Das Leben in der Abgeschiedenheit. Prinzessin Maleen

Es waren einmal eine Prinzessin und ein Prinz, die liebten einander sehr. Aber der Vater der Prinzessin wollte sie mit einem anderen Mann verheiraten. Die Prinzessin hieß Maleen. Sie weigerte sich dem Befehl ihres Vaters Folge zu leisten. Der Vater, ein mächtiger König, wurde sehr zornig und ließ seine Tochter für sieben Jahre in einen Turm einmauern. Er hoffte durch die sieben Jahre der extremen Einsamkeit ihren stolzen Willen brechen zu können. Er gab ihr für sieben Jahre zu Essen und zu Trinken mit in den Turm. Dann hüllte das große Schweigen Prinzessin Maleen ein.

Maleen nutzte die viele Zeit, um zu meditieren und sich spirituell zu entwickeln. Sie las in ihren spirituellen Büchern und praktizierte Runen-Yoga, damit ihr Körper gesund blieb. Nach sieben Jahre ging die Nahrung langsam zur Neige. Die Prinzessin hoffte, dass der Turm jetzt geöffnet wurde. Aber nichts geschah. Also suchte sie sich eine Stelle im Turm, wo der Mörtel etwas locker war, kratzte mit einem Messer den Mörtel ab und zog nach und nach einige Mauersteine heraus. Als die Lücke groß genug war, kroch sie aus dem Turm.

Was musste sie sehen? Das ganze Land war verwüstet. Die Menschen waren tot oder vertrieben. Das Königreich ihres Vaters gab es nicht mehr. Feinde hatten es vollständig vernichtet. Nur Maleen hatte überlebt, weil sie in dem Turm eingeschlossen war. So kann ein schlechtes Schicksal manchmal doch in Wirklichkeit ein gutes Schicksal sein.

Prinzessin Maleen wanderte zu dem Königreich, in dem ihr geliebter Prinz lebte. Der Prinz hatte viele Jahre um sie getrauert. Er dachte, dass sie entweder in ihrem Turm verhungert oder von den Feinden getötet worden sei. Jetzt war er bereit für eine neue Beziehung. Er war bereit dem Wunsch seines Vaters zu folgen und die Tochter des Nachbarkönigs zu heiraten. Diese Prinzessin war zwar sehr reich, aber auch sehr hässlich und vor allem sehr bösartig.

Sie kam mit großem Gefolge angereist, um den Prinzen zu heiraten. Allerdings befürchtete sie, dass der Prinz sie wegen ihrer mangelnden Schönheit ablehnen würde. Deshalb trug sie immer einen Schleier vor dem Gesicht. Sie erklärte, dass sie den Schleier erst nach der Hochzeit abnehmen würde. Da sie nicht wollte, dass ihre Hässlichkeit bereits in der Kirche offenbar wurde, suchte sie eine schöne Dienerin, die an ihrer Stelle in der Kirche den Prinzen heiraten sollte. Sie wollte die Dienerin für eine kurze Zeit gegen ihre Person austauschen. Nach der Hochzeit würde sie dann wieder an die Stelle der Dienerin treten.

Maleen hatte inzwischen eine Stelle als Küchengehilfin im Schloss angenommen. Es war ihr bisher nicht gelungen zum Prinzen vorzudringen, um ihn an ihre große Liebe zu erinnern. Da sie sehr schön war, wurde sie für die Rolle der Dienerin ausgewählt. Sie musste die Hochzeitskleider der hässlichen Königstochter anziehen. Die Königstochter sprach zu ihr: „Wenn du den Austausch verräts, töte ich dich.“ Maleen konnte nichts anderes tun, als bereitwillig ihre Rolle in dem Hochzeitsbetrug zu übernehmen.

Als sie mit dem Prinzen in der Hochzeitskutsche saß, da konnte der Prinz sich nicht beherrschen kurz ihren Schleier zu lüften. Er wollte zu gerne sehen, wie seine Braut aussah. Er war sehr positiv überrascht, als er die Schönheit seiner Braut erblickte. Glücklich schenkte er ihr eine goldene Kette, die er ihr eigenhändig um den Hals legte. Er erkannte aber nicht, dass die Braut Maleen war. Dazu hatte er den Schleier zu kurz angehoben.

Als sie auf dem Weg zur Kirche an einem Brennesselbusch vorbei kamen, seufzte Maleen: „Ach du kleiner Brennesselbusch. Du stehst hier ganz alleine. Auf meiner Wanderung war ich so arm, dass ich mich eine Zeitlang von Brennesseln ernähren musste.“ Der Prinz hörte ihre Worte, aber er verstand den Sinn nicht.

In der Kirche wurden beide getraut und danach musste Maleen das Brautkleid wieder ausziehen. Die böse Königstochter wechselte jetzt in die Rolle der Braut und trat mit dem Brautkleid in das Zimmer des Prinzen. Der Prinz erschrak sehr, als sie ihren Schleier abnahm und er sah, wie hässlich sie war. Da musste etwas nicht mit rechten Dingen zugegangen sein. Um sie zu testen, fragte er die böse Königstochter, was sie zu dem Brennesselbusch gesagt hatte. Sie wusste es nicht. Danach fragte er sie, wo die goldene Kette sei, die er ihr um den Hals gelegt hatte. Auch von der Kette wusste sie nichts, weil Maleen sie als ihr Eigentum behalten hatte.

Die böse Königstochter war so wütend, dass sie aus dem Zimmer rannte und befahl, die goldene Kette von Maleen zu holen und sie nach dem Brennesselspruch zu fragen. Als sie beides erhalten hatte, beschloss sie Maleen töten zu lassen, damit der Verrat nicht herauskommen kann. Zum Glück hatte der Prinz den Aufruhr bemerkt und war selbst in die Küche gekommen. Er konnte gerade noch die Ermordung verhindern. Als er die Küchengehilfin jetzt genauer betrachtete, erkannte er, dass es seine große Liebe Maleen war. Die böse Königstochter wurde vom Hof gejagt. Der Vater des Prinzen dankte ab und krönte seinen Sohn zum neuen König. Maleen wurde die neue Königin und lebte glücklich mit ihrem geliebten Mann bis an das Ende ihrer Tage. So kann aus einem schwierigen Anfang doch noch ein gutes Ende werden.

Das Märchen stammt von den Brüdern Grimm und ist dort unter dem Namen „Jungfrau Maleen“ zu finden. „Prinzessin Maleen“ ist der Titel des dazu gehörigen Filmes. Im Christentum gab es die Tradition der Inklusen. Inklusen waren Mönche und Nonnen, die sich zum Zwecke der spirituellen Fortentwicklung für einige Jahre oder lebenslänglich in einer Zelle oder einem Haus einmauern ließen. Durch einen kleinen Spalt in der Wand wurden sie ernährt. Eine ähnliche Tradition gibt es im tibetischen Buddhismus. Indische Yogis praktizieren oft in abgeschiedenen Berghöhlen. Bei Jesus und im Islam gab es die 40 Tage Klausur.

Wenn ein Mensch sich völlig von weltlichen Energien abschirmt und längere Zeit in der Ruhe lebt, dann wendet sich die Lebensenergie nach innen. Sie reinigt den Körper von Verspannungen, aktiviert die Chakren und kann die Kundalini-Energie zum Fließen bringen. Ein solcher Mensch kann zur Erleuchtung kommen und besondere spirituelle Fähigkeiten entwickeln, wenn er das Leben in der Ruhe mit spirituellen Übungen wie Meditation und Gebet verbindet. Inklusen waren deshalb sehr beliebt, weil sie oft andere Menschen heilen und die Zukunft voraussagen konnten. Man spürte bei ihnen die große Nähe zu Gott. Man spürte es, wenn zur Erleuchtung gelangt waren.

Radikale Abgeschiedenheit verbunden mit spirituellen Übungen ist der schnellste Weg zur Erleuchtung. Aber er ist auch der härteste Weg. Bei psychologischen Tests konnten die meisten Menschen eine totale Abgeschiedenheit und Ruhe nur wenige Tage aushalten. Von den tibetischen Inklusen ist bekannt, dass viele Mönche die extreme Abgeschiedenheit nicht lange aushalten und verrückt werden.

Ich selbst habe viele Jahre extrem abgeschieden gelebt. Dabei habe ich meinen Geist genau beobachtet. Wenn ich meinen Geist zu streng diszipliniert habe, dann merkte ich, dass mir das nicht gut tat. Der Geist verhärtete sich und ich kam spirituell nicht voran. Wenn ich meinen Geist zu locker ließ, dann haftete er zu stark an weltlichen Genüssen an und verlor sich in Tagträumen. Als effektiv erwies sich der mittlere Weg. Der Geist musste mit Selbstdisziplin auf dem spirituellen Weg gehalten werden, aber er brauchte auch etwas Freiraum und Entspannung. Das war auch der Weg, den Buddha für sich entdeckt hat.

Das Märchen von Prinzessin Maleen ist die Geschichte einer christlichen Inkluse. Nach sieben Jahren Abgeschiedenheit steht sie vor dem Durchbruch zur Erleuchtung. Jetzt muss sie ihren Turm verlassen und sich innerlich wieder etwas entspannen. Sie muss ihren Prinzen finden. Sie muss das Leben genießen. Sie muss stärker nach dem Lustprinzip leben, damit sich die Erleuchtung von alleine entfalten kann. Die Erleuchtung kann man nicht erzwingen. Man muss vielmehr mit innerem Gespür genau den persönlich passenden spirituellen Weg finden.

Im Yoga gibt es dazu die Geschichte vom doppelten Shiva. Shiva lebt immer abwechselnd in der Meditation und in der Beziehung mit seiner Frau Parvati. Er wechselt zwischen seiner Rolle als abgeschiedener Yogi und tantrischer Liebhaber hin und her. So wächst er optimal auf dem spirituellen Weg. Im tibetischen Buddhismus gibt es die Erzählung von dem Mönch, der zehn Jahre extrem in der Abgeschiedenheit meditierte. Dann merkte er, dass er auf seinem spirituellen Weg nicht mehr voran kam. Er ging zu seinem Meister und bat ihn um Rat. Der Meister riet ihm einfach locker zu bleiben und das Leben zu genießen. Von vielen christlichen Inklusen ist bekannt, dass sie nach einigen Jahren ihre Klause verließen und wieder am Leben der Mitmönche und Nonnen teilnahmen. Die Essenz dieses Märchens ist es genau zu spüren, was einen jeweils spirituell voranbringt. Ein Leben in der großen Ruhe kann spirituell sehr hilfreich sein. Man kann aber auch durch eine Beziehung und durch das Leben in der Welt spirituell wachsen. Am besten verbindet man beides auf die richtige Weise.

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