Erörterung der scheinobjektiven Selbstverkennung des "Ich"
(adhyâsa-vicârah )

Objekt (vishaya) und Subjekt (vishayin),
wie sie als ihren Bereich die Vorstellung des "Du" [Nicht-Ich] und des "Ich" haben, sind so entgegengesetzter Natur wie Finsternis und Licht.
Steht es nun fest, daß das Sein des einen in dem andern nicht zutrifft,
so folgt um so mehr, daß auch die Qualitäten (dharma) des einen bei dem andern nicht statthaben.
Hieraus ergiebt sich, daß die Übertragung (adhyâsa) des als seinen Bereich die Vorstellung des "Du" habenden Objektes und seiner Qualitäten auf das als seinen Bereich die Vorstellung des "Ich" habende, rein geistige Subjekt, und umgekehrt, daß die Übertragung des Subjektes und seiner Qualitäten auf das Objekt folgerichtigerweise falsch ist.  – Und doch ist den Menschen dieses,
auf falscher Erkenntnis beruhende Wahres und Unwahres [d.h. Subjektives und Objektives] paarende Verfahren angeboren naisargika), daß sie die Wesenheit und die Qualitäten des einen auf das andere übertragen, Objekt und Subjekt, obgleich sie absolut verschieden (atyanta-vivikta) sind, nicht von einander unterscheiden
und so z. B. sagen "das bin ich", "das ist mein". 'Aber was ist unter dieser "Übertragung" zu verstehen?' – Wir antworten:
sie ist das auf Erinnerung beruhende Erscheinen eines früher Gesehenen an einem anderen. – manche hingegen definieren sie als die Übertragung der Qualitäten, die der einen Sache zukommen, auf eine andere; – einige wiederum als einen Irrtum, der dadurch bedingt sei,daß man den Unterschied der Sache nicht auffasse, auf welche die Übertragung geschehe; – wieder andere erklären sie
als die Annahme von Qualitäten an dem Gegenstande der Übertragung, welche seinem Wesen entgegengesetzt seien. –
Wie dem auch sei, darin ist Ubereinstimmung, daß sie das Erscheinen der Qualität der einen Sache an einer anderen ist. Und so zeigt sie sich auch in der Wahrnehmung des gemeinen Lebens, wenn z.B. die Perlmutter als Silber, oder der Mond, wiewohl er einer ist, als zwei erscheint. Aber wie ist es möglich, auf das innere Selbst, da es doch nicht Objekt ist, die Qualitäten von Objekten zu übertragen?
Denn ein jeder überträgt doch nur auf ein vor ihm stehendes Objekt
ein anderes Objekt; und du selbst sagtest [oben], daß das der Vorstellung des "Du" entbehrende innere Selbst kein Objekt sei. Wir antworten: dasselbe ist doch nicht in jedem Sinne Nicht-Objekt;
denn es ist das Objekt der Vorstellung des Ich; und nur darum nimmt man ja auch allgemein ein inneres Selbst an, weil es der Wahrnehmung nicht unzugänglich ist. Auch besteht eben keine Notwendigkeit, daß man nur auf ein vor uns stehendes Objekt ein anderes Objekt übertragen könne; indem z. B. auf den Weltraum (âkâsha), wiewohl er nicht wahrnehmbar ist, Unerfahrene die dunkle Farbe des Grundes und dergleichen übertragen. Ebenso ist es nicht ausgeschlossen, daß man auch auf das innere Selbst überträgt, was nicht das Selbst ist. Diese so beschaffene Übertragung erklären die Philosophen für ein Nichtwissen (avidyâ) und bezeichnen im Gegensatze dazu die genaue Bestimmung der Natur eines Dinges als das Wissen (vidyâ). Ist dem aber so, dann folgt, daß der Gegenstand, auf welchen eine [derartige, falsche] Ubertragung stattfindet,
durch eine in ihr begründete Fehlerhaftigkeit oder Beschaffenheit nicht im mindesten betroffen wird. Diese, "Nichtwissen" genannte, das Selbst und das Nicht-Selbst miteinander verwechselnde Übertragung
bildet nun die Voraussetzung, unter welcher alle Beschäftigung mit Beweisen oder zu Beweisendem, und zwar auf weltlichem wie auf vedischem Gebiete, stattfindet; und ebenso beruhen auf ihr alle Lehrbücher, mögen sie nun Gebote und Verbote oder auch die Erlösung betreffen. –'Aber wie ist es möglich, daß die Erkenntnismittel, wie Wahrnehmung u.s.w., und auch die Lehrbücher sich auf den Bereich des im Nichtwissen Beruhenden beziehen?' Antwort:
weil man ohne den Wahn, daß in Leib, Sinnesorganen u.s.w. das "Ich" und das "Mein" bestehe, kein Erkennender sein kann,
und folglich eine Bethätigung der Erkenntnismittel nicht möglich ist.
Denn ohne die Sinnesorgane zur Hülfe zu nehmen, findet eineThätigkeit des Wahrnehmens u.s.w. nicht statt die Verrichtung der Sinnesorgane aber wiederum ist nicht möglich ohne einen Standort [den Leib]; keinerlei Aktion des Leibes aber ist möglich,
ohne daß man auf ihn das Sein des Selbstes (der Seele, âtman) übertrüge; und ohne daß dieses alles stattfindet, d.h. bei der [von der Leiblichkeit] unabhängigen Seele ist eine Erkenntnisthätigkeit gar nicht möglich.Ohne Erkenntnisthätigkeit aber geht das Erkennen nicht vor sich.Folglich beziehen sich die Erkenntnismittel, Wahrnehmung u.s.w. sowie die [erwähnten] Lehrbücher auf den Bereich des im Nichtwissen Beruhenden. Ferner auch deswegen [gehört die weltliche und die vedische Erkenntnis in den Bereich des Nichtwissens], weil [dabei] ein Unterschied von den Tieren nicht stattfindet. Denn sowie die Tiere, wenn z.B. ein Ton ihr Ohr berührt, falls die Erkenntnis durch diesen Ton u.s.w. für sie von unangenehmer Art ist, sich davon wegwenden, und, falls sie angenehm ist, sich hinzuwenden, – wie sie z.B., wenn sie einen Menschen mit einem aufgehobenen Stocke in der Hand vor sich sehen, in der Meinung: "der will mich schlagen", zu fliehen suchen, und wenn sie ihn mit einer Hand voll frischen Grases sehen, sich zu ihm hinwenden: – ebenso pflegen auch die Menschen, wiewohl ihre Erkenntnis entwickelter ist (vyutpanna-cittâh), wenn sie Starke von grausigem Ansehen schreiend und mit gezückten Schwertern in den Händen wahrnehmen, sich von ihnen abzuwenden
und zu den Entgegengesetzten sich hinzuwenden. –
Sonach ist, in Bezug auf Mittel und Gegenstände des Erkennens,
das Verfahren bei Menschen und Tieren das gleiche. Allerdings geht bei den Tieren die auf das Wahrnehmen u.s.w. folgende Thätigkeit ohne vorheriges Urteilen (viveka) vor sich;

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Kommentare

  • Diesen Idealismus, den wir in den Upanishaden erst aufdämmern sehen, sucht der Vedanta mit der vedischen Schöpfungslehre dadurch in Einklang zu bringen, dass er behauptet, jene Schöpfung bedeute nur die Identität (Ananyatvam, Tadatmyam) der Welt mit Brahman; die Welt sei die Wirkung, Brahman die Ursache, Wirkung und Ursache aber seien identisch, ein Satz, zu dessen Beweis als Hauptargument das Beharren der Substanz beim Wechsel der Zustände dient. >>>> E N D E<<<<

  • Die ganze Welt ist nur ein Blendwerk (Maya), welches Brahman als Zauberer (Mayavin) aus sich heraussetzt (Prasurayati), und von dem er, wie dieser von dem durch ihn geschaffenen Zauber, nicht berührt wird; oder, mit anderer Wendung des Bildes, Brahman wird durch das Nichtwissen, so wie der Zauberer durch das Blendwerk, als nicht einheitlich erscheinen gemacht (Chibavyate); er ist die Ursache des Bestehens (Sthiti-Karanam) der Welt, wie der Zauberer des aus ihm herausgesetzten Zaubers, und Ursache der Zurückziehung der Welt in sein eigenes Selbst (Sva-Atmani Eva Upasamhara-Karanam), ähnlich wie die Erde die Wesen in sich zurückzieht; das Vielheitstreiben (Bheda-Vyavahara) während des Bestehens der Welt und die Vielheitskraft (Bheda-Shakti) vor und nach ihrem Bestehen beruhen beide auf dem Nichtwissen oder der falschen Erkenntnis. An diesem Begriffe der Avidya, des Mithyajnanam, prallt nun jede weitere Untersuchung ab; woher dieses Nichtwissen, welches uns allen angeboren wird, entspringt, erfahren wir nicht; am tiefsten führt noch das mehrfach gebrauchte Bild von dem Augenkranken, der zwei Monde sieht, wo in Wahrheit nur einer ist. Übrigens ist das Nichtsein der Welt nur ein relatives: die Vielheit der Erscheinungen, die Namen und Gestalten, die Maya sind Tattva-Anyatvabhyam Anirvacaniya, d. h. „man kann nicht sagen, dass sie Brahman (Tat) sind, und auch nicht, dass sie von ihm verschieden sind". Sie sind, wie die Gestalten des Traumes, wahr (Satya), solange der Traum dauert, und sind es nicht mehr, nachdem das Erwachen (Prabodha) eingetreten ist.

  • Wie alle Tongefäße in Wahrheit nur Ton sind, wie die Umwandlung des Tones zu den Gefäßen „nur auf Worten beruhend, ein bloßer Name" ist (Vacarambhanam, Vikaro, Namadheyam, Chand. 6,1,4), so ist auch diese ganze Welt in Wahrheit nur Brahman und hat über Brahman hinaus (Brahma-Vyatirekena) kein Sein; ein von Brahman Verschiedenes gibt es nicht (Na Iha Nana Asti Kinchana, Brih. 4,4,19). Aber unser System geht hier weiter als der Veda. Die ganze Ausbreitung der Namen und Gestalten (Namarupa Prapanca), die gesamte Vielheit der Erscheinungen (Rupa-Bheda) ist, wenn wir sie vom Standpunkte der höchsten Realität (Paramartha-Avastha) aus betrachten, erzeugt, aufgestellt, [der Seele] aufgebürdet durch das Nichtwissen (Avidya-Kalpita, Avidya-Pratyupasthapita, Avidya-Adhya-Ropita), klafft heraus aus der falschen Erkenntnis (Mithyajnana-Vijrimbhita), ist ein bloßer Wahn (Abhimana), welcher durch die richtige Erkenntnis, das Samyagdarshanam, widerlegt wird, — ganz ebenso wie der Wahn, dass eine Schlange sei, wo nur ein Strick, ein Mensch, wo nur ein Baumstamm, eine Wasserfläche, wo nur eine Wüstenspiegelung ist, durch die nähere Betrachtung widerlegt wird und verschwindet.

  • (Was dabei aus den Organen der Pflanzenseelen wird, bleibt unerörtert; man darf annehmen, dass sie zusammengeballt bleiben.) Der Leib ist Namarupakrita-Karya-Karana-Sanghata, „der aus Namen und Gestalten [d. h. aus den Elementen] gebildete Komplex von Werkzeugen des Wirkens" (S. 473,17. 455,4. 686,5), die Seele der Herr (Svamin) dieses Komplexes. Das Wachstum des Leibes geschieht aus den Elementen, wobei an denselben Gröbstes, Mittleres und Feinstes unterschieden werden, und dementsprechend aus der Erde: Faeces, Fleisch, Manas, aus dem Wasser: Urin, Blut, Prana, aus dem Feuer: Knochen, Mark, Rede entstehen; —da anderseits nach dem Systeme die Seele ihre psychischen Organe, und unter ihnen Manas, Prana und Rede schon mit sich führt, so muss man hier entweder einen Widerspruch konstatieren, oder annehmen, dass die wachsenden Manas, Prana, Rede zu den gleichnamigen, von Haus aus eigenen Organen sich so verhalten, wie der grobe Leib zu dem feinen. Die Aufnahme dieser Stoffe aus der Nahrung wird dadurch möglich, dass (nach § 21.) jeder Körper der Natur sämtliche Urelemente enthält.

  • Nachdem Brahman die Elemente geschaffen hat, geht er, nach den Upanishaden, mittels der individuellen Seele in dieselben ein; d. h. nach unserm Systeme: die wandernden Seelen, welche auch nach dem Weltuntergange in Brahman potentiell (Shakti-Atmana) fortbestanden, erwachen aus diesem zum Blendwerke [der empirischen Realität] mitgehörigen großen Tiefschlafe (Mayamayi Mahasushuptih, S. 342,9) und erhalten, entsprechend ihren Werken im vorhergehenden Dasein, einen göttlichen, menschlichen, tierischen oder pflanzlichen Leib. Dies geschieht dadurch, dass der Same der Elemente, den sie, in Form des feinen Leibes, bei der Seelenwanderung mit sich führen, durch Ansetzung gleichartiger Partikeln aus den benachbarten groben Elementen (S. 279) zum groben Leibe erwächst, indem sich gleichzeitig die psychischen Organe (Mukhya Prana, Manas, Indriyas), die während der Wanderung zusammengeballt (Sampindita) waren, entfalten.

  • In umgekehrter Ordnung wird beim Weltuntergang zunächst die Erde zu Wasser, dann das Wasser zu Feuer, das Feuer zu Wind, der Wind zu Äther, der Äther zu Brahman. — Der Äther wird wahrgenommen durch das Gehör, der Wind durch Gehör und Gefühl, das Feuer durch Gehör, Gefühl, Gesicht, das Wasser durch Gehör, Gefühl, Gesieht, Geschmack, die Erde durch Gehör, Gefühl, Gesicht, Geschmack und Geruch. Übrigens sind die Elemente in der Natur nicht die reinen Urelemente, sondern Mischungen aus allen unter Überwiegen des einen oder andern derselben. (Eine systematische Durchführung dieser Mischungstheorie findet sich noch nicht in Shankaras Kommentar zu den Brahmasutras, sondern erst im Vedantasara.]

  • Bei der Schöpfung, Srishti, die diesem Worte nach als eine „Ausgießung", also als Emanation, zu denken ist, geht zuerst aus dem Brahman hervor der Akasha, der Äther, oder richtiger der alldurchdringende (Vibhu), jedoch als eine überaus feine Materie aufgefasste Raum, aus dem Akasha der Wind (Vayu), aus diesem das Feuer (Agni, Tejas), aus diesem das Wasser (Apas), aus diesem die Erde (Prithivi, Annam), wobei nicht durch die Elemente selbst, sondern durch Brahman in der Gestalt der Elemente das jedesmal folgende Element hervorgebracht wird.

  • Der Vermittler zwischen dem Werke und seiner Frucht (welche Tun und Leiden des folgenden Daseins begreift) ist nicht ein Adrishtam (eine unsichtbare, über das Dasein hinausreichende Kraft der Werke), oder wenigstens nicht dieses allein, sondern vielmehr der Ishvara, eine nur für den empirischen Standpunkt gültige (s. 15.) Personifikation des Brahman, welcher, genau entsprechend den Werken des vorigen Daseins, Tun und Leiden in der neuen Geburt über die Seele verhängt. Auf derselben Notwendigkeit wie das Wiedergeborenwerden beruht nun weiter auch die jedesmalige Neuschöpfung der Welt nach ihrer Absorption in das Brahman. Denn die Seelen bestehen, wenn auch in das Brahman absorbiert, doch samenartig mitsamt ihren Werken fort, und die letzten erfordern zu ihrer Sühnung die abermalige Weltschöpfung, d. h. die Ausbreitung der Elemente aus Brahman, deren Hergang wir jetzt näher betrachten wollen.

  • Die Ausbreitung der Sinnenwelt (Namarupa-Prapanca) ist ihrem Wesen nach nichts weiter als die der Seele aufgebürdete (Adhyaropita, S. 1056,1. 1132,10) Frucht ihrer Werke; die Welt ist, wie die häufige Formel lautet, Kriya-Karaka-Phalam (S. 273,12. 291,6. 447,3. 987,6), „Vergeltung der Tat am Täter"; sie ist Bhogyam (das zu Genießende), während die Seele in ihr Bhoktar (Genießer) und anderseits Kartar (Täter) ist; beides mit Notwendigkeit und genau entsprechend ihrem Kartritvam (Tätersein) in dem vorhergehenden Dasein.

  • Weiter aber wird die wandernde Seele begleitet von den Werken (rituellen und moralischen), die sie während des Lebens begangen hat, und diese eben sind es, welche den Samsara zu keinem Stillstande kommen lassen. Denn jedes Werk, das gute wie das böse, erfordert seine Vergeltung und als diese Lohn und Strafe nicht nur im Jenseits, sondern außerdem noch in Gestalt eines folgenden Daseins. Ohne Werke ist kein menschliches Leben denkbar; folglich auch kein solches, auf welches nicht ein anderes als seine Sühne folgte. wenn die Seele in diesen auch keine Werke verrichtet, so schützt sie dies doch nicht vor einem abermaligen Geborenwerden, indem Werke von hervorragender Güte oder Bosheit zu ihrer Sühne mehrere Lebensläufe nacheinander erfordern. Hierauf beruht es, dass der Samsara durch alle Sphären der Existenz von den Göttern bis herab zur Pflanze ohne Anfang und (falls nicht der Samen der Werke durch das Wissen verbrannt wird) ohne Ende ist

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