Das Doppelbewusstsein eines Jivanmukta

Swami Sivananda schreibt:
„Ein Mensch, der bis zum Hals im Wasser steht, hat eine doppelte Erfahrung. Sein Kopf ist der Sonne ausgesetzt, und der Körper ist im kalten Wasser. Er empfindet sowohl Hitze als auch Kälte.“ – Doppelbewusstsein.

In Indien, insbesondere in Rishikesh, kann es im Sommer extrem heiß werden. Temperaturen von 45 Grad sind keine Seltenheit, aber der Ganges, der gerade aus dem Himalaya kommt, hat auch im Sommer nicht mehr als ein paar Grad Celsius. Also kalt und warm.

„So ist die Erfahrung eines Jivanmukta. Er hat ein doppeltes Bewusstsein. Er genießt die Wonne Brahmans. Er erlebt auch diese Welt.“

Also, der Jivanmukta, der lebendig Befreite, sieht auf der einen Seite die Welt wie wir auch. Deshalb brauchen wir auch keine Angst davor zu haben, Jivanmuktas zu werden. Manche Menschen haben Angst: Oh, dann kann ich mich ja nicht mehr um meine Familie kümmern, kann nicht mehr arbeiten. Da brauchen wir keine Angst zu haben. Erstens gilt natürlich, dass keiner die Befreiung erreicht, der sie nicht erreichen will. Es ist nicht so, dass wir wider Willen Moksha erreichen, da kann man beruhigt sein. Und man muss auch Moksha nicht erreichen wollen, man kann auch Yoga üben, einfach um ein bisschen mehr Energie zu haben, ein bisschen mehr Harmonie, Ausstrahlung, Verbundenheit, Positivität, Zugang zu innerem Wissen, Kreativität, Einklang mit der Natur, und das ist ja auch schon eine ganze Menge.

Aber meistens, wenn wir auf dem Weg voranschreiten, spüren wir, dass es noch mehr gibt. Dann wird man doch irgendwo merken, dass man weiter will. Wenn wir die Verwirklichung haben, gilt, dass wir das, was zu tun ist, weiter tun können. Wir können, wenn wir nicht gerade in der Meditation sind, die Welt genauso sehen, wie andere auch. Wir können auch zu unseren Familienmitgliedern weiter eine besondere Beziehung haben. Wir können auch Finanzbeamter, Handwerker, Musiker, Frisör, alles sein. Auf der einen Ebene sieht man die Welt wie andere auch. Auf der anderen Seite bleibt immer die Bewusstheit: Ich bin das unsterbliche Selbst.

Der Jivanmukta wird in Samadhi eintreten können, wann immer er meditiert und so sein Bewusstsein von Körper und Denken transzendieren. Aber so wie die Samadhi-Erfahrung vorbei ist, wird er die Welt so wahrnehmen, wie andere auch und deshalb auch handeln können, wie andere auch. Aber es bleibt die Bewusstheit: Ich bin das Unsterbliche Selbst.

Es ist auch ein Unterschied, wenn ein Erwachsener mit einem Kind „Mensch ärgere dich nicht“ spielt. Das Kind wird sich relativ stark identifizieren und der Erwachsene, wenn er mit einem Kind spielt, wird das Ganze spielerischer sehen. Auf der einen Seite wird der Vater oder die Mutter das Spiel schon richtig spielen. Das hängt auch vom Alter des Kindes ab. Und wann freuen sich die Eltern am meisten? – Wenn das Kind gewinnt. Ich weiß, dass mein Vater dann öfter probiert hat, mich gewinnen zu lassen. Mich hat das dann geärgert. Es hat mich sowohl geärgert, wenn er offensichtlich seine Chancen nicht ergriffen hat, und noch mehr hat es mich geärgert, wenn ich verloren habe. Mein Vater hat es dann irgendwann zur Meisterschaft gebracht, dass er verhältnismäßig weniger gewonnen hat als seine drei Söhne. Das muss er irgendwie bewirkt haben, denn wir haben es nicht gemerkt, wenn er geschummelt hat.

Gut. So ähnlich können wir nun auch das Spiel spielen, und wir können uns freuen.
Wir können uns freuen, wenn wir das Spiel gewinnen, aber auch wenn jemand anderes gewinnt.

Ein zweites Beispiel für das Doppelbewusstsein ist luzides Träumen. Manche Menschen können das zur Meisterschaft entwickeln, man kann das trainieren: Träumen und wissen, dass man träumt. Vielleicht so heute Morgen, wo wir eine Stunde mehr Zeit hatten. Vielleicht sind die, die es gewohnt sind, um halb sechs aufzustehen, noch einmal eingeschlafen, weil es erst halb fünf war, und in einen Halb-Traum-Dös-Zustand hineingefallen. Da kann es dann passieren. Man weiß, dass man träumt, und man träumt, und es ist irgendwie ein angenehm wohliges Dösgefühl. Man kann den Traum genießen, man weiß, dass man träumt, und wenn zwischendurch im Traum etwas Komisches passiert, macht es nichts. Man kann sogar den Traum ändern, wenn man im luziden Traumbewusstsein ist. So ähnlich ist das Bewusstsein eines Jnana Yogis, der Jivanmukta erreicht hat. Er weiß, diese Welt ist eine Traumwelt, sie hat ihren Sinn, wir gehen durch Höhen und Tiefen, aber er weiß: Ich bin das Unsterbliche Selbst.

Hari Om Tat Sat

Transkription eines Kurzvortrages von Sukadev Bretz im Anschluss an die Meditation im Satsang im Haus Yoga Vidya Bad Meinberg. Mehr Yoga Vorträge als mp3.

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