Das Märchen vom Schlaraffenland

Es war einmal ein armer alter Mann. Der lebte in einer kleiner Hütte im Wald. Er hatte tausend Wünsche. Er wünschte sich jeden Tag genug zu essen. Er wünschte sich Gesundheit und Heilung von seinen vielen Gebrechen. Er wollte am liebsten wieder jung sein, innere Kraft und einen schönen Körper haben.

Am meisten aber wünschte er sich eine Frau, denn er war sehr einsam. Sein Leben war einsam und langweilig. Müde und traurig flossen die Tage dahin. Da bekam er von einer alten Frau Besuch, die erzählte ihm vom Schlaraffenland. Sie hatte von einem Land gehört, in dem es einen Jungbrunnen gibt. Wer in diesen Brunnen hineinspringt, der wird wieder jugendlich schön. Alle Krankheiten heilen und man ist voller Glück und Kraft. Es gibt dort auch Geldbäume, an denen Münzen und Geldscheine wachsen. Wenn man einen solchen Baum schüttelt, dann fällt so viel Geld herunter, wie man gerade braucht.

In den Bächen fließt klares, sauberes Wasser. Es gibt dort grüne Wiesen mit bunten Blumen, prachtvolle Häuser für jeden, viel Sonne und genug zu Essen für alle. In diesem Land herrschen Frieden, Liebe und Glück. Jeder kann das werden und das tun, was er möchte. Alle Menschen sind gleich und haben die gleichen Rechte. Alle wirken gemeinsam für das Glück aller. Es gibt dort auch viele glückliche Tiere. Vögel sitzen auf den Bäumen und singen liebliche Lieder.

In diesen Land werden alle Wünsche erfüllt. Man braucht sich nur etwas zu wünschen. Und sofort realisiert sich dieser Wunsch. Alle Menschen sind dort deshalb wunschlos glücklich. Sie haben sich alle Wünsche bereits erfüllt und leben deshalb einfach nur im glücklichen Sein. Ihre Haupttätigkeit besteht darin, ihre Mitwesen glücklich zu machen. Diese Tätigkeit bringt sie in die Liebe und verstärkt noch ihr Glück.

Der alte Mann hörte der Frau aufmerksam zu. Er fragte sie nach dem Weg in dieses schöne Land. Aber leider kannte sie den Weg nicht. Deshalb machten sich der Mann und die Frau auf die Suche nach diesem Land des Glücks. Gemeinsam wanderten sie über Berg und Tal, durch übervölkerte Städte und menschenleere Natur. Sie hatten schon fast die Suche aufgegeben, da trafen sie eine alte weise Frau. Sie sah aus wie eine Hexe, war aber eine erleuchtete Meisterin. Sie erschien aus dem Nichts, als die Zeit dafür gekommen war. Und sie kannte den Weg ins Schlaraffenland.

Die weise Frau erklärte: „Es gibt viele Wege ins Glück. Es gibt äußere und innere Wege. Es gibt schwierige schnelle Weg und leichte langsame Wege. Welchen Weg wollt ihr gehen?“ Die beiden entschieden sich für einen mittleren Weg, den sie gemeinsam gehen konnten. Der Weg sollte nicht zu schwierig zu gehen sein und nicht so langsam, dass sie erst in ihrem nächsten Leben das Ziel erreichen würden.

Die weise Frau gab ihnen die Übung der Meditation und der Gedankenarbeit. Sie sollten jeden Tag sechs Stunden meditieren, achtsam auf ihre Gedanken und Gefühle sein, und im Schwerpunkt für das Glück ihrer Mitmenschen leben. Die beiden Alten blieben ein Jahr bei der weisen Frau. Sie lernten alle spirituellen Techniken, die es gab. Sie lernten den Weg des Hatha-Yoga (Körperübungen), des Raja-Yoga (Meditation), des Jnana-Yoga (den Weg der Weisheit und der Selbstfindung), des Bhakti-Yoga (Gottheiten-Yoga, Guru-Yoga), des Mantra-Yoga und des Karma-Yoga (den Weg der Liebe). Sie suchten sich aus allen Religionen die Übungen heraus, die für sie persönlich hilfreich waren. Und vor allem lernten sie es auf ihre eigene Weisheit zu hören und ihrer inneren Stimme zu vertrauen. Auf einer geistigen Ebene versprach die weise Frau immer bei ihnen zu bleiben und sie über ihre innere Stimme ins Licht zu führen.

Dann wanderten beide zurück in das Haus des alten Mannes und begannen dort mit ihrer spirituellen Praxis. Nach einem Jahr erreichten sie den Zustand des inneren Friedens. Nach zwei Jahren erlangten sie das innere Glück. Nach drei Jahren erhielten sie einen jugendlichen Körper und alle Krankheiten verschwanden. Nach vier Jahren erfuhren sie ihre Welt als Paradies. Und nach fünf Jahren hatten sie eine spirituelle Stufe erreicht, auf der sich alle Wünsche spontan erfüllten. Nur hatten sie keine Wünsche mehr. Und so lebten sie wunschlos glücklich in dem Schlaraffenland ihres eigenen Bewusstseins.

Diese Geschichte stammt von den Gebrüdern Grimm. Sie wurde erweitert von Ludwig Bechstein. Die obige Fassung stammt von mir. Was sagt uns diese Geschichte? Es gab zu der Zeit der Gebrüder Grimm einen Konflikt zwischen der christlichen Kirchen und vielen Menschen, die dem Christentum kritisch gegenüber standen. Das wird auch in den Märchen der Gebrüder Grimm deutlich. Sie haben alles gesammelt, was ihnen erzählt wurde. Sie haben christliche und nichtchristliche Märchen gesammelt.

Das Märchen vom Schlaraffenland spiegelt den Konflikt zwischen der christlichen Paradieslehre und den Kritikern des Christentums wieder. Sie glaubten nicht an die Paradiesversprechungen und setzten dem das Lügenmärchen vom Schlaraffenland entgegen. Nach meinem jetzigen Erkenntnisstand gibt es ein Leben nach dem Tod und ein Paradies im Jenseits. Insofern sind die Paradieslehren im Christentum, Islam, Hinduismus und Buddhismus richtig.

Das Paradies ist jedoch vorwiegend ein Bewusstseinszustand. Wenn wir unser inneres Glück entwickeln, dann verändert sich unsere Weltsicht. Wenn wir das Licht in uns haben, dann können wir auch das Licht in der Welt sehen. In der Erleuchtung erhalten wir eine Paradiessicht der Welt. Wir heilen innerlich und dadurch verschwinden auch viele äußere Krankheiten. Wir haben wieder Kraft, Glück und Liebe in uns. Und das strahlen wir auch aus. Insofern ist der spirituelle Weg ein Jungbrunnen.

Um innerlich glücklich zu werden, können wir innere Übungen wie Meditation und Achtsamkeit auf die Gedanken praktizieren. Wir können uns aber auch auf das Positive in der Welt und in unserem Leben konzentrieren. Wenn wir unsere Welt als Paradies visualisieren, dann kann das unser inneres Glück und unsere Erleuchtungsenergie erwecken. Insofern kann die Vorstellung eines Schlaraffenlandes für uns eine durchaus hilfreich sein.

Das Ziel des spirituellen Weges ist es wunschlos glücklich zu sein, im erleuchteten Sein zu leben. Aber manchmal kann es gut sein, dass man seine weltlichen Wünsche ausreichend lebt, damit man sie innerlich loslassen kann. Ich bin durchaus dafür sich eine äußere Welt zu schaffen, in der man sich innerlich wohl fühlt. Man muss es ja nicht so übertreiben, wie es im Märchen vom Schlaraffenland bei Ludwig Bechstein geschildert wird:

„Hört zu, ich will euch von einem guten Lande sagen, dahin würde mancher auswandern, wüßte er, wo selbes läge und eine gute Schiffsgelegenheit. Aber der Weg dahin ist weit für die Jungen und für die Alten. Diese schöne Gegend heißt Schlaraffenland, da sind die Häuser gedeckt mit Eierfladen, und Türen und Wände sind von Lebzelten, und die Balken von Schweinebraten. Alle Brunnen sind voll Malvasier und andre süße Weine, auch Champagner, die rinnen einem nur so in das Maul hinein, wenn er es an die Röhren hält. Wer also gern solche Weine trinkt, der eile sich, daß er in das Schlaraffenland hineinkomme. Und das Geld kann man von den Bäumen schütteln, wie Kastanien.

Wer eine alte Frau hat und mag sie nicht mehr, weil sie ihm nicht mehr jung genug und hübsch ist, der kann sie dort gegen eine junge und schöne vertauschen. Die alten und garstigen (denn ein Sprichwort sagt: wenn man alt wird, wird man garstig) kommen in ein Jungbad; darin baden die alten Weiber etwa drei Tage oder höchstens vier, da werden schmucke Dirnlein daraus von siebzehn oder achtzehn Jahren. Wer sich also auftun und dorthin eine Reise machen will, aber den Weg nicht weiß, der frage einen Blinden; aber auch ein Stummer ist gut dazu, denn der sagt ihm gewiß keinen falschen Weg. Um das ganze Land herum ist aber eine berghohe Mauer von Reisbrei. Wer hinein oder heraus will, muß sich da erst durchfressen.“

https://mystiker2.wordpress.com/2021/10/12/das-spirituelle-marchenbuch-die-schonsten-marchen-und-ihre-bedeutung/#30

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