Der heilige Narr

Der heilige Narr

Drugpa Künleg lebte als freier Yogi in Tibet. Als „heiliger Narr“ (smyon) hat er Eingang in die mündliche Erzählliteratur in Tibet und im Himalaya, insbesondere Bhutan, gefunden. Er behauptete in der Hölle gewesen zu sein. Dort habe er viele dogmatische Mönche getroffen, die die spirituellen Lehren benutzt hätten, um damit andere Menschen geistig zu erschlagen. 

Erleuchtung befindet sich in einer Ebene über allen dualistischen Vorstellungen von Gut und Böse. Sie befindet sich letztlich in einer Ebene über allen Moralvorstellungen. Spirituelle Regeln (die fünf Silas im Buddhismus) wie nicht töten, nicht lügen, nicht nach materiellem Reichtum streben, kein sexueller Missbrauch und keine berauschenden Mittel (Alkohol, Drogen) sind für die meisten Menschen sicherlich hilfreiche Mittel auf dem Weg zur Erleuchtung. Aber es verfangen sich auch viele Menschen in diesen Dogmen und nutzen sie als Weg, um sich über ihre Mitmenschen zu erheben und ihr eigenes Ego zu stärken.

Im Buddhismus gibt es viele Geschichten, in denen ein spirituell Übender gegen spirituelle Regeln verstößt, um dadurch in die Sphäre der Erleuchtung vorzudringen. Es gibt erleuchtete Meister, die Alkohol trinken, es gibt Buddhisten, die Fleisch essen, es gibt Mönche, die im Bordell die Erleuchtung finden, und es gibt heilige Narren, die gegen alle Regeln verstoßen, um in die Ebene der völligen Anhaftungslosigkeit zu gelangen. Einer von diesen heiligen Narren war der berühmte tibetische Meister Drugpa Künleg.

Drugpa Künleg liebte es die buddhistischen Mönche zu provozieren, um sie dadurch zu ihrer eigenen Weisheit und letztlich zur Erleuchtung zu bringen. Einmal trieb er einen Esel in ein Kloster und setzte ihm die Krone eines Lamas auf. Er erklärte den versammelten Mönchen, dass sie wie ein Esel ohne Verstand ihre Mantras singen. Sie würden einen Esel statt Buddha anbeten. Buddha hatte gelehrt selbst nachzudenken und den Weg der eigenen Weisheit zu finden. Die Mönche dagegen würden nur komplizierte Rituale befolgen, die sie in der Tiefe nicht wirklich verstanden hätten. Dadurch würden sie in die Hölle statt in den Himmel (ins buddhistische Paradies, ins Reine Land, ins Nirvana) kommen.

An einem anderen Tag trug er einen Papagei auf seiner Schulter. Er sprach dem Papagei ein Wort vor und der Papagei sprach es nach. Mit diesem Bild zeigte er seinen buddhistischen Mönchen, wie man den spirituellen Weg nicht praktizieren sollte. Man sollte versuchen den tieferen Sinn der Worte Buddhas zu verstehen, nicht am Wortlaut haften und seinen eigenen Weg der Wahrheit finden. Erleuchtung bedeutet Selbstverwirklichung. Man verwirklicht sich nicht selbst, wenn man ohne inneres Gespür den Regeln anderer Menschen folgt. Man verwirklicht sich nur dann selbst, wenn man genau seinen eigenen Weg der Wahrheit geht.

Dieser Weg der Wahrheit war es für Drugpa Künleg als freier Yogi zu leben, viel spirituell zu praktizieren, aber auch das äußere Leben zu genießen. Er liebte Wein, Weib und Gesang, wie es früher bei uns hieß. Die 68iger sprachen eher von Sex, Drugs and Rock’n Roll. Drugpa Künleg ließ sich gerne zu einem Bier (tibetisch Dschang) einladen. Er sang anzügliche Lieder und liebte die Frauen. Einmal hatte er Sex mit einer Nonne, die daraufhin ein Kind bekam. Ihre Äbtissin nahm das locker und meinte: „Das wird bestimmt einmal ein Buddha.“  

Drugpa Künleg stellte die Lehre von den drei Vergnügen auf:

Eine junge Frau findet Vergnügen an der Liebe.

Ein junger Mann findet Vergnügen am Sex.

Ein alter Mann findet Vergnügen an seinen Erinnerungen.

Wer die Wahrheit nicht kennt, der ist verwirrt.

Wer keine Ziele hat, erbringt keine Opfer.

Wer keinen Mut hat, wird kein Yogi.

Das ist die Lehre von den drei fehlenden Dingen.

Auch wenn ein Mensch den Weg der Weisheit kennt,

ohne zu praktizieren, erfolgt keine Verwirklichung.

Auch wenn ein Meister dir den Weg zeigt,

gehen musst du ihn selbst.

Das Leben ist mein Lehrmeister

und meine innere Weisheit ist mein Führer.“

 

Wie finden wir den Weg unserer Wahrheit? Wir müssen genau in unsere Motivation hineinspüren. Wenn wir andere Menschen spirituell belehren wollen, warum tun wir es? Tun wir es um unser Ego zu stärken, um unsere Aggressionen auszuleben, um recht zu haben? Oder tun wir es, um für den anderen Menschen hilfreich zu sein und ihm zu helfen sein inneres Glück zu verwirklichen? Tun wir es aus Liebe oder in Wirklichkeit aus Egoismus? Reden oder schreiben wir freundlich, liebevoll und sanftmütig? Oder triefen unsere Worte von Beleidigungen und Aggressivität? Buddha lehrte den Weg der rechten Rede. Der Dalai Lama meinte, dass das Wichtigste ein gutes Herz sei. Jesus erklärte, dass die Sanftmütigen selig werden. Laotse schrieb: „Zu den Guten bin gut und zu den Bösen bin ich auch gut, denn ich bin die Güte.“ So geht der Weg der Erleuchtung.

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