Das hässliche Entlein. Über das Anderssein.

34. Das hässliche Entlein

Es war einmal eine Entenmutter, die hatte sieben Eier in ihrem Nest. Das eine Ei sah etwas anders aus als die anderen Eier. Und es dauerte auch etwas länger, bis die Eierschale platzte und das Küken schlüpfte. Die anderen sechs Entenküken waren schon eine Weile auf der Welt, knapperten am Gras und betrachteten die Dinge um sich herum. Wie erschraken sie, als sie das neue Küken erblickten. Entsetzt riefen alle im Chor: "Du bist so hässlich. Du bist anders als wir. Wir wollen mit dir nichts zu tun haben."

Die Entenmutter liebte alle ihre Kinder, auch das hässliche. Aber die Geschwister waren grausam und hänselten es, wo sie konnten. Als das hässliche Entlein größer wurde, hielt es diese Quälerei nicht länger aus und beschloss in die weite Welt hinaus zu gehen und dort sein Glück zu versuchen.

Es verließ den heimatlichen Ententeich und kam an einen großen See. Dort schwammen viele Enten, suchten Nahrung im Wasser und erfreuten sich ihres Lebens. Aber auch diese Enten wollten von dem hässlichen Entlein nichts wissen: "Du bist uns zu hässlich. Du passt nicht zu uns."

Traurig versteckte sich das hässliche Entlein im Schilf. Da kamen viele Jäger und jagten die anderen Enten. Viele Enten starben und einige wenige flogen davon. Da das hässliche Entlein noch nicht fliegen konnte, blieb es verängstigt im Schilf sitzen. So entdeckten es die Jäger nicht und es überlebte die große Jagd.

Der Herbst ging vorbei und der Winter kam ins Land. Es wurde sehr kalt und der See fror ein. Wie sollte das hässliche Entlein jetzt noch Nahrung finden? Bei seiner verzweifelten Suche nach etwas Essbarem fror es sogar mit seinen Füßen im Eis fest. Zum Glück kam ein freundlicher Mensch vorbei. Er fand das hässliche Entlein, befreite es vom Eis und nahm es mit nach Haus. Dort bekam es jetzt den Winter über genug zu essen.

Leider hatte der freundliche Mensch sehr ungezogene Kinder. Die benutzten das hässliche Entlein als Spielzeug und quälten es. Deshalb nutzte das hässliche Entlein, als es Frühling wurde, die erste Gelegenheit zur Flucht. Als die Kinder die Haustür nicht richtig verschlossen, entwischte es durch den Türspalt in die Freiheit.

Inzwischen waren die Flügel gewachsen und das hässliche Entlein flog zu seinem See. Und wie es in das Wasser blickte, da erkannte es sich selbst kaum wieder. Es erblickte einen schönen weißen Schwan in seinem Spiegelbild. Aus dem hässlichen Entlein war ein schöner weißer Schwan geworden. Er schwamm zu den anderen Schwänen und wurde freudig in ihre Gemeinschaft aufgenommen.

Der junge Schwan hätte jetzt stolz auf seine Entwicklung sein können. Aber da er so viel Leid in seinem Leben erlebt hatte und wusste, wie sich Verachtung anfühlte, hatte er ein Herz voller Mitgefühl. Liebevoll betrachte er die schwächeren Vögel und half ihnen, wo er konnte. Er sah sie alle als Teil von Gottes Schöpfung, als Teil der Natur, an. Obwohl der junge Schwan jetzt zu den Herrschern im See gehörte, blieb er stets demütig und bescheiden. Und gerade dadurch wurde er von allen geliebt und lebte ein glückliches Leben.

Dieses Märchen stammt von dem dänischen Dichter Christian Anders. Er beschreibt darin nach seiner Aussage sich selbst. Auch er ist durch ein schwieriges Leben gegangen und war außergewöhnlich hässlich. Ein Zeitgenosse beschreibt ihn mit folgenden Worten: "Eine lange, schlottrige, lemurenhafte-eingeknickte Gestalt mit einem ausnehmend hässlichen Gesicht." Und trotzdem wurde aus ihm im Laufe der Zeit der bekannteste Dichter und Schriftsteller Dänemarks.

Spirituell können wir das Märchen als typische Entwicklungsphase einer spirituellen Seele deuten. Am Anfang muss dieser Mensch oft durch viel Leid hindurchgehen. Er empfindet sich als anders als seine Mitmenschen. Er braucht lange um seine Rolle in der Welt zu finden. Letztlich findet er sie nur durch den spirituellen Weg. Dann erkennt er, dass seine Entwicklung genau so verlaufen musste, damit er sich optimal spirituell entwickelt. Und letztlich übersteigt er in der Erleuchtung alle menschlichen Bewertungen und empfindet nur Liebe und Verständnis für seine Mitmenschen.

https://mystiker2.wordpress.com/2021/10/12/das-spirituelle-marchenbuch-die-schonsten-marchen-und-ihre-bedeutung/#34

E-Mail an mich, wenn Personen einen Kommentar hinterlassen –

Sie müssen Mitglied von Yoga Vidya Community - Forum für Yoga, Meditation und Ayurveda sein, um Kommentare hinzuzufügen.

Bei Yoga Vidya Community - Forum für Yoga, Meditation und Ayurveda dabei sein