Der Weg der Zufriedenheit

Der Fischer und seine Frau

Es war einmal ein Fischer, der lebte mit seiner Frau in einer kleinen Fischerhütte am großen Meer. Seine Frau hieß Ilsebill. Sie litt an der Krankheit der ewigen Wünsche. Sie war nie zufrieden. Egal wie gut es ihr ging, sie wollte immer mehr. Sie dachte, wenn sie äußerlich reich wäre, wäre sie innerlich glücklich. Sie erkannte nicht, dass das Glück zu 90% aus dem Inneren eines Menschen kommt.

Eines Tages ging der Fischer wie gewöhnlich am Morgen ans Meer zum Fischen. Der Tag war schön. Die Sonne schien und das Meer war ruhig. Der Fischer warf seine Angel weit ins Meer. Und tatsächlich biss nach einiger Zeit ein großer Fisch an. Als er den Fisch an Land gezogen hatte, sprach dieser zu ihm: „Ich bin ein verzauberter Prinz, bitte lass mich wieder frei. Ich erfülle dir auch alle Wünsche.“ Der Fischer war erstaunt, dass der Fisch sprechen konnte. Er überlegte, ob er irgendwelche Wünsche hatte. Aber ihm fiel kein Wunsch ein. Also ließ er den Fisch wieder frei und setzte ihn ins Meer.

Dann ging er zu seiner Frau, um ihr von dem besonderen Fang zu erzählen. Die Frau putzte gerade die Fischerhütte. Als sie die Geschichte gehört hatte, rief sie: „Du Dummkopf, geh sofort wieder ans Meer und sage dem Fisch, dass ich ein schönes Haus mit einem großen Garten haben möchte.“

Der Fischer stapfte zurück durch die Dünen an den Strand. Er rief laut ins Meer hinaus: „Buttje, Buttje in der See. Meine Frau die Ilsebill, will nicht so wie ich es will.“ Aus dem Meer antwortete eine tiefe Stimme: „Was will sie denn?“ „Sie möchte ein schönes Haus mit einem großen Garten haben.“ „Geh nach Haus. Sie hat ihn schon.“

Als der Fischer nach Hause kam, stand seine Frau tatsächlich glücklich lachend vor dem neuen Haus und meinte: „Siehst du. So geht das Leben.“ Ein paar Wochen waren sie glücklich und zufrieden. Aber dann überlegte Ilsebill, dass sie sich doch besser gleich ein Schloss gewünscht hätte. Sie befahl ihrem Mann: „Geh zurück zum Fisch und wünsche dir ein Schloss. Und ich möchte eine Königin und ganz reich sein.“

Der Fischer ging zurück ans Meer und rief den Fisch. Dunkle Wolken begannen am Himmel aufzuziehen. Das Meer wurde unruhig. Aber wieder antwortete der Fisch: „Geh nach Haus. Jetzt ist deine Frau eine Königin, ganz reich und wohnt in einem Schloss.“ Und genau so war es.

Diesmal währte das Glück nur ein paar Tage. Dann erwachte wieder die Unzufriedenheit in der Frau. Sie merkte, dass sie trotz ihres Reichtums und ihrer Macht nicht so glücklich war, wie sie sich das vorgestellt hatte. Sie überlegte, ob sie nicht besser eine Kaiserin oder gar eine Päpstin werden sollte. Doch dann fiel ihr Blick auf die Sonne. Die Sonne ging gerade auf und stand dann in voller Pracht und Herrlichkeit am Himmel. Ilsebill dachte bei sich: „Ich möchte sein wie die Sonne. Ich möchte werden wie Gott. Ich möchte die Macht über die Natur haben. Ich möchte alles bestimmen können. Gott ist das Größte. Wenn ich wie Gott bin, dann bin ich ewig glücklich.“

Sie schickte ihren Mann wieder ans Meer und der rief entsetzt: „Jetzt möchte meine Frau Gott werden.“ Ein Sturm zog auf. Hohe Wellen türmten sich im Meer. Wieder erschien der Fisch und eine donnernde Stimme ertönte: „Geh nach Haus. Deine Frau sitzt schon wieder in der Fischerhütte.“ Und da sitzen die beiden bis auf den heutigen Tag.

Diese Geschichte beschreibt gut den Geist der heutigen Zeit. Der globale Konsumkapitalismus lehrt es, dass uns äußerer Konsum innerlich glücklich macht. Das macht die Menschen unzufrieden, zerstört die Umwelt und häuft sinnlosen Reichtum bei einigen wenigen Menschen an. Die Depressionen, Ängste und psychischen Krankheiten nehmen weltweit zu. Und kaum jemand durchschaut die Sinnlosigkeit dieses Tuns. Alle arbeiten wie verrückt, um möglichst viel Geld zu bekommen und sich möglichst viel kaufen zu können. Die Beziehungen der Menschen entwickeln sie zu Warenbeziehungen. Die Liebe verschwindet.

Die Glücksforschung hat festgestellt, dass 90 % des Glücks eines Menschen aus seiner Psyche kommt. Wir müssen an unserer Psyche arbeiten, wenn wir in unserem Leben glücklich werden wollen. Das ist auch die Erkenntnis aller Religionen. Wir müssen Eigenschaften wie innerer Frieden, inneres Glück und umfassende Liebe entwickeln. Dann wird unser Leben glücklich werden.

Der Yogaweise Patanjali lehrt Zufriedenheit als eine wichtige Eigenschaft eines Yogis. Diese Eigenschaft sollten wir täglich üben. Der griechische Philosoph Epikur meint, wir sollten unseren Genugpunkt in äußeren Dingen finden. Wir sollten das Glück vorwiegend in uns selbst suchen und in äußeren Dinge genügsam sein.

Buddha geht noch einen Schritt weiter. Er war ein Prinz und lebte in großem Reichtum. Im Alter von 29 Jahren verließ er sein Luxusleben und wurde ein besitzloser Bettelyogi. Er ließ alle äußeren Dinge los. Er befreite sich von allen Wünschen und allen Anhaftungen. Er meditierte viel und achtete auf seine Gedanken. Dadurch gelangte er zur Erleuchtung. Sein Ego löste sich auf und er wurde eins mit allem.

Wir können es so sehen, dass er durch die Erleuchtung eins mit Gott, mit der Natur, mit dem höheren Bewusstsein wurde. Aus meiner Sicht kommt der Mensch erst dann innerlich zur Ruhe, wenn er die Erleuchtung erlangt hat. Dann ist er gefüllt mit innerem Frieden, höchstem Glück und umfassender Liebe. Unser Unterbewusstsein weiß, dass dieser Zustand möglich ist. Es sehnt sich danach und kommt in der Tiefe erst dann zur Ruhe, wenn wir diesen Zustand erreicht haben.

Insofern hat überraschenderweise Ilsebill recht. Ihr Wunsch wie Gott zu werden ist das wahre Ziel aller Seelen. Nach buddhistischer und hinduistischer Lehre streben wir Leben für Leben nach spiritueller Selbstverwirklichung. Der Fisch ist die Stimme unsere inneren Weisheit. Wenn wir auf den Fisch in uns hören, dann führt uns unsere innere Stimme letztlich zur Erleuchtung. Und dann sind wir auch mit einem einfachen Leben in einer kleine Fischerhütte zufrieden. Gerade durch eine äußerlich einfache Lebensweise haben wir die Zeit und die Muße uns unserer inneren Entwicklung ausreichend widmen zu können. Wir haben Zeit zu meditieren, innerlich zur Ruhe zu kommen und eins mit der Natur um uns herum zu werden. Der Schluss der Geschichte weist bei genauer Hinsicht darauf hin, dass Ilsebill und ihr Mann durch das Nachdenken über die Wunschsucht zum großen Loslassen und zur Einswerdung mit Gott gelangt sind. Sie haben ihr Glück in ihrer einfachen Fischerhütte gefunden.

https://www.youtube.com/watch?v=0qGt96aMt78&feature=emb_imp_woyt

Das spirituelle Märchenbuch. Die schönsten Märchen und ihre Bedeutung – mystiker2 (wordpress.com)

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