Demut, Bescheidenheit und Genügsamkeit zu Weihnachten

Barbara und ich haben uns gestritten. Das geschieht öfter zu Weihnachten. Das ist normal in der heutigen Zeit, wo viele Menschen sehr gestresst sind. Aber die meisten Menschen wünschen sich Liebe, Frieden und Harmonie.

Der Streit brachte mich dazu gründlich nachzudenken. Ich erfahre drei Ebenen des Bewusstseins. Die erste Ebene ist die normale weltliche Ebene. Hier existiert das Gesetz der Dualität. Die Menschen haben unterschiedliche Bedürfnisse. Sie sehen ihre Mitmenschen als Gegenüber, als von sich getrennt. Sie leben vorwiegend aus dem Ego, dem Haben-Wollen, dem äußeren Glück. Sie glauben, dass sie glücklich sind, wenn alle ihre Bedürfnisse erfüllt sind. Um dieses Ziel zu erreichen, gibt es Machtkämpfe, Bündnisse und Verträge. Je größer das Ego wird, desto schwieriger wird es im Zustand des Friedens und der Liebe zu leben.

Die zweite Ebene ist die Ebene der Erleuchtung. Hier sind die Menschen aus sich selbst heraus glücklich. Sie brauchen nicht Äußeres. Sie brauchen nur viel Ruhe, spirituelle Übungen und umfassende Liebe. Sie haben die Dualität (das Ego) überwunden. Sie leben in einem Einheitsbewusstsein. Sie ruhen in ihrer Glücksenergie und erfahren ihre Umwelt als Paradies, als Reines Land. Alles ist richtig so wie es ist. Alles ist gut so. Sie haben alle Anhaftung an äußere Dinge und andere Menschen losgelassen. Sie genügen sich selbst.

Eine Bekannte von mir ist so ein Mensch. Sie lebt in einer kleinen Wohnung, braucht nicht zu arbeiten, finanziert sich durch Sozialhilfe und ist glücklich aus sich selbst heraus. Sie braucht für ihr inneres Glück nur viel Ruhe. Bei viel Ruhe wendet sich die Energie eines Menschen nach innen. Es entsteht Frieden, Gleichmut und Glück fast von alleine. Aber meine Bekannte ist auch ein sehr spiritueller Mensch. Sie meditiert, arbeitet an ihren Gedanken und geht auf ihre Art einen spirituellen Weg. Sie lebt faktisch wie eine Eremitin, eine Yogini, eine Heilige aus früherer Zeit. Sie fühlt sich nicht einsam, obwohl sie kaum Freunde hat. Sie ist mit sich und der Welt zufrieden.

Barbara dagegen ist ganz anders. Sie wünscht sich Liebe, schöne äußere Dinge und die Freiheit genau sich selbst zu leben. Ihre Energie ist auf äußere Dinge bezogen. Das ist jetzt etwas gemein formuliert. Barbara geht auf ihre Art auch einen spirituellen Weg. Sie meditiert und übt sich im positiven Denken. Aber sie liebt auch ein gutes äußeres Leben. Und kommt dadurch immer wieder in innere Probleme, weil die Dinge nicht so sind wie sie es gerne möchte. Insbesondere bin ich oft nicht so wie sie es möchte.

Ich bin von meinem tieferen Wesen her eigentlich auch ein Eremit. Aber ich mag auch das Leben in der Welt, Beziehungen und die Arbeit für eine bessere Welt. Ich gehe den dritten Weg. Und der dritte Weg ist kompliziert. Man muss das spirituelle Leben mit dem weltlichen Leben verbinden. Man lebt eigentlich in zwei Welten. Man muss das weltliche Leben meistern und gleichzeitig seinen inneren Frieden und sein inneres Glück bewahren.

Auf der Ebene der Dualität bin ich vorwiegend in Beziehung zu anderen Menschen. Ich kann in Liebe mit ihnen sein. Aber diese Liebe ist anhaftend und instabil. Leicht kommen Egoenergien hinzu und dann gibt es Streit. Ich verliere meinen inneren Frieden. Ich werde ein Opfer weltlicher Energien. Dann muss ich mich wieder daraus befreien. Das gelingt durch die Meditation, die Achtsamkeit auf die Gedanken und das positive Denken.

Spannend ist es, dass Liebe und Streit oft zusammenhängen. In vielen Familien wird zu Weihnachten heftig gestritten. Und gleichzeitig sind sie auf einer tieferen Ebene in Liebe verbunden. So war es bei meinen Eltern auch. Bis ich ins anhaftungslose Sein ging und meinen inneren Frieden bewahren konnte. Aber dadurch verlor ich auch etwas die Liebe zu meinen Eltern. Ich ruhte in mir selbst und brauchte kein Glück im Außen. Um mit meinen Eltern kommunizieren zu können, musste ich mich immer wieder in die Ebene der Dualität begeben.

Die Ebene der Erleuchtung ist für die meisten Menschen nicht so schnell zu erreichen. Sie brauchen eine Vorstufe, um ihr inneres Glück auch in der Welt der Dualität bewahren zu können. Ein einfacher Weg ist das positive Denken. Viele Menschen bemühen sich krampfhaft um positives Denken, um in ihrer Familie einigermaßen den Frieden zu bewahren. Es ist besser oberflächlich positiv zu denken als sich gegenseitig zu bekämpfen und manchmal sogar umzubringen. Wie es laut Nachrichten immer häufiger in den Familien geschieht.

Um auf einer tieferen Ebene positiv denken zu können, braucht man Grundsätze wie Demut, Bescheidenheit und Genügsamkeit. Wir nehmen in Demut die Dinge so an wie sie sind. Wir sind bescheiden in äußeren Dingen. Wir brauchen keine großen Geschenke. So können wir auch zu Weihnachten in Harmonie miteinander leben.

Und wir sollten unseren Genugpunkt kennen. Das ist die große philosophische Leistung von Epikur. Wir können ihn uns als Buddha im alten Griechenland vorstellen. Er lehrte es in der Ruhe zu leben, beständig an seinen Gedanken zu arbeiten (zu philosophieren) und die Liebe zu allen Menschen zu pflegen. Und vor allem lehrte er es seinen Genugpunkt zu kennen. "Wer das Wort genug nicht kennt, hat niemals genug." Er ist letztlich ein Opfer seines Egos, seiner Wünsche, seiner Ansprüche und seiner Anhaftung an äußere Dinge. Wer dagegen seinen Genugpunkt kennt, wem das genügt, was er besitzt, wer nicht mehr will als er hat, der ist dadurch relativ unabhängig von äußeren Dingen und anderen Menschen. Er ist ist dankbar für das, was er hat.

Der Genugpunkt bewahrt den inneren Frieden. Man braucht nicht erleuchtet sein, um im inneren Frieden und Glück zu leben. Man muss nur klar definieren, was man in seinem Leben möchte. Man sollte dafür sorgen, dass man in Umständen lebt, in denen man sich wohl fühlt. Und man sollte dankbar für alles sein, was über die eigenen Grundbedürfnisse hinaus geht.

Epikur lebt sehr einfach und bescheiden. Sein Genugpunkt war erreicht, wenn er ein schönes Stück Käse essen durfte. Oder wenn er einige Freunde hatte, mit denen er sich gut verstand. Er brauchte keine großen Geschenke. Ein gutes Gespräch war für ihn Geschenk genug. Das wünsche ich allen meinen Freunden zu Weihnachten.

Inzwischen haben Barbara und ich uns auch wieder vertragen. Wir beide haben uns bemüht positiv zu denken, unser Ego zu überwinden und uns gegenseitig so anzunehmen wie wir sind. Die Harmonie ist zu Weihnachten wieder hergestellt.

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