Es waren einmal ein Mann und eine Frau, die wünschten sich sehnsüchtig ein Kind. Als die Frau dann tatsächlich schwanger wurde, da bekam sie merkwürdige Gelüste. Im Garten der Nachbarin wuchs ein prächtiger Feldsalat, genannt Rapunzel. Jeden Tag sah die Frau diesen Feldsalat. Ihr Appetit wurde immer größer. Doch leider war die Nachbarin eine Hexe. Alle Menschen hatten Angst vor ihr. Die Frau traute sich nicht die Nachbarin um etwas Feldsalat zu bitten. Also schickte sie ihren Mann heimlich etwas Feldsalat zu stehlen.
Das ging das erste Mal gut. Doch der Hunger der Frau nach Feldsalat wurde immer größer. Und beim zweiten Mal stand plötzlich die Hexe hinter dem Mann, als er wieder etwas Rapunzel pflücken wollte. „Warum stiehlst du meinen Rapunzel,“ fragte ihn drohend die Zauberin. „Meine Frau möchte gerne etwas davon haben. Und wir haben Angst dich um etwas Rapunzel zu bitten.“ Die Zauberin meinte: „Du kannst gerne etwas Rapunzel bekommen, wenn ich dafür später das Kind erhalten kann. Ich möchte es als meine eigene Tochter aufziehen, weil ich selbst keine Kinder habe.“ In seiner großen Dummheit war der Mann damit einverstanden. Er dachte, dass die Zauberin das Versprechen bis zur Geburt vergessen würde.
Aber kaum war das Kind geboren, stand die Zauberin vor der Tür und holte das Baby ab. Da half kein Bitten und kein Betteln. Die Zauberin nahm das Kind mit und zog es groß. Das Kind war ein Mädchen mit goldenen Haaren. Als Namen bekam sie „Rapunzel“, weil sie durch Rapunzeln zu der Zauberin gelangt war.
Als Rapunzel sechzehn Jahre alt war, sperrte die Zauberin sie in einen Turm, damit sie nicht auf Abwege kommt und ihre Unschuld verliert. Die Zauberin wollte Rapunzel vor den Männern beschützen. Sie hatte Angst, dass Rapunzel ungewollt schwanger werden könnte. Das war in der damaligen Zeit ein großes Drama. Eine Frau mit einem Kind wollte keiner mehr heiraten. Viele alleinerziehende Frauen mussten ein hartes einsames Leben leben. Wie es auch heutzutage noch in vielen armen Ländern der Welt ist.
In den Turm konnte man nur gelangen, wenn Rapunzel ihr goldenes Haar herunter ließ. Die Zauberin besuchte sie jeden Tag und kletterte dann an dem Haar herauf. Eines Tages kam ein junger Prinz vorbei und beobachtete das merkwürdige Geschehen. Die Zauberin rief: „Rapunzel, lass dein Haar herunter.“ Oben am Turmfenster erschien ein schönes Mädchen und warf einen goldenen Haarzopf aus dem Fenster. Daran kletterte die Alte hoch, brachte ihr etwas zu essen. Und kletterte dann wieder herunter.
Der Prinz dachte: „Das kann ich auch.“ Als es Abend wurde und die alte Zauberin wieder weg war, stellte er sich unten an den Turm und rief mit verstellter Stimme: „Rapunzel, lass dein Haar herunter.“ Das Fenster ging auf, das Haar kam herunter, der Prinz kletterte daran hoch und stand plötzlich vor Rapunzel.
Rapunzel erschrak sehr. Sie hatte noch keine Erfahrung mit jungen Männern, weil sie immer in dem Turm eingesperrt war. Und jetzt kam sogar ein echter Prinz, der Sohn des Königs, zu ihr. Und er sah gut aus und war nett und freundlich. Er verführte sie mit schönen Worten. Abend für Abend besuchte sie ihr Prinz. Es entstand eine große Liebe zwischen ihnen.
Zuerst merkte die alte Zauberin nichts. Aber nach einigen Monate wurde der Bauch von Rapunzel immer dicker. Sie war schwanger geworden. Da konnte sie ihr Geheimnis nicht mehr verbergen. Voller Wut brachte die Zauberin Rapunzel in eine wüste Gegend, wo sich kein Mensch hin traute. Dort musste Rapunzel jetzt in einer kleinen Hütte leben. Sie gebar Zwillinge, einen Jungen und ein Mädchen. Die Zauberin brachte ihr wie gewohnt Essen und dachte, dass der Prinz sie dort nicht finden könnte.
Der Prinz war wie gewohnt am Abend zum Turm gekommen und hatte „Rapunzel, lass dein Haar herunter“ gerufen. Aber als er am Zopf hochgeklettert war, stand die alte Zauberin vor ihm und stieß ihn herunter. Dabei fiel er in die Dornenbüsche und verletzte sich so stark die Augen, dass er nicht mehr sehen konnte. Blind irrte er durch die Gegend, getrieben von seiner Sehnsucht nach Rapunzel.
Nach einer langen Suche kam der Prinz in die Wüste, wo Rapunzel mit ihren Zwillingen lebte. Seine innere Stimme hatte ihn auf den richtigen Weg geführt. Der Prinz hörte Rapunzel singen und ging freudig auf sie zu. Beide schlossen sich glücklich in die Arme. Aber wie entsetzt war Rapunzel, als sie erkannte, dass ihr Prinz blind war. Trotzdem stand sie zu ihrer Liebe und meinte: „Eine große Liebe erträgt auch großes Leid. Gemeinsam werden wir alle Probleme bewältigen.“ Trotzdem weinte sie heiße Tränen über das Leid ihres Geliebten. Die Tränen benetzten seine Augen und plötzlich konnte der Prinz wieder sehen. Die Liebe hatte seine Augen geheilt.
Jetzt wurde alles gut. Der Prinz freute sich sehr über seine beiden Kinder. Er nahm Rapunzel und die Kinder mit auf sein Schloss. Sie feierten eine große Hochzeit. Auch der alte König und die König waren mit der Heirat einverstanden. Rapunzel war zwar nur ein armes Bauernmädchen, aber sie war schön und klug. Der Prinz liebte sie wirklich. Und die Erbfolge war bereits gesichert.
Als die alte Zauberin von der Heirat hörte, verließ sie ihr Haus und flüchtete in ein fernes Land. Sie wurde nie wieder gesehen. Die Eltern von Rapunzel dagegen erkannten in Rapunzel ihre Tochter. Sie nahmen an der Hochzeitsfeier teil und wurden später in den Adelsstand erhoben. So stand dem gemeinsamen Glück nichts mehr im Wege. Als der alte König starb, wurde der Prinz der neue König und Rapunzel die neue Königin. Sie lebten glücklich und zufrieden bis an ihr Lebensende. Und wenn sie nicht gestorben sind, leben sie noch heute.
Diese Geschichte sagte uns, dass Treue belohnt wird. Wenn wir auf unsere innere Stimme hören, wird am Ende alles gut. Auch wenn auf dem Weg zum Glück große Schwierigkeiten zu bewältigen sind.
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