Brahman ist das Absolute. Acharya – das Verhalten. Brahmacharya – das Verhalten, das zu Brahman führt. In einem weiten Sinn heißt Brahmacharya, dass du Brahmacharya lebst in dem Sinne, dass du dein Verhalten so ausrichtest, dass du Brahman verwirklichst, dass du dein Leben so lebst, dass du die Einheit mit Brahman spürst. Brahmacharya – Verhalten, das zu Brahman führt. Brahmacharya ist eine der fünf Yamas, die Patanjali erwähnt. Yamas sind Ratschläge, Tipps im Umgang mit anderen Menschen. Die fünf Yamas, unter denen Brahmacharya eine ist, sind: Ahimsa – Nicht-Verletzen, Satya – Wahrhaftigkeit, Asteya – Nicht-Stehlen, dann folgt Aparigraha – Unbestechlichkeit und Brahmacharya.

Unter den Yamas von Patanjali heißt Brahmacharya das Vermeiden von sexuellem Fehlverhalten. Das ist mindestens die einfachste Übersetzung. Manche sagen, es sei Keuschheit, aber in Brahmacharya steht erstmal das Wort „Keuschheit“ gar nicht drin. Aber es richtet sich auf etwas Sexuelles, da sind die Kommentare sich einig. Vermeidung von sexuellem Fehlverhalten heißt, dass du im Umgang mit anderen Menschen mit Mitgefühl umgehst. Es gibt in verschiedenen Gesellschaften unterschiedliche Definitionen, was sexuelles Fehlverhalten heißt. In jedem Fall heißt sexuelles Fehlverhalten, anderen Menschen den Willen aufzuzwingen, Sex mit Minderjährigen, Vergewaltigung usw. Ich will da gar nicht weiter darauf eingehen. Es heißt in jedem Fall, auch im Sexuellen ethisch zu sein. Und das kannst du jetzt definieren, wie du es magst, es gibt verschiedene Schriften, die dort verschiedene Hinweise geben. In Schriften steht natürlich auch Unterschiedliches. In früheren Zeiten gab es unterschiedliche Sexualmoral, wie heute und auch heute, in unterschiedlichen Ländern gibt es unterschiedliche Sexualmoral. Es gibt aber heute, gerade in Mitteleuropa, bestimmte Standards, an die man sich auch halten sollte. Und typischerweise, als Yogi sollte man die Standards etwas höher halten.

Brahmacharya hat aber noch weitere Bedeutungen. Brahmacharya ist eine der vier Ashramas. Ashramas heißt hier Lebensstadien. Die erste der Ashramas ist die Lehrperiode beim Lehrer. Brahmacharya in diesem Sinne heißt, dass ein Kind im Alter von acht bis zwölf Jahren zum Lehrer hinzieht, in ein Gurukula, also in eine Art Internat, wo Schüler zusammen mit ihren Lehrern leben und dort bis zum Alter von achtzehn, zwanzig, fünfundzwanzig bleiben. Dort lernen die Kinder und später Jugendliche ihren Beruf, sie lernen Sanskrit, sie lernen spirituelle Praktiken, die lernen die Schriften, sie praktizieren. Diese Zeitperiode beim Lehrer wird als Brahmacharya bezeichnet.

In einem Sinn ist Brahmacharya auch das Noviziat. Auch in unserer Tradition, Yoga Vidya, die die Sivananda-Tradition und damit die Shankaracharya-Tradition ist, gibt es auch eine Mönchstradition oder monastische Tradition, wo es Mönche und Nonnen gibt, die dann eben Swami heißen, wie Swami Sivananda, Swami Vishnudevananda. Und wenn jemand diesen monastischen Weg einschlagen will, zum Mönch, zur Nonne werden will, macht er vorher eine Periode des Noviziats, also des Brahmacharya. Brahmacharya in diesem Sinne heißt, mindestens sechs Jahre so zu leben, dabei das Gelübde der Keuschheit abzugeben, und es heißt, in dieser Zeit keine persönlichen, intimen Beziehungen einzugehen, es heißt, sein Leben ganz auszurichten auf Brahman, alles andere zweit- und dritt- und viertrangig werden zu lassen. Man kann Brahmacharya als formelles Gelübde für drei Jahre mindestens ablegen und nach drei Jahren kann man überlegen, will man weiter so leben, sexuell enthaltsam und ohne Partner-Beziehung, oder will man wieder ablegen und auf eine andere Weise leben.

Wer mindestens sechs Jahre in Brahmacharya gelebt hat und weiter so leben will, kann auf Wunsch auch die Swami-Weihe bekommen, Sannyas nehmen. Das ist also eine weitere Bedeutung von Brahmacharya. Brahmacharya ist dann auch verbunden mit dem Tragen von gelben Gewändern. Schließlich gibt es Brahmacharya tatsächlich auch in dem einfachsten Kontext, Keuschheit, Enthaltsamkeit, konkret, sexuelle Enthaltsamkeit. Und Brahmacharya kann man leben für eine gewisse Periode. Es gibt bestimmte Phasen intensiver spiritueller Praxis, wo Brahmacharya angemessen ist. Es kann hilfreich sein, auch mal für eine Weile sexuell enthaltsam zu leben. Wenn du in einer Partnerschaft bist, sollte das immer in Absprache mit deinem Partner geschehen. Wenn du nicht in einer Partnerschaft lebst, kannst du auch sagen: „Ich werde jetzt einfach bewusst eine Periode von Brahmacharya leben.“ Und dieses bewusste Leben einer Periode von Brahmacharya, im Sinne von Keuschheit, gibt dir viel Bewusstheit, gibt dir viel Energie und viel Klarheit. Und vielleicht kommt dann die nächste Beziehung umso leichter und umso spiritueller. Du siehst, Brahmacharya hat viele Bedeutungen. Die wörtliche Bedeutung ist: Verhalten, das auf Brahman ausgerichtet ist. Verhalten, ausgerichtet, um Brahman zu erfahren.

- Die Vorträge des Sanskrit Lexikons als Video
- Die Vorträge des Sanskrit Lexikons als mp3 Audio, auch zum Downloaden
- Das vollständige Sanskrit Lexikon auf wiki.yoga-vidya.de

E-Mail an mich, wenn Personen einen Kommentar hinterlassen –

Sie müssen Mitglied von Yoga Vidya Community - Forum für Yoga, Meditation und Ayurveda sein, um Kommentare hinzuzufügen.

Bei Yoga Vidya Community - Forum für Yoga, Meditation und Ayurveda dabei sein