Das Leben meistern und spirituell wachsen

Der Meisterdieb

Es war einmal ein Meisterdieb, der war in sehr armen Verhältnissen groß geworden. Dort hatte er gelernt das Leben auch unter schwierigsten Bedingungen zu meistern. Am Anfang war er ein kleiner Betrüger gewesen, aber dann hatte er etwas Geld erlangt. Er investierte sein Geld klug, nutzte alle Möglichkeiten des Kapitalismus und wurde so mit der Zeit sehr reich. Viele seiner Geschäfte war halb legal oder ganz illegal, aber er ließ sich nie erwischen. Und falls er doch einmal erwischt wurde, hatte er Freude, die ihm halfen. Irgendwie fand er immer einen Weg seinen Kopf aus der Schlinge zu ziehen. Er ging sogar in die Politik und verband klug Politik und persönliches Gewinnstreben miteinander.

Mit der Zeit stiegen ihm sein Reichtum und seine Schlauheit allerdings zu Kopf. Er beschloss seine armen Eltern zu besuchen und den Schlossherrn, in dessen Dienst sie standen, zu überlisten. Der Schlossherr hatte eine sehr schöne Tochter. Schon seit seiner Jugend hatte er diese Tochter gerne zur Frau haben wollen. Jetzt war die Zeit dafür gekommen. Er musste es nur sehr klug anstellen, damit er das Herz der Tochter gewinnen und den Grafen zu seinem Schwiegervater machen konnte.

Den Grafen von sich zu überzeugen war einfach. Dazu genügte sein großer Reichtum. Der Graf war sehr geldgierig. Er würde gerne einen reichen Schwiegersohn haben, auch wenn dieser nicht aus dem Adelsstand kam. Vielleicht könnte man auch noch einen entsprechenden Titel gegen etwas Geld erwerben. Aber die Tochter des Grafen war hochnäsig. Ihr Herz war schwer zu gewinnen. Sie hatte an jedem Bewerber etwas auszusetzen gehabt und deshalb immer noch keinen Mann gefunden.

Die Tochter des Grafen hatte aber eine Schwäche. Sie war von ihren Eltern sehr streng erzogen worden. In der Tiefe ihrer Seele hegte sie einen großen Groll gegen ihren Vater. Wenn es dem Meisterdieb gelänge, den Grafen lächerlich zu machen, dann könnte er vielleicht dadurch ihr Herz gewinnen.

Der Meisterdieb kleidete sich fürstlich an, setzte sich in eine prachtvolle Kutsche, die von vier Rappen gezogen wurde und fuhr bei dem Grafen vor. Der empfing ihn mit allen Ehren und bewirtete ihn köstlich. Er war begeistert, als er von der Absicht des Meisterdiebes hörte, seine Tochter zu heiraten. Er hielt ihn ja für einen reichen Kaufmann. Aber vorher wollte er den Meisterdieb auf die Probe stellen: „Drei Prüfungen musst du bestehen. Wenn du erfolgreich bist, gebe ich dir meine Tochter zur Frau. Wenn du versagst, musst du sterben.“

Die erste Prüfung bestand darin, dass er das Lieblingspferd des Grafen aus dem Stall stehlen sollte, obwohl es von Soldaten streng bewacht wurde. Diese Aufgabe meisterte der Dieb mit Leichtigkeit. Man nannte ihn nicht zu Unrecht den Meisterdieb. Er verkleidete sich als arme Weinverkäuferin und gab den Soldaten kostenlos so viel Wein, bis sie alle betrunken waren. Zur Sicherheit schüttete er noch ein Schlafmittel in den Wein. Als alle Soldaten bewusstlos auf dem Boden lagen, führte er seelenruhig das Pferd aus dem Stall. Am nächsten Morgen kam er gut gelaunt auf dem Pferd geritten und übergab es wieder dem Grafen.

Der Graf war von der Kunstfertigkeit des Meisterdiebes beeindruckt. Die nächste Aufgabe musste schwieriger sein. Er verlangte von dem Meisterdieb, dass er ihm in der Nacht das Betttuch unter dem Leib und der Gräfin den Ehering vom Finger stiehlt. Bei dieser Aufgabe musste der Meisterdieb sehr kreativ sein. Er schnitt einen frisch Gehängten vom Galgen ab. Er schminkte und kleidete den Toten, so dass er aussah wie der Meisterdieb. Dann setzte er den Gehängten auf seine Schultern und stieg eine Leiter zum Fenster des Grafen hoch. Der Graf hatte sich mit einer Pistole bewaffnet auf sein Bett gesetzt, um jeden Diebstahl des Betttuches zu verhindern. Als er den angeblichen Meisterdieb in seinem Schlafzimmerfenster erblickte, erschoß er ihn mit seiner Pistole. Der Meisterdieb ließ den Gehängten mit einem Schrei zu Boden fallen und versteckte sich hinter der Hauswand.

Der Graf wollte nachsehen, ob der Meisterdieb noch lebt. Er stieg die Leiter herab und sah den verkleideten Toten. Jetzt überkam ihn ein schlechtes Gewissen. Er verscharrte die Leiche schnell im Schlossgarten. In der Zwischenzeit verkleidete sich der Meisterdieb als Graf, trat in das Zimmer der Gräfin, nahm das Betttuch und bat sie ihm ihren Ring zu geben. Er behauptete: „Mir tut der arme Wicht leid. Ich möchte ihm den Ring mit ins Grab legen.“ So erhielt er den Ring und das Betttuch.

Am nächsten Morgen trat der Meisterdieb mit Ring und Betttuch in das Schloss und berichtete, wie er den Grafen ausgetrickst hatte. Darüber musste die Tochter des Grafen sehr lachen. Der Meisterdieb begann ihr zu gefallen. Aber noch wartete die dritte Prüfung auf ihn. Der Graf erklärte ihm, dass er den Pfarrer und den Küster aus der Dorfkirche stehlen und in das Taubenhaus im Schlosshof sperren sollte.

Der Meisterdieb verkleidete sich als heiliger Petrus mit Mönchskutte und langem Bart. Als es Nacht wurde, betrat er die Kirche und verkündete mit donnernder Stimme: „Das jüngste Gericht hat angefangen. Wer in das Himmelreich will, muss in meinen Sack kriechen. Nie wieder gibt es eine so günstige Gelegenheit geben ins Paradies zu gelangen.“

Die Turmuhr schlug gerade zwölf Uhr Mitternacht. Draußen auf dem Friedhof vor der Kirche erblickten der Pfarrer und der Küster voller Entsetzen viele kleine Lichter, die sich hin und her bewegten. „Das sind die Seelen, die aus den Gräbern aufstehen und jetzt ins Himmelreich wollen,“ verkündete der Meisterdieb. Er hatte vorher aus dem Meer viele kleine Krebse gesammelt und ihnen Kerzen auf den Rücken geklebt.

Schnell hüpften der Pfarrer und der Küster in den Sack des heilige Petrus. Der schleifte sie ins Taubenhaus. Die Tauben begannen aufgeregt zu flattern. Der Pfarrer und der Küster dachten, dass die Engel mit den Flügeln schlagen würden und freuten sich. Wie entsetzt aber waren sie, als am nächsten Morgen der Graf samt Frau, Tochter und Meisterdieb kamen und laut lachten. Offensichtlich waren sie nicht im Himmel gelandet, sondern auf einen bösen Streich hereingefallen.

Gerne heiratete die schöne Grafentochter den reichen Meisterdieb, der so klug war und so viel Humor hatte. Bevor sie heirateten, stellte der Meisterdieb seine Frau noch seinen Eltern vor. Die Eltern erkannten ihn erst nicht als ihren Sohn. Als reicher Mann sah er so anders aus. Außerdem hatten sie ihn viele Jahre nicht gesehen. Aber als er ihnen sein Muttermal zeigte, da wussten sie, dass er ihr Sohn war. Sie freuten sich auf das Wiedersehen, obwohl sie mit dem Lebenswandel des Sohnes nicht einverstanden waren. Lieber hätten sie einen armen, aber ehrlichen Sohn gehabt. Aber als der Sohn großzügig von seinem Geld seinen Eltern und den Armen im Dorf etwas abgab, da schlossen sie ihn doch wieder in ihr Herz.

Was sagt uns diese Geschichte? Das Ziel ist es zu einem Meister des Lebens zu werden. Wir sollten es lernen, dass äußere Leben zu meistern und gleichzeitig auch unser inneres Glück zu bewahren und zu pflegen. Wir verbinden geschickt die Spiritualität mit dem Leben in der Welt. Wir wachsen dann spirituell, wenn wir die Spiritualität ins das Zentrum unseres Lebens stellen. In der Bibel steht, dass der Mensch sich zwischen Gott und der Welt entscheiden muss. Wir können als strenger Asket leben. Aber das vermag in der heutigen Zeit kaum jemand. Die meisten von uns haben einen Beruf, eine Beziehung und leben vorwiegend in weltlichen Energien. Die große Kunst ist es, trotzdem nicht im Burnout, in der Depression und im inneren Unglück zu landen.

Wir sollten jeden Tag so viele spirituelle Übungen in unser Leben bringen, dass es uns psychisch und körperlich gut geht. Das Märchen vom Meisterdieb ist ein Märchen von der Meisterung des Lebens unter schwierigen Bedingungen. Um in der Welt der Menschen zu überleben, müssen wir manchmal lügen und betrügen. Die indische Meisterin Anandamayi Ma lehrte: „Ihr dürft manchmal auch etwas ungezogen sein, wenn ihr euch grundsätzlich bemüht ein guter Mensch zu sein. Ihr dürft Spaß am Leben haben, wenn ihr die tägliche Verbindung mit der Spiritualität nicht vergesst. Wenn ihr jeden Tag mindestens fünfzehn Minuten der Spiritualität widmet, werde ich euch immer beschützen.“ Daran sollten wir uns halten. So kann das Märchen vom Meisterdieb aus spiritueller Sicht interpretiert werden. Der Meisterdieb ist im Kern ein guter Mensch. In der Originalfassung der Märchens heißt es: „Ich nehme nur vom Überfluss der Reichen. Die Armen sind vor mir sicher. Ich gebe ihnen lieber, als das ich ihnen etwas nehme.“ Er demaskiert nur die religiösen und die gesellschaftlichen Machthaber. Er setzt den Humor als Waffe der Wahrheit ein. Er lässt die Liebe auf der Welt siegen, weil er geschickt die Dummheit der Mächtigen ausnutzt und sich auf die Seite der Armen und Unterdrückten schlägt.

https://mystiker2.wordpress.com/2021/10/12/das-spirituelle-marchenbuch-die-schonsten-marchen-und-ihre-bedeutung/#42

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