Der erleuchtete Nichtsnutz

Nirguna war ein Dummkopf. Er war zu nichts zu gebrauchen. Seine Eltern hatten sich ein kluges Kind gewünscht. Sie schickten ihn auf die besten Schulen, aber er lernte nur wenig. Irgendwie blieb er immer dumm. Es gab auch keinen Beruf, der zu ihm passte. Er probierte viele Berufe aus, aber in jedem versagte er. Von den Behörden wurde er für arbeitsunfähig erklärt.

Von da an lebte er von Sozialhilfe. Er hatte viel Ruhe und viel Zeit. Alle Menschen mussten arbeiten. Und er hockte einfach nur in seiner Wohnung. Was sollte er mit seiner vielen freien Zeit anfangen? Im Internet sah er viele Videos, spielte Computerspiele und las Ebooks. Er surfte durch das WWW und traf interessante Menschen.

Nirguna suchte nach dem Sinn in seinem Leben. Deshalb fragte er die Menschen danach, welchen Sinn sie in ihrem Leben gefunden hatten. Viele behaupteten, dass das Leben keinen Sinn hätte. Den Sinn müsste er seinem Leben selbst geben. Für andere wiederum war es der Sinn ihres Lebens möglichst viel Spaß zu haben. Und dann gab es noch die Menschen, die ihren Sinn in einer beruflichen Karriere, in einer Familie oder in schönen Reisen sahen.

Eines Tages traf Nirguna im Internet einen Menschen, der behauptete, der tiefere Sinn des Lebens sei es zur Erleuchtung zu gelangen. Erleuchtung sei das höchste Glück. Man würde dauerhaft in einem tiefen Frieden, in der Liebe und in einem Einheitsbewusstsein leben. Und vor allem würde man die Angst vor dem Tod verlieren.

Nirguna hatte viele Ängste. Und die Angst vor dem Tod war seine größte Angst. Nirguna wollte seine Ängste überwinden und fragte nach dem Weg zur Erleuchtung. Der Mensch antwortete ihm, dass es viele Wege zur Erleuchtung gebe. Erleuchtung sei wie der Gipfel eines Berges, auf dem die Sonne scheint. Um zur Bergspitze zu gelangen, könnte man viele Wege gehen.

Viele Wege führen den Berg hinauf. Es gibt den langsamen gemütlichen Weg, der in großen Bögen um den Berg herum führt. Es gibt den direkten Weg zum Gipfel, der steil den Berg hinauf geht. Und es gibt den mittleren Weg, wo man manchmal steile Strecken und manchmal sanfte Strecken hat. Es würde viele Religionen geben. Und auch innerhalb der Religionen würden verschiedene Wege angeboten.

Nirguna sollte seine Fähigkeiten, Möglichkeiten und Bedürfnisse betrachten. Da Nirguna arbeitslos war, hatte er viel Zeit zu meditieren. Da er sehr faul war, konnte er nur im Liegen meditieren und manchmal einen kleinen Spaziergang an der frischen Luft machen. Er konnte im Internet spirituelle Texte lesen, an spirituellen Gruppen teilnehmen und sich dort emotionale Unterstützung holen.

Sein Freund riet ihm sich einen spirituellen Tagesplan zu überlegen und konsequent danach zu leben. Er sollte zu bestimmten Zeiten meditieren, gehen, lesen und sein Leben genießen. Er sollte auch Zeiten für die schönen Dinge des Lebens einplanen. Und vor allem sollte er auf seine Gedanken achten. Er sollte negative Gedanken stoppen und positive Gedanken pflegen. Er sollte Eigenschaften wie Gelassenheit, Selbstdisziplin, umfassende Liebe und Weisheit entwickeln.

Nirguna praktizierte das eine Zeitlang. Sein spiritueller Tagesplan tat ihm gut. Er gab ihm einen Halt und einen Sinn in seinem Leben. Aber er wollte schnell spirituell voran kommen. Er wollte nicht viele Leben auf die Erleuchtung warten.

Sein Freund meinte, dass er dazu als erstes einen erleuchteten Meister braucht. Also besuchte Nirguna einen spirituellen Lehrer. Der Lehrer weihte ihn in den Weg der Kundalini-Meditation ein und öffnete seine Chakren. Nirguna konnte plötzlich die Energie in sich und seinen Mitmenschen spüren. Er spürte ab jetzt genau, was welche spirituelle Übung bewirkte und wie er sie am besten praktizieren musste.

Als zweites riet ihm sein Freund im Schwerpunkt als Bodhisattva zu leben. Er sollte das Glück seiner Mitmenschen in den Mittelpunkt seines Lebens stellen. Er sollte jeden Tag allen seinen Freunden Licht senden und eine glückliche Welt wünschen. Er sollte jeden Tag irgendeinem Wesen etwas Gutes tun. So würde er sein Ego überwinden und in die umfassende Liebe kommen. Ohne umfassende Liebe könne er solange meditieren wie er wollte. Er würde keinen wirklichen spirituellen Fortschritt machen.

Nirguna setzte alle Punkte im Rahmen seiner Möglichkeiten gewissenhaft um. Im Laufe der Zeit nahmen seine spirituellen Fähigkeiten zu. Eines Tages kam ein entfernter Bekannter zu Besuch. Seinem Bekannten ging es schlecht. Er hatte Depressionen. Nirguna sah ihm in die Augen und erkannte wie sehr er an seinem Leben litt. Da erwachte das große Mitgefühl in Nirguna und er musste weinen. Er versuchte seinem Bekannten zu helfen, was ihm aber nur begrenzt möglich war.

Die Trauer löste tiefe Blockaden in ihm und er gelangte in ein Einheitsbewusstsein. Plötzlich war er im erleuchteten Sein. Er lebte ab jetzt einfach glücklich vor sich hin. Er folgte weiter seinem spirituellen Tagesplan, aber im Wesentlichen war er einfach nur da. Er brauchte auch keinen Sinn mehr. Er lebte im Sein und im Jetzt. So kann aus einem Menschen, der zu nichts zu gebrauchen ist, immerhin noch ein erleuchteter Nichtsnutz werden.

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