern zu begreifen und alle Teilnehmer ins Licht zu bringen. Das gilt auch für Diskussionen unter Buddhisten. Hier wird oft viel und gerne gestritten. Jeder denkt, dass nur er den Weg der Wahrheit kennt. Solange man das denkt, hängt man noch im dualistischen Denken fest. Es geht nicht darum zu streiten und das Ego zu vergrößern, sondern darum, die Wahrheit zu erforschen und gemeinsam ins Licht zu kommen. Und dafür braucht man vor allem ein gutes Herz und den Willen zu einem harmonischen Miteinander.

Es gibt den interspirituellen Dialog, insbesondere zwischen Christen und Buddhisten. Dieser Dialog beschränkt sich normalerweise darauf sich gegenseitig kennenzulernen. Genauso ist es beim Weltparlament der Religionen. Man darf aber nicht beim Kennenlernen und gemeinsamen Feiern stehen bleiben. Viel besser ist es gemeinsam zur Erleuchtungserfahrung vorzudringen.

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