Sat Chid Anandas Beiträge (6)

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Moksha - Befreiung aber wovon?

Das große Ziel im Yoga ist das Erreichen eines Zustandes der Befreiung. Alle Handlungen im Yoga zielen darauf ab, Moksha – Befreiung zu erlangen. Aber wovon wollen sich Yogini und Yogi eigentlich befreien?

Es gibt vieles, das wir lieber nicht in unserem Leben hätten. Ballast, den wir nur zu gern hinter uns lassen würden. Abhängigkeiten, Abneigungen, Ängste, Sorgen – wie schön könnte alles sein, wenn wir nur noch Positives um uns hätten. Und so trennen wir uns bereitwillig und eifrig von Dingen, Situationen und Menschen, die anscheinend nicht in dieses perfekte Bild passen, die seine Harmonie zu stören scheinen. Wir ändern unsere Ernährung, passen unser Kaufverhalten an, versuchen, nicht zu werten und zu bewerten. Und doch stellt sich kein dauerhafter Frieden in uns ein. Immernoch steigen von Zeit zu Zeit zehrende Gedanken und Gefühle in uns auf, Selbstzweifel, Sehnsüchte, Verlangen oder eine tiefe Abneigungen, die uns aufwühlen und uns aus der Harmonie werfen. Und fast schon panisch streben wir danach, uns auch von denen möglichst schnell zu trennen, zu befreien, nach dem Motto: "Ich sehe Dich nicht, dann siehst Du mich auch nicht!"

Ist das die Befreiung, die gemeint ist, wenn von Moksha die Rede ist? Befreiung durch Trennung, Abschneiden, Ignorieren und Fernhalten? Yoga bietet eine Vielzahl von Praktiken an, welche die erlebte Brisanz von „weltlichen Problemen“ extrem abmindern können. Aber so ganz verschwinden unangenehme Zustände niemals. Es scheint keine Befreiung davon zu geben. Bedeutet Moksha vielleicht die Befreiung vom Nichtverstehen oder Missverstehen? Ist es nicht allein Verständnis, welches uns zu einem stets ruhigen Gemüt, einem ruhigen Geist, einem friedvollen Inneren als Erfolgsmessgröße verhelfen kann, egal ob es in uns grad’ regnet oder ob die Sonne scheint?

Wir können innerlich und in unseren Handlungen ruhig und gelassen bleiben, selbst wenn sich Körper und Geist zeitweilig in einer destruktiven, verneinenden, trägen und antriebslosen Schwingung befinden oder unser Herz stark aufgewühlt ist. Wenn wir verstehen, dass Körper, Geist und Herz als Teile dieser Welt auch den Gesetzen und Kräften dieser Welt unterworfen sind, dass sie sich verändern und das beständig, sind wir schon halb befreit. Vielleicht sollten wir darauf achten, an welcher Front wir kämpfen. Solang wir in dieser Welt leben ist es uns genauso wenig möglich, diese Veränderungen unseres Geistes  und unserer Gefühle zu vermeiden, wie es uns unmöglich ist, uns dem Einfluss der Erdanziehungskraft zu entziehen. Die beeinflussenden Energien und Kräfte, im Yoga Gunas genannt, wirken in der äußeren Welt wie in unserem Inneren, und dieses Wirken entzieht sich  meist unserer Kontrolle.

Tamas ist die Untätigkeit, Verneinung, Trägheit, der Schlaf. Tamas aborbiert das Licht, hüllt uns in Dunkelheit. Rajas ist die Projektionskraft, Unruhe, Unbeständigkeit und Unzufriedenheit, aber auch Schöpferkraft und Aktivität. Sattva ist Verständnis, Ausgeglichenheit, Frieden und Harmonie aber auch Eitelkeit. Je nach „Mischungsverhältnis“ dieser drei Energien, agieren wir in gleichen Situationen völlig unterschiedlich.

Was wir kontrollieren können, ist unser Umgang mit dem beständigen Wandel unseres Geistes. Wir können uns nicht vom Wirken der Gunas befreien, aber wir können das Seil zwischen ihnen und unseren Handlungen durchtrennen, den Automatismus, durch Einsatz bewusster Unterscheidungskraft und Selbstkenntnis. Abwechselnd empfinden wir uns mit uns selbst und der Welt im Reinen, wir Streben nach Veränderung, mit der Motivation, in den Zustand der Harmonie zu gelangen oder wir haben die Tendenz, abzulehnen was wir wahrnehmen, zu verneinen und uns selbst und der Welt zerstörerisch zu begegnen. Unser Geist und unsere Gedanken folgen in ihrer Ausrichtung abwechselnd diesen drei Kräften, Tamas, Rajas und Sattva und können uns zu Handlungen oder Worten verleiten, die wir später bereuen. Sie treiben uns entweder voran, lassen uns liebevoll verweilen oder machen uns blind für das Schöne im Leben.

Selbstkenntnis bedeutet, zu wissen, wir sind weder der sattvige, der rajasige noch der tamasige Zustand unseres Gemüts. Wir sind deren Zeuge. Es gibt eine gleich bleibende Instanz in uns, welche den Wandel zwischen diesen Kräften, die sich auf unser Gemüt übertragen, bezeugt jedoch selbst von deren Kommen und Gehen unberührt bleibt.

Ist es nicht wahre Befreiung, wenn sich der unterscheidende, wache Geist von keinem der bezeugten Zustände der Psyche und des Körpers in die Höhe oder Tiefe reißen lässt? Wenn die Rufe der Gunas in Form unserer Gedanken nur minimale Wellen auf dem Ozean unserer Gemütsruhe verursachten? Woher aber eine solche Beständigkeit der inneren Ruhe nehmen? Aus dem Verständnis, dass Beständigkeit die feste Größe hinter allem Wandel ist, den wir im Innern und im Äußeren wahrnehmen. Es ist die beständige, liebevolle, aufmerksame, intelligente, zeitlose, vollkommen, ewig Ursache von allem, unsere ureigene Identität, pures Bewusstsein, dass sich im Kleinen in dem wahrnehmenden menschlichen Bewusstsein spiegelt.

Befreiung heißt für mich, zu verstehen, dass jede Regung, die wir in uns wahrnehmen, seine Ursache im harmonischen Wirken der Kräfte in der Welt und damit seine Richtigkeit hat. Es liegt nichts Gutes oder Schlechtes darin, dieser Anstrich geschieht ausschließlich durch unsere Interpretation. Der Schlüssel zur Auflösung unangenehmer Erfahrungen liegt nicht in deren Verneinung sondern in der Akzeptanz und Annahme. Das ist Befreiung von der Bewertung der eigenen und anderer Personen. Das ist die Befreiung von dem Etikett der Unzulänglichkeit und des Fehlers. Das führt zur Befreiung vom Gefühl der Getrenntheit. Die Unterscheidungskraft unseres einzigartigen menschlichen Intellektes kann unsere Herzen öffnen und unserem Denken und Handeln friedvolle Beständigkeit und einen liebevollen Umgang mit uns selbst, der Welt und allen Wesen in ihr, schenken.

Das ist Jnana-Yoga, wie ich ihn verstehe.

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Schritte zum Glück

Demut und Dankbarkeit für die schönen Momente in der Welt zuzulassen, ist ein erster Schritt zum Glück. Ein kurzes Innehalten und Empfinden und Genießen mit allen Sinnen, tief Einatmen, Ausatmen, Gänsehaut.

Demut und Dankbarkeit für die Schönheit in uns selbst kann der zweite Schritt sein.

Dankbarkeit, Annahme und Liebe für die Unvollkommenheit unserer Person ist der Schlüssel, der eine Tür öffnet, die Liebe, Verständnis, Glück und Frieden für immer in unser Leben lässt. Frühere "Widerlinge" wühlen uns plötzlich nicht mehr auf sondern lassen uns innerlich lächeln. Was wir in uns selbst akzeptieren können, stört uns auch bei anderen nicht mehr.

Ich rede hier von Begrenzungen der Personen, die wir "bewohnen". Namen, Formen, Qualitäten, die allesamt eint, dass sie Ausdruck ein und desselben, alles verursachenden, alles beinhaltenden, ewigen, perfekten, liebenden Selbst sind.

Sat Chid Ananda - Ich bin Existenz, Wissen und Glückseligkeit

Aham Brahman Asmi - Ich bin Brahman, die unendliche, ewige Realität

Tat Vam Asi - Das ist es was Du bist

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Was ist meine Aufgabe im Leben?

Ich habe in der Vergangenheit öfter darum gebeten, dass sich mir doch bitte endlich meine Aufgabe in dieser Welt offenbaren möge. Letztens habe ich ein wenig darüber nachgedacht und bin zu einem interessanten Schluss gekommen, der mit einer Frage begann.

Wie komme ich eigentlich darauf, dass ich meine Aufgabe in dieser Welt nicht bereits erfülle? Was bringt mich dazu, anzunehmen, irgendwo würde eine alles verändernde Feuerwerks- Konfetti- Karnevals- Superduper- Premiumaufgabe auf mich warten, deren Bewältigung mir Respekt, den Dank und die Anerkennung der gesamten Menschheit bescheren würde?

Ich denke der Ursprung einer solchen Bitte ist ein Reflex, die Projektion auf eine andere, bessere Zukunft und das obwohl ich gar nicht unzufrieden mit meiner Gegenwart bin. Es scheint ein altes Muster in mir zu wirken, das lieber nach etwas Ausschau halten will, was nicht ist, statt sich mit dem zu beschäftigen, was ist. Zu leicht lassen wir uns von solchen Reflexen mitreißen, fortreißen, aus unserem tatsächlichen Leben, was schade ist, weil wir was wir nicht ansehen auch nicht würdigen können.

Die Einsicht, dass ich in diesem komplexen Organismus der Welt genau den Platz ausfülle, den ich ausfüllen kann und soll, kann nur eine Konsequenz haben, diese Bitte nicht mehr zu stellen. Was wir uns wirklich wünschen ist Frieden für unseren rastlosen Geist, dieses mächtige Instrument, das jede Unachtsamkeit direkt ausnutzt, seiner Programmierung zu folgen und die Kontrolle zu übernehmen. Frieden kommt durch Einsicht.

Wir sollten um Einsicht bitten. Die Einsicht, dass wir vom Zeitpunkt unserer Geburt an bis zum Verlassen der Bühne unsere Aufgabe, unsere Rolle ganz von selbst erfüllen, ob wir sie nun als spektakulär oder banal beurteilen mögen. Diese Rolle sind viele Rollen in einer XXL-Soap, wenn wir Glück haben, und das Drehbuch, wer schreibt das? Nicht wir. Warum?

Wir sind vielleicht der Koch in unserem Leben, aber wir können nur mit den Zutaten kochen, die uns zur Verfügung stehen und nach den Rezepten, die wir kennengelernt haben. Und wo kommen die her? Wer hat die gemacht? Ich nicht! Wir haben einen freien Willen, aber letztlich sind wir in der Ausgestaltung unseres Lebens-Menüs auf die Ausstattung unserer Küche, unsere Zutaten und unser persönliches Kochbuch begrenzt.

Sich zu wünschen, bitte offenbare mir meine Aufgabe im Leben, heißt, bitte weise mich einer anderen Küche zu, hier gefällt es mir nicht. Warum nicht wünschen, hey, schärfe meinen Blick, segne mich mit Kreativität und Einfallsreichtum, dass ich in meiner Küche ein Meisterkoch werde!? Das wäre doch mal ein Wunsch! Es gefällt mir sehr gut in meiner Küche. Sie ist vielleicht nur in einem kleinen Imbisswagen, aber es ist meine und ich mag sie, und ich versuche, mit Liebe für meine Lieben zu kochen.

OM Namah Shivaya!

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Mit der Mala in der Hand setzte ich mich auf das Meditationskissen vor dem kleinen Altar in meiner neuen Wohnung. Links ein Ganesha-Murti, rechts ein Krishna-Bildnis, in der Mitte eine Kerze und ein Foto von Swami Sivananda. Ich bin diesmal nicht getrieben von einem reißenden Gefühl der inneren Leere oder der Absicht, einem selbstzerstörerischen Drang etwas entgegenzusetzen auf die Yogamatte gekommen. Ich bin völlig ruhig und friedvoll, folge keiner besonderen Absicht. Ich schließe die Augen und lasse los.

Die Erfahrung um mich herum einstürzender Mauern lässt meinen Körper wohlig erschaudern. Ich denke nichts. Ich spüre. Jetzt denke ich doch. Fühlt sich so die beschriebene Ausdehnung des Geistes an, das Einswerden mit allem. Ich chante laut dreimal OM. Warum habe ich, wenn ich allein chante scheinbar immer weniger Luft dafür als in einer Gruppe? Ich singe sehr langsam dreimal Krishna Krishna Mahayogin. Gedanken steigen auf. Wer war wohl der Mensch, der diese Zeilen als erstes rezitiert hat, an welchem Ort und zu welcher Zeit? Ich denke an Pyramiden und Atlantis und lasse die Gedanken wieder verschwinden. Ich beginne die Guru-Stotram zu rezitieren.

Sollte ich mich selbst verpflichten, sie 108 mal zu wiederholen? Ein Durchlauf dauert zwei bis drei Minuten, oh Gott, da sitze ich ja 5 Stunden hier, naja, ich fange einfach mal an. Ich merke, dass der innere Raum in dem ich die Verse wahrnehme größer wird, und die Worte leiser.

Ich hatte als Kind die Angewohnheit, der Welt, wenn ich sie mit einem Wunsch behelligte, durch ein kleines Opfer zu beweisen, wie wichtig mir das angefragte Ergebnis war. Je größer der Wunsch, desto größer war die selbst auferlegte Entbehrung. Es war eine Art Kuhhandel. Ich gab etwas, meist den Verzicht auf etwas mir sehr angenehmes, und bekam dafür sehr oft vom Leben das was ich wollte. Überaus wohlwollend scheint das Schicksal seine Hand schon mein ganzes Leben über mich zu halten, auch wenn die „Tauschhandel“ nach dem Abitur ausebbten.

Folge ich diesem alten Muster etwa gerade wieder? Ich sollte inzwischen doch schlauer sein. Ich weiß, das alles verursachende und allem innewohnende Selbst will nicht, warum sollte es dann (kuh-) handeln? Weder beurteilt es, noch bewertet es.

Wen versuche ich mit einer 108-fachen Rezitation zu beeindrucken? Wen will ich überzeugen und wovon? Dass ich besser bin, spirituell? Ich lege die Mala langsam aus der Hand. Während diese Gedanken in Sekundenschnelle durch meinen Kopf rasen, wird der Gesang immer leiser, und ich nehme unbeteiligt war, wie er allmählich verstummt.

Das Selbst will nichts. Warum will dann der Mensch? Wir kommen in die Welt und lernen sie über unsere Sinne kennen. Wir sammeln Erfahrungen und entwickeln eine individuelle, einzigartige Persönlichkeit mit einem individuellen Willen. Aber wessen Werk ist diese Persönlichkeit? Ist sie das Resultat eigener, freier Entscheidung? Wer hat diese Persönlichkeit geschaffen?

Ich denke an das Knetkugelmodell, das ich als Mitte 20-jähriger bei der rückwirkenden Betrachtung einer ersten und langjährigen Liebesbeziehung aufstellte.

Das Knetkugelmodell

Der Mensch käme demnach als formbare Knetkugel, mehr oder weniger perfekt rund, weicher oder härterer Konsistenz auf die Welt, in diesem Fall auf einen Berggipfel. Dort freigelassen, beginnt die Kugel getrieben durch die Erdanziehungskraft seine Reise durchs Leben. Auf dem Weg sammelt sie Erfahrungen, „Eindrücke“ – im wahrsten Sinne des Wortes. Jede Berührung mit der Welt hinterlässt eine Spur an seiner Oberfläche, verformt sie. Diese Veränderungen der Form beeinflussen neben dem Ausgangspunkt der Reise und der Beschaffenheit der Wegstrecke ebenfalls den weiteren Kurs der Kugel. Ein schwerer Treffer an einer scharfen Kante des Weges etwa kann die Kugel gravierend aus der Bahn werfen und ins Schlingern geraten lassen. Die Reise kann über schroffe, kantige Felsen gehen oder sanft über weiches Gras. Auf dem Weg kommt es zu zahlreichen Kollisionen mit anderen Kugeln. Einige von ihnen begleiten sich die ganze Wegstrecke entlang. Je länger die Kugel unterwegs ist, desto einzigartiger wird seine Form.

Auch der Mensch bekommt eine Prägung durch die von ihm wahrgenommenen Ereignisse auf seiner Reise durch die sich wandelnde Welt. Auch er wird dabei angetrieben von den Kräften, die in dieser Welt wirken, seinen Wünschen, Vorlieben, Abneigungen und Ängsten. Der Mensch weiß, er lebt in einer Welt in der jede Aktion eine entsprechende Reaktion verursacht. Er will, dass seine Handlungen für ihn positive Ergebnisse hervorbringen, weshalb er ständig Dinge wiederholt, mit denen er in der Vergangenheit in ähnlichen Situationen gute Erfahrungen gemacht hat. Er vermeidet es, Dinge zu tun, die ihm „schlechte“ Erfahrungen beschert haben. Am Ende seiner Existenz verfügt er dann über einen ganz einzigartigen Charakter, den Speicher aller Eindrücke seines Lebens.

Das Knetkugelmodell eröffnete mir damals einen lähmenden und desillusionierenden Blick auf mein Leben. Sowenig wie die Knetkugel seinen Weg und seine Form am Ende seines Weges selbst bestimmt, so wenig hätte ich selbst die Kontrolle über meinen Weg und mein Handeln im Leben. Würde man zwei identische Knetkugeln an exakt derselben Stelle auf dem Berg auf die Reise schicken und alle Außenbedingungen auf der Talfahrt wären zu 100% dieselben – sie hätten unten im Tal angekommen dieselbe Form. Die Kugel hat keine Wahl, wie sie den Berg hinabrollt. Das wird bestimmt durch seine sich verändernde Form, die Wegstrecke und andere äußere Faktoren.

Was auch immer ich als Mensch täte, ich würde immer auf Grundlage früher gemachter Erfahrungen handeln. In Wahrheit entscheide also nicht ICH, sondern meine Erfahrungen, meine „Programmierung“. Und die ergeben sich einzig und allein aus den „Antworten“ des Universums auf die Impulse, die ich oder andere Wesen in der Vergangenheit die Welt gegeben haben. Diese Antworten sind nichts anderes als die Erfahrungen, die ich im Laufe des Lebens mache und diese formen meinen Charakter, meine Vorlieben und Abneigungen. Die Welt programmierte mich also nach seinen Gesetzen. Freier Wille wäre demnach eine Illusion.

Dank Vedanta, der Wissenschaft und dem Wissen über die menschliche Natur, die Welt und beider Ursache, habe ich heute einen anderen Blick auf dieses Thema. Vedanta bestätigt das Knetkugelmodell. Aber es fügt dem Puzzle ein entscheidendes, vielleicht das entscheidende und befreiende Stück hinzu:

ICH BIN NICHT DIE KNETKUGEL!

Ich bin nicht die Knetkugel bedeutet, ich bin auch nicht (ausschließlich) mein Charakter. Ich bin nicht (ausschließlich) die sich verändernde Form meiner Persönlichkeit oder die Persönlichkeit selbst. Diese sind Ausdrucksformen einer mir innewohnenden Kraft und der Ursache von allem, was wir in der Welt wahrnehmen können. Ich bin die Ursache für die Knetkugel und schaue durch die Knetkugel auf die sich um sie herum ständig wandelnde Welt und die sich wandelnde Form der Knetkugel selbst. Ich schaue durch sich ständig ändernde Blickwinkeln, durch die Brille sich verändernder Einstellungen, Meinungen, Überzeugungen in die Welt. Ich bin eins mit der Knetkugel aber ich bin auch vieles mehr. Wir sind Menschen, aber wir sind auch vieles mehr, pures, einfaches und unbegrenztes Bewusstsein.

Heute weiß ich, ja es ist so - jede Aktion bringt eine bestimmte Reaktion hervor. Diese Reaktion (unsere Erfahrungen) hängt von Ort und Zeit ab, in der meine Handlung geschieht. Je komplexer ein Sachverhalt wird, desto mehr für uns kaum zu überschauende Faktoren sind bei der Reaktion der „Welt“ darauf verknüpft und zu berücksichtigen. Kein Wunder, dass wir nicht immer das erhoffte Ergebnis für unsere Taten bekommen. Aber auch wenn ein Ergebnis auf unsere Handlungen nicht dem von uns gewünschten entspricht, es folgt immer der Ordnung des Ganzen. Wir können uns darüber aufregen, aber wir haben als Mensch macht, das zu ändern. Wir leben in einer Welt, die einer Ordnung und festen Gesetzen folgt. Wir können uns in Harmonie dazu bewegen, oder dagegen ankämpfen. Freude und Leid sind die Indikatoren dafür, wofür wir uns entschieden haben. Und auch Nichthandeln ist Handeln. Solange wir auf der Welt sind, können wir aus diesem Spiel nicht aussteigen, wir haben keine Wahl. Als Mensch können wir niemals nicht handeln. Wir bezeugen den ständigen Wandel des Außen und des Inneren. Wir bezeugen die Beständigkeit des Wandels, Entstehung, Existenz, Auflösung aller Dinge und der Person, durch die wir in die Welt schauen selbst.

Beständig ist einzig der jetzige Moment. Die Zeit ist immer jetzt, aber der Ort verändert sich mit jeder Sekunde. Kein Objekt in der Welt bleibt für immer gleich, und auch nicht die Konstellation der uns umgebenden Objekte zueinander ändert sich ständig. Das führt dazu, dass derselbe Impuls, den ich mit einer spezifischen Handlung in die Welt gebe, nicht immer die gleiche Reaktion des Universums hervorbringen wird. Was für den einen funktioniert, muss noch lange nicht für jeden funktionieren. Da die Menschen sich an unterschiedlichen Orten und innerhalb unterschiedlicher Objektkonstellationen befinden, macht jedes Individuum unterschiedliche Erfahrungen selbst mit denselben Handlungen, und so entsteht das komplexe System der unterschiedlich programmierten Persönlichkeiten, welches wir wahrnehmen können. Doch diese Vielfalt ist nur eine scheinbare Vielfalt.

Die Hardware und das Betriebssystem aller Menschen sind ein und dasselbe.

Alle Menschen sind in ihrem „Aufbau“ und ihren Funktionen absolut identisch. Sie verfügen über dieselben Sinne, dieselben Sinnesorgane, denselben Verstand. Es sind nicht die unterschiedlichen Charaktere der Menschen, die jedes Individuum ausmachen. Was jedes Individuum ausmacht ist sein pures Bewusstsein, der Lebensgeist, der in jedem Menschen derselbe ist. Würden wir uns mit ihm und nicht mit unseren unterschiedlichen Erfahrungen identifizieren, gäbe es keinen Grund mehr für Zorn, Gier, Neid, Hass, Bewertung oder Abwertung anderer. Bei Auseinandersetzungen mit anderen verteidigen und kämpfen wir nie für uns, sondern immer nur für meine Erfahrungen, Meinungen und Überzeugungen, welche jedoch begrenzt sind. Öffnen wir uns für die Erkenntnis, dass wir nicht unsere Erfahrungen sind, gibt es keinen Grund zu kämpfen.

Die Vielfalt aller Persönlichkeiten enthüllt einen Schatz und ein Geheimnis. Die Summe der unterschiedlichen Erfahrungen der Menschen offenbart die Gesetzmäßigkeiten, die in der Welt wirken. Wir können uns selbst in jedem Menschen, in jedem Wesen wiedererkennen und die individuellen Erfahrungen der anderen als Bereicherung und Erweiterung unserer eigenen Erfahrungen schätzen. Wir können immer wieder erkennen, dass Trennung eine Illusion ist, dass wir alle eins sind, nämlich der Urgrund und die Ursache allen Lebens und aller Objekte in dieser Welt.

Es braucht keine Kuhhandel mehr mit der Welt. Es gibt das Streben danach, als Mensch verantwortungsvolle und mit dem Ganzen in Harmonie befindliche Impulse in die Welt zu senden, mit Gedanken, Worten und Taten. Und es gibt die Offenheit, jegliche Antwort darauf auch anzunehmen, ob sie den Erwartungen entspricht oder nicht, genährt durch das tiefe Vertrauen in die eigene Kraft, die alles in der Welt in Harmonie hält. Das ist Karma-Yoga.

Es ist nicht immer leicht, sich in Harmonie mit der Welt zu bewegen. Sehr stark und manchmal übermächtig erscheinen die Kräfte, die in den Menschen wirken und sie immer wieder in eine egoistische Perspektive ziehen, Wollen, Abneigungen, Verneinung, Abgrenzung. Keine dieser Kräfte ist schlecht und zu verteufeln. Aber wir sollten die Kräfte kennen, wahrnehmen und uns nicht von ihnen mitreißen lassen, oder wenn schon, dann wenigstens bewusst. Es gibt viele Wege, die uns helfen können, die Kräfte in uns und in der Welt zu erkennen, besser zu verstehen und uns in Harmonie mit ihnen, glücklich durchs Leben zu bewegen. Eines, dass seit tausenden Jahren funktioniert ist Yoga. Yoga bedeutet Verbindung, Vereinigung, Einssein. Es transformierte meinen Blick auf mich selbst und die Welt, ohne den bisherigen als falsch darzustellen.

Jede Erfahrung, die wir machen, ist ein Geschenk an uns. Ich habe ein großartiges Geschenk erhalten. Ich konnte einen begrenzten Blick auf meine eigene Identität überwinden. Augenblicklich lösten sich Verzweiflung und Ohnmacht ob der eigenen Existenz auf. Ich habe einen anderen Blick auf das Bild des Lebens werfen dürfen und spüre immer noch auf meiner Yogamatte sitzend eine tiefe Dankbarkeit in mir aufsteigen.

Meine Augen sind noch geschlossen, meine Hände liegen aneinander, die Zeigefinger und Mittelfinger berühren meine gesenkte Stirn. Ich spüre wie eine kleine Träne mein geschlossenes Augenlid durchbricht. Ich bin tief dankbar für diese befreiende Erfahrung, das Kennenlernen dieser verbindenden Perspektive auf meine eigene Existenz, die ich immer intensiver auch körperlich wahrnehmen kann. Ich spüre die Gewissheit, dass ich niemandem etwas beweisen muss, dass ich als Person so bin wie ich bin, weil die Welt mich so braucht wie ich bin und weil sie mich so gemacht hat.

Ich fühle mich als wäre ich leichter geworden, ich öffne die Augen und mein Blick fällt auf das mich liebevoll anlächelnde Bildnis des Meisters der Yogatradition in der ich zum Yogalehrer ausgebildet werde, Swami Sivananda. Ich fühle mich eins mit ihm und muss ebenfalls lächeln. Ich hatte bisher nie einen besonderen Draht zu dieser Person aus einer anderen Zeit und einer anderen Kultur. Aber ich spüre jetzt eine tiefe Verbundenheit und Dankbarkeit. Mir wird bewusst, dass sein Wirken mein Leben beeinflusst hat und mich zu dem befreienden Wissen geführt hat, das in mir zu einer erlebbaren Erfahrung wird.

Ich lache zusammen mit dem Swami, ich spüre Erleichterung und mehr Tränen, die sich ihren Weg über mein Gesicht bahnen. Tränen der Freude, des Glücks, der Erleichterung. Ich lache und weine gleichzeitig. Ich verneige mich mit geschlossenen Augen vor dem Meister, den ich in diesem Moment nicht als höher, weiser, besser oder anders empfinde als mich selbst, es ist vielmehr als würde ich mit einem alten Freund über Dummheiten und Streiche aus der Vergangenheit lachen. Ich bin erstaunt über diese Erfahrung versuche aber nicht zu bewerten sondern wahrzunehmen was grad passiert.

Das Lachen verschwindet plötzlich aus meinem Gesicht, und der Strom der Tränen wird nun durch tiefe Scham genährt, Scham darüber, wie ich mit dem mir anvertrauten Geschenk in der Vergangenheit umgegangen bin. Meine Hände sind gefaltet und mein Körper bebt während ich mich ganz dem Gefühl des Loslassens hingebe. Ich vergebe mir selbst meine Unzulänglichkeiten, ich lasse los. Ich bin glücklich.

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