Der alte Yogi sieht einen Heißluftballon am Himmel

Ich gehe spazieren. Plötzlich höre ich über mir ein zischendes Geräusch. Ich blicke auf und sehe einen großen braunen Heißluftballon am Himmel. Die Lufthöhe wird durch brennendes Gas unter dem Ballon reguliert. Alle Minute wird etwas Hitze in den Ballon gefüllt, damit er auf seiner Lufthöhe bleibt.

Ich setze mich auf meine Bank am Rande der großen Wiese und beobachte den Ballon. Unten in dem Korb sitzen einige Menschen. Langsam zieht der Ballon mit dem sanften Wind des Lebens über die Wiese und verschwindet hinter den hohen Bäumen am Wiesenrand. Doch da kommt ein weiterer Ballon, orange. Und in der Ferne noch ein brauner Ballon.

Es sieht schön aus, wie sie groß am Himmel stehen, wie auf einem Gemälde. Der Himmel ist blau. Es gibt viele kleine weiße Schäfchenwolken. Und vom Horizont aus strahlt die untergehende Sonne ihr gelbrötliches Licht in das Bild. Die weißen Schäfchenwolken sind halbseitig im oberen Bereich in das Licht der Sonne getaucht. Unter dem Himmel liegt die grüne Wiese, umgeben von einem Waldrand aus großen Eichen.

Und ich sitze auf meiner Bank. Ich bin der Beobachter. Ich betrachte die Vergänglichkeit des Leben. Alles zieht vorbei. Der erste Ballon ist meine Mutter. Der zweite sind meine Freunde. Und der dritte bin ich. Alle Formen des Lebens tauchen auf und verschwinden nach einiger Zeit wieder.

Ich war gerade bei meiner Mutter im Altersheim. Dabei fiel mir auf, wie stark die Menschen dort das Leid verdrängen. Sie weigern sich in die Trauer zu gehen und ausreichend die Trauer zu leben. Sie reden sich das Altersheim schön, obwohl es überwiegend ein Ort des Leidens ist. Die meisten Alten leiden körperlich, seelisch oder zumindest an der Vergänglichkeit des Lebens. Sie kommen normalerweise ins Heim, wenn sie zuhause nicht mehr leben können, weil der altersmäßige Verfall zu weit fortgeschritten ist. Sie leben dann noch eine kurze Zeit, einige Monate oder Jahre, im Altersheim und sterben dann.

Meine Mutter ist eine Meisterin der Verdrängung. Sie hat den zweiten Weltkrieg verdrängt, den Tod ihres Mannes, den Verlust ihrer Hauses und damit ihrer Heimat. Sie leidet durch ihr Rheuma beständig an Schmerzen, kann nur noch im Rollstuhl sitzen oder im Bett liegen, ist dement und kann nicht mehr richtig denken und reden. Und wenn man sie fragt, sagt sie, dass es ihr gut geht.

Ich merke, dass ich durch die Energie im Altersheim auch das Leid stark verdränge. Ich rede alles positiv. Schöner Kuchen heute. Schönes Wetter heute. Nette Menschen hier. Erst wenn ich wieder aus dem Heim herausgehe, komme ich in die Trauer und löse meine Verdrängungen. Und ich komme wieder ins Glück und in die Einheit. Erleuchtung bedeutet nicht das Leid der Welt zu verdrängen, sondern es anzunehmen und zu integrieren.

Wenn man einen Erleuchteten besucht, dann entsteht oft zuerst große Trauer. Die ganze verdrängte Trauer löst sich. Dann entsteht innerer Frieden, dann Glück und dann umfassende Liebe. Und dann ist man auch in der Einheit und der Erleuchtung. Die Trauer ausreichend zu leben ist ein wichtiger Schritt auf dem Weg ins innere Glück.

Ansonsten war es gut bei meiner Mutter. Wir haben leckeren Kuchen gegessen. Wir sind schön im Park spazieren gegangen. Und wir haben glücklich gesungen. Die Alten freuten sich schon auf mich und mein Harmonium. Der ganze kleine Kreis hat sich getroffen und stundenlang Kinder- und Wanderlieder geschmettert. Und plattdeutsche Lieder. Was die Senioren besonders lieben. Vom Hamburger Veermaster, Herrn Pastor sien Koh und vom Hering jung und schlank, in den sich eine alte Scholle verliebte.

Wobei es diesmal umgekehrt war. Eine junge Scholle verliebte sich in einen alten Hering. Eine junge Altenpflegerin kam vorbei und erfreute sich am Gesang. Sie war etwa 16 Jahre alt und vermutlich in der Ausbildung. Sie blieb stehen und sang mit. Ich blickte ihr tief in die Augen. Da war es um sie geschehen. Wenn ein erleuchteter Meister in der geballten Kraft seiner Erleuchtungsenergie einen anblickt, dann überträgt sich Erleuchtungsenergie und frau versinkt in Glückseligkeit.

Das war jetzt natürlich ein Scherz. Ich bin völlig unerleuchtet. Aber ich bin immerhin der Gesangsstar im Altersheim, jedenfalls für meinen kleinen Freundeskreis. Und ich habe versucht wie ein echter Rockstar meine Fans beim Singen anzuschauen. So habe ich das im Fernsehen gelernt und das klappt schon ganz gut. Ich bringe die Alten dadurch in meine Energie. Und jetzt auch eine Junge. Leider musste sie bald gehen, weil sie die Pflicht rief. Aber als sie mich später im Gang traf, war sie immer noch verzückt von mir. Und ein weiterer Heißluftballon flog am Himmel vorbei und verschwand am Horizont.

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