Übertragung der Erleuchtung (Dzogchen)

Kangyur Rinpoche war ein tibetischer Dzogchen-Meister. Er gehörte der undogmatischen Nyingma-Linie des tibetischen Buddhismus an. "Dzogchen ist die spirituelle Essenz aller buddhistischen Lehren. Es ist der Weg der Selbstbefreiung, der jeden sein wahres Wesen jenseits der Dualität erkennen läßt. Die wahre Natur des Menschen ist klar, leuchtend und bewußt, ungetrübt von Gedanken und Emotionen“ (Zitat von Namkhai Norbu).

In einfachen Worten ausgedrückt geht es beim Dzogchen um die direkte Übertragung der Erleuchtungsenergie. Das kann völlig undogmatisch durch die Visualisierung eines Buddhas, durch das Lesen eines spirituellen Textes, durch ein Mantra oder eine Meditation geschehen. Normalerweise ist dazu ein erleuchteter Meister wichtig, der einem dazu bereiten Menschen spontan und undogmatisch das Erleuchtungsbewusstsein überträgt. Die Aufgabe des Menschen ist es dann, das Erleuchtungsbewusstsein zu bewahren, zu stabilisieren oder wieder herzustellen, falls es verschwunden ist. Der Mensch probiert dann ganz undogmatisch aus, wie er immer wieder in die Erleuchtung kommen kann. Bis er sie eines Tages dauerhaft bewahren kann.

Kangyur Rinpoche versuchte seiner Mutter die Dzogchen-Lehren nahezubringen. Aber seine Mutter wollte davon nichts wissen. Sie verehrte den Buddha Amitabha und wünschte sich nach ihrem Tod in sein Paradies Sukhavati zu kommen. Sukhavati ist ein wunderschönes Land im Jenseits, wo Bäume mit Edelsteinen wachsen, erfrischende Flüsse fließen und liebliche Vögel singen.

Das Paradies von Amitabha inspirierte die Mutter von Kangyur Rinpoche sehr. Täglich rief sie Buddha Amitabha mit seinem Namen an und verband sich geistig mit ihm. Als sie ihren Tod nahen fühlte, führte Kangyur seine Mutter in eine Höhle in den Bergen, in denen schon viele Yogis meditiert hatten. Dort herrschte eine starke spirituelle Energie.

Die alte Mutter setzte sich in den Meditationssitz, legte die Hände in den Schoß und begann zu meditieren. Nach einiger Zeit erschien ihr der Buddha Amitabha als leuchtende Lichtgestalt. Sie meditierte weiter und von Tag zu Tag wurde die Lichtgestalt klarer. Die alte Frau war sehr glücklich darüber, dass Buddha Amitabha auch einer einfachen Frau wie ihr erschienen war. Sie weinte vor Freude. Und im nächsten Moment ging der Buddha Amitabha in sie ein. Seine Energie floss in sie hinein und sie wurde eins mit dem goldenen Buddha.

Kagyur Rinpoche blieb eine ganze Woche bei seiner Mutter in der Höhle, bis sie in der Einheit mit Buddha Amitabha und einem glückseligen Lächeln starb. Sie ging im Zustand des glückseligen erleuchteten Bewusstseins in das Paradies von Amitabha ein. Durch das Amitabha-Mantra hatte sie ihre Kundalini-Energie aktiviert. Und diese Energie trug sie glücklich durch den Tod.

Ich habe das bei meiner Mutter auch erlebt. Ich habe zu meiner Ukulele bei ihrem Tod das Mantra Amitabha gesungen. Und das reichte aus, um meine Mutter in einen glückseligen Zustand zu bringen. Das war deutlich an ihren Mundwinkeln erkennbar. Obwohl sie mit offenem Mund im Koma lag, verzogen sich ihre Mundwinkel zu einem glücklichen Lächeln. Das war eine der beeindruckendsten Erfahrungen in meinem Leben. Die frohe Botschaft besteht darin, dass wir auch für andere beten und singen können. Auch so werden sie in ihrem Leben und bei ihrem Tod gesegnet sein.

Und auch wir können Dzogchen praktizieren. Auch mir wurde von meinen Meistern die Erleuchtungsenergie übertragen. Das geschah oft und auf vielfältige Weise. Aber ich bin ein schwieriger Fall und spirituell wenig entwickelt. So falle ich immer wieder zurück und muss mich beständig neu berappeln. Aber immerhin kenne ich das Ziel und kann so zielstrebig üben. Meine Erkenntnis ist, dass sich mit der Erleuchtung gleichzeitig die erleuchtete Sicht der Welt (die Paradiessicht) entwickelt. Wenn wir zu Buddha Amitabha werden, gelangen wir dadurch gleichzeitig in sein Paradies. Amitabha und die Paradiessicht sind untrennbar. Wir können uns als Buddha visualisieren oder auf unsere Welt als Paradies konzentrieren (positiv denken). Beides erweckt das Glück in uns.

(Nacherzählt aus dem Buch Tibetische Weisheitsgeschichten von Surya Das)

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