Das Wesen des Selbst

Ich lese etwas aus dem Viveka Chudamani von Shankaracharya.

Shankaracharya schreibt im 15. Vers des Viveka Chudamani:
„Wer das Wesen des Selbst zu erkennen wünscht, muss deshalb nachdenken, forschen und abwägen, nachdem er einen von Barmherzigkeit erfüllten Meister aufgesucht hat, den Höchsten unter den Kennern der absoluten Wirklichkeit.“


Hier schreibt Shankaracharya, „wer das Wesen des Selbst zu erkennen wünscht“. Die uralte Frage der Menschheit: Wer bin ich? Damit zusammen hängt: Woher komme ich? Wohin gehe ich? Wozu bin ich überhaupt da? Was ist das Ziel des Ganzen? Fragen, die jeden Menschen immer wieder berühren. Fragen, die letztlich die Essenz von Yoga darstellen. Wir können darüber nachdenken und Shankaracharya sagt, wir sollen nachdenken, forschen und abwägen. Natürlich, das Nachdenken, Forschen und Abwägen ist nur ein erster Schritt. Nach dem Nachdenken, Forschen, Abwägen kommt es danach, dass wir darüber meditieren, schließlich zur Verwirklichung kommen. Der Yogaweg ist ja ein anderer als der Weg der Philosophie, wo man nur nachdenkt und diskutiert und abwägt. Der Weg des Yoga, insbesondere des Jnana, hier spreche ich besonders vom Jnana Yoga, der Yoga des Wissens, ist zunächst, dass wir tatsächlich auch nachdenken. Und er sagt hier, wir sollen auch nachdenken, nicht einfach so, sondern wir sollten nachdenken über die Worte, die wir hören von einem, der es selbst erfahren hat.

So ähnlich, angenommen, man will etwas mehr hören über Kerala, das ist eine Stadt in Südindien, da ist es durchaus gut, jemanden zu fragen, der schon mal da war. Jetzt sich mit jemanden nur zu unterhalten, der Schweden besucht hat und jemand anderes, der vielleicht noch Irland besucht hat, da unterhält man sich gemeinsam, wie Kerala sein könnte, das macht nicht allzu viel Sinn. So ähnlich, wenn wir darüber nachdenken, „was ist das Wesen des Selbst und wer bin ich“ und dann unterhalten wir uns mit anderen Menschen, die es auch nicht wissen, dann ist so ähnlich, wie wenn man sich über Kerala austauscht, ohne dass jemand da war. Immerhin, wenn wir wenigstens jemanden haben, der schon mal einen Reisebericht gelesen hat, ist das schon mal gut oder jemand, der jemanden kennt, ist auch schon mal gut. Aber natürlich, am meisten können wir herausfinden, wenn wir das von jemandem hören, der schon mal da war. Nur jetzt im Unterschied dazu, ist es jetzt nicht so einfach zum Selbst zu reisen, indem wir irgendwo ins Reisebüro gehen und dann einen Flug buchen. Vielleicht im Internet googlen: schnelle Reise zum Selbst, niedrigst Preis, Preisvergleich.de, Reise zum Selbst, wie geht es am schnellsten und besten. Nach Kerala würde das funktionieren, zum Selbst geht das nicht ganz so.

Also, wir sollten erstmal von jemandem hören oder von jemandem lesen, der da war, und danach geht die Reise weiter und sie geht durchaus weiter, indem man nachdenkt, forscht und abwägt. Und hier beschreibt Shankaracharya auch noch zwei Charakteristika eines Meisters. Erstens, Liebe. Er sagt, von Barmherzigkeit erfüllt - da steht im Sanskrit ein Ausdruck, den man auch genauso gut mit Liebe übersetzen könnte - und Kenner der absoluten Wirklichkeit, er hat es erfahren. Also, wenn man zu jemandem geht, wird man schauen können, was sind seine Motive: Will er anderen Menschen helfen und dienen? Das ist Barmherzigkeit. Und hat er diese Wirklichkeit auch schon erfahren? Danach gilt es, darüber zu forschen und danach gilt es, darüber zu meditieren und da gibt es ja sowohl im Vedanta Meditationstechniken, wie wir ja gestern Abend eine geübt haben oder auch am Freitagabend oder die Teilnehmer an der 9-tägigen Weiterbildung gestern Nachmittag.

Wir können nachdenken: „Wer bin ich?“ Wir können nachdenken über solche vedantischen Formeln wie: Satchidananda Swarupoham. Meine wahre Natur ist Sein, Wissen und Glückseligkeit. Oder auch, Patanjali sagt, wir erfahren dann unser Selbst, wenn die Gedanken im Geist aufgehört haben. So kann man es sich bewusst vornehmen, mal zwischendurch keine konkreten Gedanken zu haben und stattdessen unsere Bewusstheit in alle Richtungen ausdehnen und die Bewusstheit zu erhöhen. Auf diese Weise kommen wir dann zur Erfahrung: „Wer bin ich?“ Und da gibt es erst noch kleine Verwirklichungen, kleine Blitze, kann man sagen, oder kleine Erkenntnisse, und dann irgendwann kommt die große Erkenntnis, wo wir wirklich wissen: „Aham Brahmasmi. Ich bin dieses unendliche Brahman. Satchidananda Swarupoham. Meine wahre Natur ist Sein, Wissen und Glückseligkeit.“

Hari Om Tat Sat


Transkription eines Kurzvortrages von Sukadev Bretz im Anschluss an die Meditation im Satsang im Haus Yoga Vidya Bad Meinberg. Mehr Yoga Vorträge als mp3
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