Der auserwählte Yogi

Jalandhara war ein großer Yogi. Er lebte vor etwa 1200 Jahren in Indien. Er war ein Brahmane, ein Hindu aus der Priesterklasse. Aber er war mit dem Leben sehr unzufrieden. Überall sah er Leid und Elend in der Welt. Deshalb ging er zu einem Friedhof, um dort über den tieferen Sinn des Lebens zu meditieren.

In der Meditation erschien ihm eine Dakini, eine buddhistische Gottheit. Sie erklärte ihm, dass er von den Buddhas und Bodhisattvas im Jenseits auserwählt worden sei den Menschen auf der Erde den tieferen Sinn des Lebens zu zeigen. Dann verschwand sie.

Am nächsten Tag ging Jalandhara wieder zum Friedhof. Er setze sich in den Schatten eines großen Baumes und begann wieder zu meditieren. Er hoffte, dass ihm wieder die Dakini erscheinen und ihm weitere Hinweise geben würde. Aber stattdessen stieg plötzlich die Kundalini-Energie in seinem Körper auf. Je weiter sie aufstieg, desto ruhiger wurde Jalandhara. Als die Kundalini-Energie die Mitte seines Kopfes erreicht hatte, gab es plötzlich einen Bewusstseinsumschwung. Sein Bewusstsein wurde in das höchste Paradies (das Paradies der Dakinis) geschleudert. Dieses Paradies nennt man im Yoga Sathyaloka, den Ort der höchsten Wahrheit. Jalandhara ruhte gedankenlos in einem Zustand höchsten Glücks, absoluter Wahrheit und umfassender Liebe. Sein Ego hatte sich aufgelöst und er verweilte längere Zeit im Zustand der Erleuchtung.

Jalandhara genoss das Glück im Paradies und kehrte dann mit seinem Bewusstsein in seinen Körper zurück. Ihm war klar, dass er jetzt das Ziel aller Seelen, den tieferen Sinn der endlosen Abfolge von Wiedergeburten kannte. Eine Seele musste sich so oft inkarnieren, bis sie bereit war für die Erfahrung des höchsten Paradieses. Im Buddhismus spricht man zwar nicht von einer Seele. Buddha lehnte die Existenz einer ewigen Seele ab. Er sprach von Anatman, dem Nicht-Selbst. Das Nicht-Selbst ist das egolose Bewusstsein eines Erleuchteten. Man kann auch vom höheren Selbst, dem erleuchteten Selbst sprechen. Dieses Selbst hat sein Ego überwunden und ruht in einem Einheitsbewusstsein. Es erfährt sich und die Welt als eins. Es sieht sich in allen Wesen. Und dieses Selbst kann nach dem Tod des Körpers dauerhaft ins Parinirvana, ins höchste Glück aufsteigen. Es kann sich aber auch immer wieder auf der Erde verkörpern, um den Mitwesen auf dem spirituellen Weg zu helfen.

Jalandhara kannte als Brahmane die Schriften aller Religionen. Er verstand sie jetzt auf einer tiefen Ebene und begriff, dass alle Religionen letztlich eins sind. Sie sind Wege zu dem höchsten Ziel. Die Wege sind unterschiedlich. Manche Religionen betonen das tägliche Gebet, andere Religionen das eigene Bemühen und manche sind eine Mischung aus beidem. Wichtig sind immer die Meditation und die Gedankenarbeit. Wichtig ist es immer die Eigenschaften Frieden, Liebe, Glück, Wahrheit und Selbstdisziplin zu entwickeln. Das sind die fünf Paradiesvermittler. Es sind die fünf Meditationsbuddhas im tibetischen Buddhismus. Es sind die vier Cherubim (Löwe, Stier, Adler und Engel), die im Christentum vor dem Eingang zum Paradies stehen. Und es sind die fünf Arkanas im Tarot (große Arkanas, Stäbe, Münzen, Kelche und Schwerter), dem Lehrbuch der mittelalterlichen Mystik.

Jalandhara war jetzt gespannt, was weiter passieren würde. Er ging deshalb wieder zur Meditation auf den Friedenhof, der in Indien der Platz ist, wo die Leichen verbrannt werden. Es sah der Verbrennung der Leichen zu und trat in eine tiefe Meditation ein. Wieder stieg die Kundalini-Energie wie ein dicker Wasserstrahl in seinem Körper auf, erreichte den Kopf, öffnete das Scheitelchakra und schoß jetzt über den Kopf hinaus. Sie öffnete alle Chakren, die sich über dem Kopf befinden und im tibetischen Buddhismus als über dem Kopf gestapelte Köpfe dargestellt werden. Die Energie stieg bis zum Himmel auf und floss dann seitlich im großen Kreis eines kosmischen Mandalas wieder zur Erde herab und in Jalandhara hinein. Jalandhara war jetzt mit der Einheit des Universums verbunden.

Einige Tage später machte Jalandhara noch eine dritte Erfahrung auf dem Leichenbrandplatz. Diesmal kam plötzlich vom Himmel ein großes Licht herab und floß durch das Scheitelchakra in ihn hinein. Er war so voll Licht, dass er Licht ausstrahlte und sich auf seinem Kopf eine große Energieflamme bildete. Diese Flamme wird im Christentum als Feuerzunge bezeichnet, im Buddhismus manchmal auf dem Kopf von Buddhastatuen abgebildet und bei den indischen Götterfiguren als hohe Krone dargestellt.

Mit diesen drei Erfahrungen war die Einweihung Jalandharas abgeschlossen. Jetzt musste er selbstständig seinen Weg finden. Jalandhara sah sich von nun an als Buddhist, da er von einer buddhistischen Dakini eingeweiht worden war. Er zog an einen abgeschiedenen Ort und praktizierte dort sieben Jahre als Yogi. Er ging jeden Tag spazieren, las in den Schriften des Buddhimus, meditierte viel und probierte die verrücktesten Yogaübungen aus. Sein Ziel war es wieder seine Kundalini-Energie zu erwecken und in den Zustand des großen Glücks zurückzukehren. Das gelang ihm zwar vollständig erst nach seinem Tod. Aber im Laufe der Jahre konnte er schrittweise seine Erleuchtung vertiefen und seine Energiekanäle und Chakren immer weiter öffnen.

Jalandhara wird in Statuen oft mit den Armen kreisförmig um den Kopf herum dargestellt. Diese Körperhaltung (Mudra) symbolisiert sein Einheitsbewusstsein. Mit dem unteren Fuß zerstört er sein Ego und mit dem oberen Fuß verstärkt er seine Kopfenergie. Die Hände formen ein kreisförmiges Mandala über dem Scheitelchakra und deuten auf seine Erfahrung des höchsten Paradieses hin. Die Kundalini-Energie kommt aus der Erde, die in der Statue als Doppellotus dargestellt wird. Sie steigt durch ein verlängertes Hüfttuch in seinen Körper und dann in seinem Körper durch alle Chakren zu seinem Kopf hin auf.

Die Erleuchtung geschieht dadurch, dass man nach der Kundalini-Aktivierung alle Gedanken zur Ruhe bringt, alle Vorstellungen in die Leerheit des Nirwana auflöst und anschließend in der Ruhe der Meditation verweilt. Durch die Ruhe der Meditation steigt man dann durch die acht Vertiefungen Buddhas ins höchste Paradies (Nirwana) auf. Bei seinem Tod praktizierte Buddha diese Meditation in der Löwenhaltung und gelangte so ins Parinirvana. Die Löwenhaltung ist eine Yogastellung im Liegen, bei der man eine Hand auf die Hüfte und die andere unter den Kopf legt. Dadurch kann von spirituell fortgeschrittenen Menschen gut die Kundalini-Energie erweckt werden. Die Anweisung der Dakini lautete, dass er Wonne und Leerheit vereinigen sollte.

Als Jalandhara eine ausreichend stabile Stufe der Erleuchtung erreicht hatte, begann er sein Wissen an seine Mitmenschen weiterzugeben. Sowohl Hindus als auch Buddhisten profitierten von seinen Erfahrungen. Jalandhara gilt als einer der Gründer des Hatha-Yoga und als einer der Väter (Mahasiddhis) des tibetischen Buddhismus. Er ist einer der 84 Mahasiddhis in dem Buch Die Meister der Mahamudra.

Jalandhara ist von den Dakinis auserwählt worden, weil er als geeigneter Kanal das höchste Wissen an uns weitergehen konnte. Letztlich sind wir jetzt alle auserwählt, weil wir dieses Wissen empfangen haben. Wir brauchen es nur noch auf unsere Weise umzusetzen. Der wichtigste Punkt dabei ist es, dass wir konsequent auf die Stimme unserer inneren Weisheit (unsere innere Dakini) hören. Sie wird uns den Weg ins Licht weisen.

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